Das Spital der Zukunft wird ein anderes sein, als wir es heute kennen. Es braucht neue digitale Konzepte und Innovationsbereitschaft, um wirksame Antworten auf den demographischen Wandel, auf Kostendruck und steigende Qualitätsansprüche zu finden. Die Frage ist: Wie können digitale Technologien das Spital in ein intelligente(re)s System transformieren? Und wie schaffen wir es, den Menschen stärker als heute in den Mittelpunkt zu stellen? Im Rahmen des Forschungsprojektes SHIFT (Smart Hospital – Integrated Framework, Tools & Solutions) erforscht ein interdisziplinäres Konsortium unter der Leitung der ZHAW, wie die Transformation zum smarten Spital der Zukunft gelingen und auf welche Weise mehr Digitalisierung auch zu einem stärkeren Fokus auf den Menschen führen kann.
Ein Beitrag von Prof. Dr. Sven Hirsch, Leiter ZHAW Digital Health Lab, Zürich
Nach seinem Physikstudium in Heidelberg hat er an der Universität Düsseldorf im Bereich Laserphysik promoviert. Am Kantonspital Basel und an der Uniklinik Düsseldorf hat sich Hirsch dem Thema Holografische Vermessungen gewidmet. Außerdem hat er für Beratungsunternehmen strategische Zukunftsfragen analysiert und Marktprognosen entwickelt. Von 2008-2013 war er Leiter Biomedizinische Simulation zunächst an der ETH Zürich und hat danach eine eigene Arbeitsgruppe an der ZHAW etabliert. Zu seinen Arbeits- und Forschungsschwerpunkten gehören Biomedizinische Simulationen und Modellierungen, maschinelle Lernverfahren zur medizinischen Bildanalyse und zur Entwicklung von Diagnostik-Systemen.
Prof. Dr. Sven Hirsch
Leitung Forschungsschwerpunkt
Computational Health und
Leiter ZHAW Digital Health Lab
sven.hirsch@zhaw.ch
Die Digitalisierung der Spitalwelt ist ein zartes Pflänzchen mit sichtbaren ersten Trieben: So gibt es beispielsweise gute Klinikinformationssysteme. Was nach wie vor fehlt, ist eine gemeinschaftliche Vision und Verständigung darüber, welchen Nutzen die voll erblühte Digitalisierung im Spital entfalten kann, wenn sie denn gehegt, gepflegt und im Spitalalltag wirklich gelebt wird. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an die Spitäler: Sie müssen den Spagat schaffen, immer mehr ältere Patient:innen zu versorgen und Patient:innen allgemein proaktiv statt reaktiv zu betreuen, trotz angespannter oder gekürzter Budgets. Die Digitalisierung nimmt im Leben der Menschen heute eine große Rolle ein, sie erwarten selbstverständlich umfassende Verfügbarkeit und hohe Kundenfreundlichkeit. Die Möglichkeiten der Digitalisierung erlauben es, Patient:innen stärker einzubeziehen und als Co-Akteure einer digitaleren Medizin zu gewinnen. Diesem großen Versprechen der Digitalisierung steht eine recht ernüchternde Realität der Spitalwelt gegenüber.
Dr. Alfred Angerer, Professor für Health Care Management an der ZHAW, hat im Rahmen einer Studie den digitalen Reifegrad von rund 210 Spitälern in der Schweiz unter die Lupe genommen. Die Ergebnisse zeigen, dass es zwar einen Konsens darüber gibt, dass Digitalisierung eine dringliche Aufgabe für Spitäler ist, es aber bei der Umsetzung erheblich hakt. So bewerteten rund 98 Prozent der Befragten eine Digitalisierungsstrategie als dringlich, lediglich 27 Prozent gaben an, dass ihr Spital bereits eine solche habe. 25 Prozent wussten nicht, ob es überhaupt eine Digitalisierungsstrategie in ihrem Spital gibt. Nach der strategischen Verankerung der Digitalisierung befragt, nannten lediglich 31 Prozent die Geschäftsleitung als Akteur. Die Digitalisierung wird demnach nicht als zentrale Aufgabe wahrgenommen. Zu dieser Realität passt, dass es zwar eine Vielzahl technologischer Lösungen gibt, aber eben auch Datensilos, fehlende Vernetzung und Harmonisierung sowie ungeklärte Zuständigkeiten und ineffiziente Organisation.
Mit dem Projekt „Smart Hospital – Integrated Framework, Tools & Solutions” (SHIFT) hat die ZHAW im Rahmen einer Ausschreibung der Schweizerischen Agentur für Innovationsförderung (Innosuisse) nun die Initiative ergriffen. Ziel ist es, integrierte technische und organisatorische Lösungen zu entwickeln zur Steigerung der Qualität und Effizienz in Spitälern. Dabei ist es die erklärte Absicht, die Bedürfnisse und Erlebnisse der Menschen in den Mittelpunkt zu stellen – als Patient:innen, als Angehörige oder als Mitarbeitende. SHIFT möchte eine praktische, zur Nachahmung geeignete Blaupause für die Transformation zu einem „smart & liquid Hospital“ liefern, also zu einem vernetzten, intelligenten Krankenhaus, das eine nahtlose („liquid“) Behandlung auch jenseits der Spitalgrenzen ermöglicht. Dazu gehört es, sogenannte Demonstratoren zu schaffen, um die Machbarkeit der entwickelten Lösung in der Klinik aufzuzeigen. Zudem ermöglichen neue Managementansätze die digitale Innovation in der Klinik von der Idee bis zur Umsetzung. Die im Rahmen von SHIFT erarbeiteten Lösungen nehmen vor allem die Qualität der Gesundheitsversorgung in den Blick, bei gleichzeitiger Steigerung der Effizienz.
SHIFT schafft eine Daten- und Wissensplattform und soll zeigen, wie neue Technologien eine nahtlose Behandlung ermöglichen und die Silogrenzen im Spital aufweichen können. Ziel ist es zum Beispiel, Versorgungslücken zu vermeiden, wenn Patient:innen aus dem Spital nach Hause entlassen werden (Säule 1: Seamless Patient Path). SHIFT beschäftigt sich außerdem mit intelligenten Lösungen, um die Kompetenzen der Mitarbeitenden zu erhöhen sowie Patient:innen selbständiger zu machen und auf diese Weise zu ermächtigen (Säule 2: Patient & Staff Empowerment). Unter anderem geht es hier darum, wie Patient:innen mit Hilfe von Virtual Reality Companions zu einem besseren Selbstmanagement kommen können. Die Verbesserung interner Kapazitätsprozesse zur Reduktion der Leerlaufzeiten von MRI-Systemen sind ebenso Gegenstand dieser Projektsäule wie eine KI-basierte Software-Fabrik für MedTech-Anwendungen, um nach dem Baukasten-System schneller technologische Lösungen im Spital entwickeln zu können. Die dritte Säule von SHIFT hat das intelligente Führen von vernetzten Spitälern zum Thema (Säule 3: Management of Hospital Systems). Hier entwickeln Arbeitsgruppen evidenzbasierte Innovations-Toolkits, um Entscheidungsträger im Innovationsprozess zu unterstützen. Darüber hinaus arbeiten die Teams an einer bedarfsorientierten, flexiblen Personalkapazitätssteuerung und an einem Methodenkoffer zur Quantifizierung von Gesundheitsleistungen.
SHIFT: Smart Hospital – Integrated Framework, Tools & Solutions
SHIFT ist ein Flagship-Projekt der Schweizer Agentur für Innovationsförderung (Innosuisse). Unter der Leitung der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) erforschen Wissenschaftler:innen und Praxispartner am Beispiel-Spital, wie sich die digitale Transformation umsetzen lässt. Die Ergebnisse sollen eine zur Nachahmung geeignete Blaupause schaffen, um die Digitalisierung des gesamten Gesundheitswesens voranzutreiben.
Zahlen und Fakten rund um SHIFT:
Leitung: Prof. Dr. Alfred Angerer, Prof. Dr. Sven Hirsch, ZHAW Digital Health Lab
Website:
Leading House: ZHAW, Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie
Gesamtbudget: 5,7 Mio CHF
Laufzeit: Januar 2022 – Juni 2025 (3,5 Jahre)
5 Forschungspartner: ZHAW, Universitätsspital Basel, Universität Zürich, Fachhochschule Nordwestschweiz, Universität Basel
24 Praxispartner
3 Säulen:
Seamless Patient Path: mit neuen Technologien die nahtlose („liquid“) Behandlung ermöglichen und die Qualität steigern
Patient & Staff Empowerment: Die Kompetenzen des Personals erhöhen und Patientinnen und Patienten „ermächtigen“
Management of Hospital Systems: Klinische und unterstützende Prozesse im Smart Hospital effektiver und effizienter managen
Am Beispiel der Säule „Seamless Patient Path“ lässt sich an konkreten Projekten zeigen, wie die systematische Nutzung von Sensorik und Daten die Behandlung von Patient:innen im Klinikalltag verbessern kann, indem sie die Systemgrenzen des klassischen Spitals aufbricht und die Kommunikation mit den Patient:innen erleichtert. Ideengeber ist der Kardiologe Prof. Dr. Jens Eckstein, der am Universitätsspital Basel seit 2017 Chief Medical Information Officer (CMIO) ist. In dieser Funktion treibt er die Digitalisierung im Spital aktiv aus Anwenderperspektive voran – sein Team initiiert praxisrelevante Projekte und setzt diese im konkreten Klinikkontext um. Im Zentrum stehen dabei medizinische Wearables, die Vitaldaten der Patient:innen mit hoher Frequenz aufnehmen und diese sicher und im Einklang mit dem Persönlichkeitsschutz übertragen. Gemeinsam mit dem Partner Leitwert, einem Digital-Startup der ETH Zürich, werden diese Patientendaten sicher im Spital aufgenommen und ausgewertet. Dazu entwickelte Leitwert das Device Hub, das innerhalb der geschlossenen Firewall des Spitalökosystems Daten direkt in das klinische Informationssystem einspeist. Aktuell haben Leitwert, die Firma Cisco und das Universitätsspital Basel eine neuartige Lösung vorgestellt, um Daten per Bluetooth via Cisco Access Points zu übertragen. Ein registriertes Wearable verbindet sich innerhalb des Spitals automatisch mit einem nahen Access Point, wodurch sich Patient:innen frei innerhalb des Spitals bewegen können und dennoch nahtlos und sicher überwacht werden. Das heißt, die Daten verlassen zu keiner Zeit die geschützte Umgebung des Spitals und werden nicht – wie sonst bei Smartwatches üblich – in der Cloud des Herstellers gespeichert und von diesem potentiell zweitverwertet. Die Datensicherheit und die Persönlichkeitsrechte der Patient:innen sind somit systematisch gewährleistet.
Medizinische Wearables können den Mitarbeitenden helfen, Kontakte mit infektiösen Patient:innen zu reduzieren, indem die Vitalparameter digital visualisiert werden. Außerdem sollen sie Patient:innen motivieren, sich schon im Krankenhaus mehr zu bewegen, um eine HAD zu vermeiden.
Sind die Patient:innen dann nach Hause entlassen, können sie ihr medizinisches Wearable über Bluetooth mit ihrem Smartphone verbinden, von wo ihre Daten dann Ende-zu-Ende verschlüsselt ebenfalls ins Spital übertragen werden. Den Support leistet im Hintergrund ein Telemedizin-Provider, der selektiv vom Spital Zugang zu den Patientendaten erhält. Durch das Aufbrechen der Spitalgrenzen und den vollkommen barrierefreien Übergang der Daten vom Spitalsetting nach Hause und zurück ins Spital ist ein nahtloser Informationsfluss möglich: von den Patient:innen, deren Angehörigen und Pflegenden hin zu den Ärzt:innen im Spital und wieder zurück. In einer Studie mit kardiologischen Patient:innen wird unter kontrollierten Bedingungen untersucht, ob Patient:innen früher in die poststationäre Nachsorge nach Hause entlassen werden können. Bisher bleiben Patient:innen nach kardiologischen Interventionen präventiv mehrere Tage zur Überwachung im Spital. Durch einen telemedizinisch begleiteten und mittels medizinischer Wearables überwachten Transfer vom stationären Aufenthalt zum Hausarzt könnten diese Patient:innen bis zu zwei Tage früher entlassen werden. Die Patient:innen bleiben dabei zu jeder Zeit engmaschig überwacht und sicher betreut – sie erholen sich im vertrauten Umfeld zuhause mit dem guten Gefühl einer zuverlässigen, fachärztlichen Betreuung. Die verkürzte stationäre Verweildauer führt gleichzeitig zu einer systemischen Kostenreduktion.
Am Universitätsspital Basel hat man sich sehr früh überlegt, wie sich Wearables innerhalb des Kliniksettings nutzen lassen. Patient:innen auf der Normalstation wurden mit entsprechenden Geräten ausgestattet und ihre Daten auf einem Dashboard visualisiert: Dabei sind diejenigen Geräte grün dargestellt, die gerade bei Patient:innen sind und deren Vitalparameter im Normbereich liegen. Sobald die Vitalparameter problematische Werte erreichen, springt die Anzeige um auf Rot. Auf diese Weise hilft ein solches System dabei, Patient:innen effizient und sicher zu überwachen. Gerade in Pandemiezeiten kann dies besonders hilfreich sein und zum Schutz des Klinikpersonals beitragen. Denn das Patienten-Monitoring ist gewährleistet, trotzdem können direkte Kontakte mit Patient:innen in Isolation – und damit die Ansteckungsrisiken – reduziert werden.
Ein weiteres Anwendungsbeispiel für Wearables im Krankenhaus befasst sich mit der Mobilisierung von Patient:innen. Studien haben gezeigt, dass Immobilität und Bettlägerigkeit zu Komplikationen und verzögertem Heilungsverlauf führen können. Patient:innen sind nur 0,2 bis 9 Prozent des Tages aktiv, das heißt, sie stehen oder gehen. Mehr als 91 Prozent der Zeit hingegen sind sie inaktiv, sie liegen oder sitzen.1 Es ist jedoch vielfach belegt, dass bei fehlender Mobilisierung das Risiko für im Krankenhaus erworbene Krankheiten (Hospital Acquired Disease, HAD) stark ansteigt. So entwickeln 30 Prozent der über 65-Jährigen eine HAD.2 So gesehen sind die Patient:innen selbst eine nicht genutzte Ressource für ihren Heilungsprozess. Das SHIFT-Projekt arbeitet mit der Initiative „Hospital in Motion“ zusammen, um die Mobilisierung von Patient:innen digital zu unterstützen. Ziel dieser Initiative leitender Physiotherapeut:innen Schweizer Spitäler ist es, den Patient:innen individuelle Aktivitätsziele zu setzen und diese im Blick zu behalten, um so die physische Aktivität zu fördern. Dabei kommen nicht nur Medizinprodukte, sondern auch unregulierte Geräte wie Fitnesstracker und Motivations-Apps zum Einsatz. Die Patient:innen werden geschult und motiviert, ihre Aktivität zu steigern. Im Ergebnis eine effiziente Methode, die Genesung der Patient:innen zu unterstützen, Folgekomplikationen zu reduzieren und letztlich Kosten zu sparen.
Digitale Lösungen im Gesundheitsbereich haben das Potenzial, die unterstützenden Prozesse in der Organisation zu vereinfachen und zu verbessern und sie können direkt Einfluss auf die Sicherheit und die Genesung der Patient:innen nehmen. Es gibt viele Forschungsprojekte und Innovationen in diesem Bereich, dennoch gelingt der Transfer in die Praxis nicht immer. Eine klare Lösungsorientierung und eine multiperspektivische Betrachtung sind entscheidend, denn neue Technologien sind kein Selbstzweck und eine Studie ist noch kein Produkt. Das Forschungsprojekt SHIFT will praxistaugliche Lösungsansätze entwickeln und den Transfer in den klinischen Alltag bestmöglich vorbereiten. Ein Expertengremium aus namhaften Vertreter:innen des Schweizer Gesundheitswesens hat den Auftrag, die inhaltliche Qualität und die wirtschaftliche Relevanz sicherzustellen und damit zur nachhaltigen Verankerung der Smart-Hospital-Lösungen beizutragen. Digitale Innovation im Gesundheitswesen wird nur gelingen, wenn die Bedürfnisse der Patient:innen, vom Gesundheitspersonal und von den Angehörigen berücksichtigt werden, aber auch die ökonomischen und regulatorischen Rahmenbedingungen des Spitals damit in Einklang gebracht werden.
Literatur
Brown et al., 2009; Fazio et al., 2020; Mudge et al., 2016; Pedersen et al. 2013
Loyd et al., 2020
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