Das Wissen über die neurobiologischen Grundlagen der Alzheimer-Krankheit (AK) wächst ständig und neue Medikamenten für die frühen Krankheitsstadien stehen kurz vor der Zulassung. Damit verlagert sich auch der Fokus der Diagnostik auf die Früherkennung.¹
Die AK ist pathologisch durch die Ansammlung fehlgefalteter Amyloid-β (Aβ) und phosphorylierter Tau-Proteine im Gehirn gekennzeichnet, die senile Plaques und neurofibrilläre Bündel bilden. Während eine definitive AK-Diagnose weiterhin eine Bestätigung dieser pathologischen Merkmale durch eine Autopsie erfordert, gibt es zuverlässige Methoden zur Diagnose bei lebenden Personen. Dies wird durch den Einsatz von Liquor- und Positronen-Emissions-Tomographie (PET)-Untersuchungen ermöglicht, die einen In-vivo-Nachweis der Proteinpathologien erlauben und im symptomatischen Stadium der AK in der Routineversorgung diagnostisch genutzt werden können. Allerdings sind diese Untersuchungsmethoden invasiv bzw. verbunden mit einer Belastung durch ionisierende Strahlen und außerhalb spezialisierter Zentren nur teils vorhanden.² Weniger invasive, leichter skalierbare und kosteneffizientere diagnostische Maßnahmen werden daher dringend benötigt.
Die AK zeigt eine lange symptomfreie Phase, die viele Jahre dauern kann. Jüngste Fortschritte in der Bildgebungs- und Flüssigkeitsmarker-Technologie ermöglichen es, zunehmende biologische Pathologien bereits in dieser präsymptomatischen Phase zu erkennen. Sobald die AK-Pathologie einen bestimmten Schwellenwert überschreitet (bestimmt durch die individuelle kognitive Reserve³), beginnen kognitive Symptome aufzutreten.
Die Begriffe „leichte kognitive Störung“ (engl. „mild cognitive impairment“, MCI) oder „prodromale AK“ werden verwendet, um Fälle zu beschreiben, bei denen die kognitive Leistung unter dem erwarteten Niveau für Alter und Bildung liegt, während grundlegende tägliche Aktivitäten weitgehend unbeeinträchtigt bleiben.⁴ Bei eindeutiger Beeinträchtigung der normalen Alltagsfunktion ist das Stadium der Demenz erreicht.
Blutbiomarker bieten die einzigartige Möglichkeit einer nicht-invasiven und breitflächig einsetzbaren Diagnostik. Durch die Kombination von präzisen Blutprotein-Assays mit digitalen kognitiven Tests wird es zukünftig möglich sein, sehr frühe AK-Stadien verlässlich in der Routineversorgung (d.h. außerhalb von Spezialeinrichtungen) zu erkennen und entsprechende pharmakologische und nicht-pharmakologische Therapiemaßnahmen einzuleiten. Blutbasierte Biomarker können einfach gemessen werden und sind kosteneffizient im Vergleich zu den derzeitigen Goldstandard-Untersuchungen (Liquoruntersuchung und PED). Die Entwicklung eines Algorithmus für blutbasierte Biomarker ist daher von entscheidender Bedeutung.
Aktuelle Studien liefern vielversprechende Ergebnisse aus klinischen und epidemiologischen Kohorten, in denen neue ultrasensitive Assay-Technologien zur Messung der Blutkonzentrationen verschiedener AK-Biomarker zum Einsatz kommen.
Frühere Studien hatten gezeigt, dass die Konzentrationen von Biomarkern in Liquor⁵ und Blut⁶ nicht nur durch Neurodegeneration, sondern auch durch das Alter beeinflusst werden. Daher ist es notwendig, altersspezifische Normbereiche für die frühe AK festzulegen, um genaue diagnostische Bewertungen zu gewährleisten. Eine neuere Studie zielte darauf ab, Referenzbereiche für die Plasmakonzentration der Neurofilament-Leichtketten (engl. neurofilament light chain, NfL) bei gesunden Personen im Alter von 5 bis 90 Jahren zu definieren.⁷ Ähnliche Anstrengungen werden für andere Blutbiomarker und frühe symptomatische Stadien der AK erforderlich sein.
Begleiterkrankungen wie chronische Nierenerkrankungen, Bluthochdruck, Hyperlipidämie, Diabetes, Myokardinfarkt und Schlaganfall können Plasmamarker wie Aβ42, Aβ40, t-Tau und p-Tau beeinflussen.⁸ Ethnizität und Nahrungsaufnahme (postprandial vs. Fasten) können sich ebenfalls auf die Blutproteinwerte auswirken.⁹ Werden diese Faktoren nicht angemessen berücksichtigt, steigt unter Umständen der Anteil falsch diagnostizierter Personen.
Eine weitere wichtige Überlegung ist die Bestimmung des optimalen Blutkompartimentes für die Analyse, da die Konzentrationen in Plasma und Serum ähnliche diagnostische Informationen liefern können, aber in bestimmten Situationen unterschiedlich sind. Absolute Biomarker-Konzentrationen sind möglicherweise nicht aussagekräftig und zwischen verschiedenen Laboren nicht vergleichbar, was darauf hindeutet, dass Plasma- und Serumproben nicht austauschbar sind.¹⁰ Standardisierte Werte könnten hilfreich sein, wenn Ergebnisse aus verschiedenen Blutmatrizen kombiniert werden.¹¹
Molekulare Blutbiomarker zeigen nicht nur ein hohes Potenzial, diagnostische Strategien zu optimieren und möglicherweise eine frühere Diagnose der AK zu ermöglichen. Sie können auch dazu beitragen, Patient:innen zu stratifizieren, indem sie die Progression von frühen Stadien (wie MCI) zur manifesten Demenz bei AK vorhersagen. Mehrere Blutbiomarker-Kandidaten werden derzeit auf ihre Eignung zur Diagnose der AK und zur Beurteilung der Prognose untersucht.
Im April 2024 erhielt der Elecsys pTau217-Test zum Nachweis von Amyloid-Pathologien im Blut von der FDA die Breakthrough Device Designation.¹ Er wird also einem beschleunigten Zulassungsverfahren zugeführt, weil ihm das Potenzial beigemessen wird, eine effektivere Diagnose der Alzheimer-Krankheit zu ermöglichen. Im Falle seiner Zulassung könnte der Test dazu beitragen, den Zugang zu einer rechtzeitigen und genauen Diagnose rasch zu erweitern und die Auswirkungen der Alzheimer-Krankheit auf Betroffene und die Gesellschaft möglicherweise zu mildern.
Im Liquor und in der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) ist der Nachweis von Alzheimer-spezifischen Biomarkern wie Beta-Amyloid und phosphoryliertem Tau-Protein (pTau) bereits seit einiger Zeit möglich. Einen Bluttest, der einfach durchzuführen und minimalinvasiv wäre, gab es bislang nicht.²
Der diagnostische In-vitro-Immunoassay wurde in einer Kooperation von Roche und Eli Lilly and Company entwickelt und dient der quantitativen Bestimmung des Proteins Phospho-Tau (217P) (pTau217) in menschlichem Plasma von Personen ab einem Alter von 60 Jahren. Der Test soll als Hilfsmittel bei der Identifizierung der Amyloid-Pathologie, einem pathologischen Merkmal der Alzheimer-Krankheit, eingesetzt werden.
Positives Elecsys pTau217-Ergebnis: hohe Wahrscheinlichkeit auf positives Amyloid-PET/CSF-Ergebnis*
Negatives Elecsys pTau217-Ergebnis: hohe Wahrscheinlichkeit auf negatives Amyloid-PET/CSF-Ergebnis
Elecsys pTau217-Ergebnis im Graubereich: unklares Amyloid-PET/CSF-Ergebnis
Das pTau217-Ergebnis kann in Verbindung mit anderen klinischen Informationen die frühzeitige Diagnostik einer Alzheimer-Demenz deutlich erleichtern. Die betroffenen Personen könnten früher einer spezifischen Therapie zugeführt werden.
*CSF: Cerebrospinalflüssigkeits-(CSF) Biomarker
Literatur
Breakthrough Devices Program [Internet; zitiert 24. März 2024] Verfügbar unter: https://www.fda.gov/medical-devices/how-study-and-market-your-device/breakthrough-devices-program
pTau217 als Kandidat für praxistauglichen Alzheimerbluttest? [Internet; 24. April 2024] Verfügbar unter: https://www.gelbe-liste.de/neurologie/biomarker-ptau217-alzheimer-demenz
Neben der Messung von Aβ-Peptiden werden p-Tau-Formen wie p-tau181, p-tau217 und p-tau231 und Neurofilament-Leichtketten (engl. neurofilament light chain, NfL) intensiv als vielversprechende Biomarker für die frühe Diagnose und Verlaufsvorhersage untersucht.¹² Diese Marker zeigen in ausgewählten Populationen, beispielsweise in retrospektiven Analysen großer Beobachtungsstudien, einen brauchbaren diagnostischen Wert bei früher AK. Der Nutzen in der klinischen Routineversorgung mit ihren deutlich heterogeneren Patient:innengruppen muss allerdings erst noch erbracht werden.¹³
Ein weiterer Blutbiomarker von Interesse ist GFAP (saures Gliafaserprotein, engl. glial fibrillary acidic protein), ein Marker für astrogliale Entzündungen. GFAP zeigt Potenzial, Aβ-Pathologie in präsymptomatischen Stadien zu erkennen und die Progression von MCI zur Demenz vorherzusagen.¹⁴ Aber auch der Beleg für einen Nutzen von GFAP für die Patient:innenversorgung in der Routine muss erst noch erbracht werden.
Es ist notwendig, in größeren multizentrischen Kohorten ultrasensitive Assays zu erforschen, die in der Lage sind, die vollständige biomarkerbasierte Klassifikation der AK mit Blutbiomarkern abzudecken. Eine neuere Studie zeigte eine starke Korrelation zwischen Liquor- und Blutmarkern, was auf die Machbarkeit einer biomarkerbasierten Klassifikation im Blut hindeutet.¹⁵ Nun muss eine realitätsnahe Bewertung von Triage-Strategien zur Früherkennung der AK folgen. Um der älteren Bevölkerung greifbare Vorteile zu bieten, muss der langfristige Einsatz eines neuen diagnostischen Algorithmus sichergestellt werden. Dabei ist es wichtig, maßgeschneiderte Ansätze zu entwickeln, die auf die spezifischen Anforderungen der lokalen Gesundheitssysteme abgestimmt sind, um deren anhaltendes Engagement zu gewährleisten. Die Verfügbarkeit und Abdeckung verschiedener Interventionen variieren erheblich in verschiedenen Regionen weltweit. In diesem Zusammenhang könnten kostengünstige Instrumente wie digitale und Blutbiomarker Vorteile gegenüber teureren Alternativen wie bildgebenden Verfahren bieten.
Die vorgesehenen diagnostischen Versorgungswege müssen eine enge Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Gesundheitssektoren umfassen, und spezialisierte Gedächtnisambulanzen werden eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Abbildung 1 zeigt einen vorstellbaren Ansatz für die sektorenübergreifende frühe Erkennung der symptomatischen AK, mit anschließender biomarkerbasierten Bestätigung und gezielter Behandlung mit krankheitsmodifizierenden Therapien.
Abb. 1: Modell zum möglichen Ablauf bei der frühzeitigen Erkennung, diagnostischen Bestätigung und Behandlung der Alzheimer-Krankheit.
Stufe1: Identifizierung älterer Personen mit geringfügigen kognitiven Defiziten in der Primärversorgung. Stufe 2: Ausschluss von Personen mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit einer Alzheimer-Pathologie in der Sekundärversorgung (z.B. durch den Einsatz von blutbasierten Biomarkern). Stufe 3: Anschließende diagnostische Bestätigung in einer spezialisierten Gedächtnisambulanz (z.B. durch den Einsatz von PET- und Liquor-Markern). Stufe 4: Einleitung einer spezifischen krankheitsmodifizierenden Behandlung nach sorgfältiger Bewertung potenzieller Risiken und Vorteile, einschließlich Überwachung von Nebenwirkungen. Patienten können in diesem Modell auch auf vorherliegende Versorgungsstufen zurückgehen, wenn sie die Kriterien für den Übergang zur nächsten Stufe nicht erfüllen (z.B. negativer Blut-Biomarker für Alzheimer-Krankheit) (modifiziert aus [1]; erstellt mit BioRender.com).
Diese Broschüre ist als praktischer Leitfaden für die Anwendung und Interpretation von Biomarkern in Liquor und Blut bei der Alzheimer-Krankheit gedacht und soll zusätzlich darüber informieren, welchen Stellenwert diese Marker beim klinischen Management von Patienten mit kognitiven Symptomen einnehmen. Die Broschüre enthält praktische Empfehlungen für die Lumbalpunktion und Entnahme von Blutproben und informiert darüber, wofür diese Biomarker stehen und wie die Ergebnisse im Rahmen der diagnostischen Beurteilung interpretiert werden können.
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