Medizinische Labore haben komplexe Arbeitsprozesse und zählen zu den größten Datenlieferanten im Gesundheitswesen. Digitalisierung kann ihre Arbeit einfacher, effizienter und für alle Beteiligten transparenter machen – entlang der gesamten Probenreise von der Blutabnahme in der Klinik oder niedergelassenen Praxis bis zur Archivierung der Probe. Die Entwicklung zur Digitalisierung ist dabei Chance und Herausforderung zugleich. Anlässlich des Roche Laborforums im Oktober 2023 in Mannheim gewährten vier Experten Einblick in die Arbeitsabläufe ihrer Labore. Im Vordergrund standen dabei die Optimierung der Prozesse entlang der gesamten Probenreise mit digitalen Tools, aber auch die Hürden, die es auf diesem Weg zu überwinden oder zu umfahren gilt.
Christian Schieg, Smart4Diagnostics GmbH in München, Senior Operations and Partnership Manager
Dr. André Körner, Centrum für Blutgerinnungsstörungen und Transfusionsmedizin (CBT) in Bonn, Leitung Kommunikation & Entwicklung
Nikolaus Wintrich, Labor Berlin – Charité Vivantes GmbH, Chief Operating Officer
Prof. Dr. Ralf Lichtinghagen, Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Klinische Chemie, Leitender Klinischer Chemiker
Die Reise einer Probe, die Sample Journey, umfasst viele Stationen und Orte, viele Prozessbeteiligte und Arbeitsschritte, viele Daten und Schnittstellen. Dabei durchläuft die Probe die Stationen in einer bestimmten Reihenfolge: Von der Laboranforderung, die auf einer medizinischen Fragestellung beruht, der wiederum Anamnese und bereits erhobene Untersuchungsergebnisse zugrunde liegen, geht es zur Präanalytik. Diese umfasst die Probenentnahme, den Transport sowie die Probenannahme und -vorbereitung. Nach der Probenanalyse, Befundung und Interpretation müssen die Proben archiviert und die Befundinterpretation übermittelt werden, damit die im Labor erzeugten Daten Ärzt:innen und ihren Patient:innen für Diagnosestellung und Therapieplanung zur Verfügung stehen. Auch heute umfasst dieser komplexe Prozess noch viele manuelle Tätigkeiten, samt den damit verbundenen, zahlreichen Fehlerquellen. Digitalisierung entlang der kompletten Sample Journey kann deshalb zu mehr Effizienz, Transparenz, geringerer Fehleranfälligkeit und höherer Datenqualität führen.
Große Chancen sieht Nikolaus Wintrich von Labor Berlin in einer besseren Vernetzung der anfordernden Ärzt:innen mit den Labormediziner:innen – und zwar gleich zu Beginn der "Patient-Journey". „Es ist immer hilfreich zu wissen, welche medizinische Fragestellung hinter einer angeforderten Labordiagnostik steht. Dieser Kontext ermöglicht es dem/der Labormediziner:in, bestmöglich entlang des diagnostischen Pfades zu unterstützen“, betonte er. Labormedizin ist eine komplexe Disziplin, die sich ständig weiterentwickelt mit neuen Parametern und Analysemöglichkeiten. Für Ärzt:innen ist es eine große Herausforderung, ihr Wissen im Bereich der Labormedizin und -technologie immer auf dem neuesten Stand zu halten. Labormediziner:innen können hier durch ihre Fachexpertise einen großen medizinischen Mehrwert stiften – wenn sie denn frühzeitig im Anforderungsprozess zu Rate gezogen werden, um beispielsweise bereits anhand bestimmter Symptome oder medizinischer Fragestellungen passende Laboranalysen vorzuschlagen. Hierzu braucht es unkomplizierte digitale Lösungen, die die Kommunikation zwischen behandelnden Ärzt:innen und Labormediziner:innen unterstützen.
Sind die geeigneten Laborwerte ausgewählt, geht es im nächsten Schritt zur Präanalytik: also Probenentnahme in der Praxis oder auf Station, Transport zum Labor, dort dann zur Probenannahme und Vorbereitung auf die Analyse. „62 Prozent der Fehler passieren in der Prä-Präanalytik, also noch bevor die Proben das Labor erreichen“, betont Christian Schieg von Smart4Diagnostics GmbH. Hier setzen digitale Lösungen wie das
Grundsätzlich kann man feststellen, dass in medizinischen Laboren die Digitalisierung bereits recht weit fortgeschritten ist. Dennoch gibt es auch hier noch einige Herausforderungen und Potenziale. „Wir haben bei Labor Berlin rund 500 Geräte, die ihre Daten an das Laborinformationssystem (LIS) senden“, erklärt Wintrich. „Die dabei verwendeten Inhalte, Formate und Schnittstellen sind jedoch nicht vollumfänglich standardisiert. Weiterhin bringt fast jedes Analysesystem eine eigene Middleware bzw. Bediensoftware mit.“ Das heißt, dass in einem Labor wie der Labor Berlin – Charité Vivantes GmbH rund 100 verschiedene IT-Systeme (nur für die Analytik) im Einsatz sind. „Dies schafft zwar einerseits die gewünschten Effizienzen, indem beispielsweise Messwerte automatisch übertragen werden. Auf der anderen Seite verursacht diese höchst komplexe Systemarchitektur immense Kosten und stellt uns zunehmend vor große Herausforderungen“, so Wintrich. Nicht nur verursache jedes Gerät, das ans LIS angeschlossen werden soll, mitunter erhebliche Kosten. Vielmehr stellen zunehmend regulatorische Vorgaben (z.B. BSI-Kritis, IVDR, DSGVO) Anforderungen an die Laborbetreiber und Hersteller, die mit enormen zusätzlichen Aufwänden verbunden sind.
Bei der Interpretation der Messwerte sind bereits einzelne Clinical Decision Support Systeme im Einsatz. Die Möglichkeiten klinisch validierter digitaler Algorithmen sind jedoch laut Professor Ralf Lichtinghagen von der Medizinischen Hochschule in Hannover noch längst nicht ausgeschöpft. Mit der
Digitale Marker können also zuverlässige Entscheidungshilfen für Ärzt:innen und Patient:innen sein, die in der Lage sind, diagnostische Lücken zu schließen. Wichtig ist es jedoch auch, ihre Anwendung nahtlos in die bestehenden automatisierten Arbeitsabläufe und IT-Systeme zu integrieren, beispielsweise über die navify Algorithm Suite.
Es gibt bereits viele gute Ansätze, die Digitalisierung der Sample Journey voranzubringen und so zu gestalten, dass Labore, Ärzt:innen und Patient:innen davon profitieren. Dennoch waren sich alle Experten einig, dass die Industrie in der Verantwortung steht, den Weg weiterzugehen, bestehende Hürden abzubauen sowie offene Bedarfe zu decken. Auf der Wunschliste ganz oben rangierte dabei die Forderung, proprietäre Firmengrenzen in der IT abzuschaffen, um so die Integration der Analysegeräte zu vereinfachen. Zudem bestehen intersektorale Probleme zwischen Laboren und Praxen, die es anzupacken gilt. Auch mobile Anwendungen könnten noch mehr Nutzen bringen, wenn sie weiter ausgebaut werden. Vor allem aber: Es gibt noch viele Indikationen, bei denen klinisch validierte Algorithmen einen medizinischen Mehrwert schaffen würden. Industrie und Anwender:innen sind hier gleichermaßen gefordert, gemeinsam die Möglichkeiten der Digitalisierung in Labor, Klinik und Praxis zu verbessern und damit den medizinischen Nutzen zu erhöhen.
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