Das polyzystische Ovarsyndrom (PCOS) ist die häufigste Endokrinopathie bei Frauen im gebärfähigen Alter. Neben Hyperandrogenismus und chronischer Anovulation ist die polyzystische Ovarmorphologie (PCOM) das dritte zentrale Charakteristikum der Erkrankung. Sie wird standardmäßig mithilfe von transvaginalem Ultraschall nachgewiesen. Eine Studie aus dem letzten Jahr zeigt, dass ein Bluttest zur Bestimmung des Anti-Müller-Hormons (AMH) zur Bestimmung der PCOM ebenfalls gut geeignet ist und die diagnostischen Möglichkeiten beim PCOS sinnvoll ergänzen könnte.
Das polyzystische Ovarsyndrom betrifft in Deutschland etwa 15 % aller Frauen im gebärfähigen Alter und stellt damit die häufigste Endokrinopathie in dieser Personengruppe dar.1 PCOS ist eine komplexe Erkrankung mit unklarer Ursache. Charakteristische Merkmale sind Hyperandrogenämie, Übergewicht, Adipositas, Insulinresistenz, Zyklusstörungen und/oder eine polyzystische Ovarmorphologie.2
Typisch für das PCOS ist unter anderem eine hormonelle Störung: Die männlichen Geschlechtshormone liegen oft im Überschuss vor, was zu einer Vermännlichung der weiblichen Silhouette führen kann. Häufig fallen entsprechend dem männlichen Verteilungsmuster Kopfhaare aus, andere Körperstellen sind dafür vermehrt behaart. Durch den Überschuss an Testosteron ist die Entwicklung der Eibläschen gestört. Dies macht sich in Form von Zyklusstörungen oder gar Unfruchtbarkeit bemerkbar. Ultraschalluntersuchungen der Eierstöcke zeigen bei über 70 % der Betroffenen eine typische perlschnurartige Aneinanderreihung der Eibläschen.3
Die Diagnostik der PCOS erfolgt mithilfe der über zwei Jahrzehnte alten Rotterdam Definition.(5) Danach liegt ein PCOS vor, wenn zwei der drei Hauptkriterien,
Hyperandrogenismus,
chronische Anovulation,
polyzystische Ovarmorphologie,4
erfüllt sind und andere Ursachen ausgeschlossen wurden.1,5
Es fehlen bis heute interdisziplinäre Standards zur Diagnostik und Therapie. Eine deutschsprachige, allgemein zugängliche Leitlinie für Hausärzt:innen (Internist:innen/Allgemeinärzt:innen) und beteiligte Fachdisziplinen zur Diagnostik, Therapie und sinnvoller Verlaufskontrollen beim PCOS ist nicht vorhanden.2
Die PCOM wird heute mithilfe von transvaginaler Ultraschalldiagnostik bestimmt. Ließe sich diese Methode durch einen einfachen Bluttest ergänzen oder gar ersetzen, könnte wertvolle Zeit gespart werden. Denn bisher werden die betroffenen Frauen oft zunächst in den Hausarztpraxen behandelt, wo es meist keinen Zugang zum transvaginalen Ultraschall (TVUS) gibt. Das kann die Dauer bis zur Diagnose vergrößern und birgt außerdem die Gefahr, dass viele Fälle von PCOS zunächst gar nicht erst erkannt werden. Darüber hinaus fehlen derzeit diagnostische Standards zur Bestimmung der PCOM mithilfe von TVUS.6
Aus wissenschaftlichen Studien ist bekannt, dass sowohl die Blutspiegel des Anti-Müller-Hormons als auch die Zahl der Follikel mit einer Größe von 2–9 mm (beider Ovarien) gut mit der Zahl der Primordial-Follikel korrelieren.7 Außerdem korrelieren bei Frauen im gebärfähigen Alter die AMH-Werte im zirkulierenden Blut gut mit der Follikelzahl pro Ovar.5
Abb. 1: Kumulative Verteilung zur Bestimmung des AMH-Cutoffs für PCOM bei der Entwicklungskohorte
(484 PCOS-Fälle und 575 Kontrollen). Die gestrichelte Linie zeigt den Cutoff mit der minimalen absoluten Differenz zwischen Sensitivität und Spezifität. AUC: Area under the curve.5
In der retrospektiven Fall-Kontrollstudie APHRODITE7 (AMH Protein in Humans for polycystic ovarian morphology diagnostic testing) haben Forschende nun gezeigt, dass der Elecsys® AMH Plus Immunoassay (Roche Diagnostics International Ltd, Rotkreuz, Schweiz) zum Nachweis des AMH eine robuste Methode zur Bestimmung des PCOM ist. Die Studie wurde von Roche in Zusammenarbeit mit der Abteilung Reproductive Endocrinology and Infertility der Erasmus-Universitätsklinik Rotterdam (Niederlande) durchgeführt.
Zum Abgleich der beiden Methoden wurde der Serum-AMH-Spiegel mithilfe des Elecsys® AMH Plus Immunoassay gemessen und die Zahl der Antralfollikel mithilfe von TVUS bestimmt. Ziel war es, einen AMH-Cutoff abzuleiten und zu validieren.
Die Studie kam zu folgenden Ergebnissen:7
In der validierten Kohorte (455 PCOS-Fälle und 500 Kontrollen) wurde bei einem AMH Cutoff von 3,2 ng/ml
(23 pmol/l) für die Diagnose PCOM eine Sensitivität von 88,6 % (95 %-KI: 5,3–91,3 %) und eine Spezifität von 84,6 % (95 %-KI: 81,1–87,7) erreicht.
Bei Frauen im Alter von 25–35 Jahren lagen die Sensitivität und Spezifität für diesen Cutoff bei 88,5 % and 80,3 %.
Bei Frauen im Alter von 36–45 Jahren lagen die Sensitivität und Spezifität für diesen Cutoff bei 77,8 % and 90,1 %.
Die Ergebnisse waren über alle PCOS-Phänotypen8 (A–D9) konsistent.*
Die APHRODITE-Studie kommt zu dem Schluss, dass der Serum-AMH-Spiegel gut mit dem derzeitigen Goldstandard für die PCOM-Diagnostik, der durch TVUS bestimmten Follikelzahl, korreliert.
Die Studie konnte zeigen, dass der Elecsys® AMH Plus Immunoassay mit einem Cutoff von 3,2 ng/mL (23 pmol/L) eine robuste Methode ist, um PCOM zu identifizieren und damit die PCOS-Diagnostik sinnvoll zu unterstützen. Aus diesem Grund arbeitet Roche Diagnostics bereits an einer Erweiterung des Andwendungszweckes für diesen Assay.
* Nach dem Studieneinschluss wurden die PCOS-Fälle folgendermaßen klassifiziert:
A: HA + OD + PCOM;
B: HA + OD;
C: HA + PCOM;
D: OD + PCOM;
HA: Hyperandrogenismus;
OD: Ovulatorische Dysfunktion
Literatur
Reger-Tan S et al. Das polyzystische Ovarsyndrom: Aktuelle Evidenz und praktische Empfehlungen.
Diabetologie 2020; 15:37–47
DGEb Pessemitteilung Polyzystisches Ovarsyndrom (PCOS) geht oft mit Typ 2 Diabetes einher. 2021. Online verfügbar unter: https://www.endokrinologie.net/pressemitteilung/pcos-typ-2-diabetes.php. Zugriff am 25.11.2022
Die Rotterdam Kriterien definieren PCOM folgendermaßen: Vorliegen von durchschnittlich 12 oder mehr Follikeln mit einem Durchmesser von 2–9 mm in jedem Ovarium und/oder erhöhtes ovariales Volumen (>10 ml)
Rotterdam ESHRE/ASRM-Sponsored PCOS consensus workshop group. Revised 2003 consensus on diagnostic criteria and long-term health risks related to polycystic ovary syndrome (PCOS). Hum Reprod 2004; 19(1):41–7
Broekmans FJ et al. The antral follicle count: practical recommendations for better standardization. Fertil Steril 2010; 94:1044–51.
Dietz de Loos A et al. Antimuellerian hormone to determine polycystic ovarian morphology. Fertil Steril 2021; 116(4):1149–1157
Es gibt verschiedene PCOS-Phänotypen, die sich in der klinischen Ausprägung verschiedener Charakteristika unterscheiden (von Phänotyp A: starke Ausprägung bis D: schwache oder fehlende Ausprägung).7
Borzan V et al. Das polyzystische Ovar-Syndrom – Entstehung, Behandlung und neue Erkenntnisse.
J. Klin. Endokrinol. Stoffw. 14:81–87 (2021)
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