Digitale Lösungen gewinnen auch in der Gesundheitswirtschaft und der Industrie an Bedeutung. Die Coronapandemie leistet der Digitalisierung immensen Vorschub, Krisen sind wie so oft Treiber des Fortschritts. Doch wie können wir erreichen, dass die Chancen der Digitalisierung auch beim Verbraucher, dem Patienten, ankommen?
Ein Kommentar von Prof. Dr. Herbert Rebscher, IGV research
Bereits seit einem Jahr begleitet uns nun schon das SARS-CoV-2-Virus – und es beschäftigt nicht nur unsere Gesundheitssysteme, sondern es war auch ein maßgeblicher Treiber in der Digitalisierung des Gesundheitswesens: Zahlreiche neue digitale HealthCare-Lösungen, die in direktem Zusammenhang mit der Pandemie stehen, haben den Markt erobert. Prominentestes Beispiel ist die Corona-Warn-App. Ende Dezember 2020, etwa sechs Monate nach Veröffentlichung der App, zog das Robert-Koch-Institut (RKI) zwar eine positive Zwischenbilanz: Über 24 Millionen Mal wurde die Corona-Warn-App inzwischen heruntergeladen. Mehr als 90 Prozent der niedergelassenen Labore, die PCR-Tests anbieten, sind mittlerweile an die Infrastruktur der App angeschlossen und auch die Anbindung der klinischen und öffentlichen Labore schreitet voran. Zwischen 50 und 60 Prozent derjenigen, die ein positives Testergebnis über die App erhielten, haben sich nach Angaben des RKI im Anschluss dafür entschieden, diese Information mitzuteilen. Aber die notwendige Durchdringungsrate und Nutzungsquote, vor allem aber die technisch mögliche Melde- und Nachverfolgungsfunktion bleibt weit hinter den epidemiologisch wünschenswerten Hoffnungen zurück und damit der Nutzen begrenzt.
Auch die Corona-Datenspende-App, die ebenfalls auf Initiative des RKI entwickelt wurde, gehört zu den digitalen Produkten der Coronapandemie. Inzwischen haben über eine halbe Million Menschen, die Fitnesstracker nutzen, dem RKI über diese App gesundheitsrelevante Daten zur Verfügung gestellt. Weitere Beispiele für neue digitale Lösungen im Zusammenhang mit COVID-19 sind das DIVI-Intensivregister, das die Kapazität der Intensivbetten in Deutschland erfasst, die Möglichkeit zu Videosprechstunden, und ein neues Gesetz zur Ausweitung dieser Sprechstunden auf andere Heilmittelerbringer. Auch digitale Home-Monitoring-Tools zur Überwachung von Patienten in Quarantäne gehören dazu – alles sehr gute Beispiele, die aufzeigen, wie uns digitale Technologien dabei helfen können, Herausforderungen im Gesundheitswesen zu meistern und welche Chancen sich durch eben diese Technologien ergeben.
Zwar sind die genannten Entwicklungen in der Pandemie quasi aus der Not heraus geboren, dennoch werden sie die Digitalisierung im Gesundheitssektor nachhaltig prägen. Auch die Politik hat einige Initiativen auf den Weg gebracht: So wurde unter anderem das Health Innovation Hub (hih) ins Leben gerufen. Es besteht aus einem Expertenteam, das das Thema Digitalisierung im Auftrag des Gesundheitsministeriums (BMG) vorantreibt. „Eine Art „Think tank“ für das BMG“, wie Chairman Debatin in seinem einführenden Vortrag zum Auftakt der Roche Tage im November 2020 sagte.
Elektronische Patientenakte ePA: Der „digitale Zwilling“ des Patienten – Mitte 2021 können alle 70 Millionen Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherung mit den knapp 200 000 niedergelassenen Ärzten, Therapeuten und Krankenhäusern verbunden sein.
Verbraucherportal gesund.bund: Es liefert Informationen rund um das Thema Gesundheit.
KIM Kommunikation im Medizinwesen: Mit dem Kommunikationsdienst KIM ist es für Praxen zukünftig möglich, medizinische Dokumente elektronisch und sicher über die Telematikinfrastruktur (TI) zu versenden und zu empfangen.
„e-Rezept“: Es soll ab 2022 für verschreibungspflichtige Arzneimittel eingeführt werden. Dann können ärztliche Verordnungen zu verschreibungspflichtigen Arzneimitteln elektronisch erstellt und übermittelt werden.
Die „Apps auf Rezept“: Seit September gibt es die so genannten digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) – bis November waren fünf Apps für Krankheiten niedriger Risikoklassen, darunter Adipositas, Depressionen und Arthrose, verschreibungsfähig.
Digitalisierung der Krankenhäuser: 4,3 Milliarden Euro des Bundes und der Länder fließen in das „Zukunftsprogramm Krankenhäuser“.
Aus dem Vortrag von Prof. Dr. Jörg F. Debatin, Chairman des Health Innovation Hub (hih), zum Auftakt der Roche Tage 2020.
Und wie sieht es mit der Digitalisierung unserer Labore aus? Digitalisierung, Big Data, Künstliche Intelligenz, der Umgang mit Algorithmen – all das sind Schlagworte der Stunde und haben schon lange in den Laboratorien Fuß gefasst. Nicht zuletzt der Fachkräftemangel leistet dieser Entwicklung noch Vorschub. Wir sind bereits auf einem guten Weg, doch bis es in den Laboren keine digitalen Kommunikations- und Medienbrüche mehr gibt und alle Schnittstellen reibungslos ineinandergreifen, ist es noch ein langer Weg.
Aus der Perspektive der Kostenträger tauchen mit zunehmender Digitalisierung viele neue Fragen auf. Nicht zuletzt, da mit Tech-Playern wie Google und Co. auch eine neue Klasse von Leistungserbringern im Gesundheitssektor entsteht, für die Lösungen zur Abrechnung gefunden werden müssen. Außerdem ist zu klären, inwieweit die Finanzierung über die GKV im internationalen digitalen Kontext überhaupt noch funktioniert.
Auch in den deutschen Kliniken funktioniert bereits einiges, aber längst nicht alles digital. An vielen Orten finden sich noch veraltete Technologien und es mangelt an Standardisierung – so werden beispielsweise auch heute noch Formulare ausgedruckt und nach dem Ausfüllen wieder eingescannt. Solche Prozesse stellen einen Anachronismus im Digitalisierungsprozess dar und sollten meiner Meinung nach unbedingt beseitigt werden.
Um Medienbrüche zu verhindern und gleichzeitig ein hohes Maß an Datenschutz zu gewährleisten, fordern Experten darüber hinaus eine übergreifende Daten-Infrastruktur – eine europaweite Cloudlösung würde so manchen digitalen Prozess vereinfachen, die Zusammenarbeit erleichtern und die Effizienz der Maßnahme verbessern.
Bei all den technischen Fragestellungen, die die zunehmende Digitalisierung mit sich bringt, sollte man die Menschen, um die es geht, nicht aus den Augen verlieren. Wir müssen Bürgerinnen und Bürger mitnehmen und fit machen für das digitale Zeitalter. Oberstes Ziel: Die Chancen der Digitalisierung sollten auch bei Verbrauchern und den Patienten ankommen!
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