Das medizinische Labor befindet sich im Wandel, die Digitalisierung schreitet in hohem Tempo fort. Welche Chancen, aber auch welche Limitierungen sie mit sich bringt, stand im Mittelpunkt des Roche Webinars Health.0. Dr. Hans Georg Mustafa, Inhaber des Labors Dr. Mustafa, Dr. Richter medilab GmbH in Salzburg und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Laboratoriumsmedizin und Klinische Chemie, teilte seine Erfahrungen und strategischen Überlegungen zur Digitalisierung mit den Teilnehmenden. Sein Fazit: Der Prozess hin zu einem noch digitaleren Labor ist unumkehrbar, die Chancen liegen im technischen, medizinischen und im administrativen Bereich. Aber auch: Digitalisierung und Artificial Intelligence (AI) sind kein Allheilmittel, ein Roboter ersetzt keine Laborfachkraft, eine Korrelation ist keine Kausalität – und ein AI-basierter Algorithmus macht noch keinen Laborarzt.
Dr. Hans Georg Mustafa
Facharzt für med. chem. Labordiagnostik und
Geschäftsführer Labor Dr. Mustafa,
Dr. Richter – medilab GmbH
Die Digitalisierung im Labor hat in den letzten Jahren einen immensen Sprung gemacht. Zwar nahm die Entwicklung schon vor der Corona-Pandemie an Fahrt auf, aber die Pandemie zwang die Labore zur extremen Skalierung und trieb die schon im Gang befindliche Digitalisierung im Labor kräftig voran. Selfsampling entwickelte sich in dieser Zeit zur Selbstverständlichkeit, ebenso der Befundabruf auf mobilen Geräten durch die Patient*innen selbst. Workflows wurden weiter digitalisiert, beispielsweise werden Roboter für die Reagenzbestückung eingesetzt oder die Patientendaten mit Hilfe von Artificial Intelligence aufbereitet.
Den Chancen und Möglichkeiten stehen aber auch Limitierungen gegenüber: „Die Digitalisierung wird meiner Erfahrung und Einschätzung nach nicht dazu führen, dass weniger Personal gebraucht wird – und wird damit auch die schwierige Suche nach qualifiziertem Personal nicht überflüssig machen“, hält Mustafa fest. Aber man könne mit konsequenter Laborautomation mehr Proben abarbeiten, ohne dass dieses Wachstum von einem gleich großen Wachstum beim eingesetzten Personal begleitet werden müsse. „Wir haben beispielsweise bei medilab trotz umfangreicher Laborautomation heute mehr Mitarbeitende denn je – aber das Wachstum bei den bearbeiteten Probevolumina ist noch größer als beim Personal“, berichtet Mustafa. Auch bei der Infrastruktur, etwa bei Lagerhaltung und Bestellprozess, sieht Mustafa großes Potenzial für Effizienzzuwächse durch die Digitalisierung. Auch hier gilt: Entsprechende AI-Software behebe Probleme wie gestörte Lieferketten und andere logistische Probleme nicht, aber intelligente Prozesse bedeuten auch bei der Infrastruktur, dass Labore solche Probleme schneller und effizienter in den Griff bekommen.
Der Nutzen von Laborleistungen für Patient*innen und Gesundheitssysteme steht und fällt mit der Qualität von medizinischen Entscheidungen, die dadurch realisiert werden können – und mit der Effizienz, mit der dies geschieht. Das bedeutet, dass die diagnostischen Prozesse möglichst automatisiert ablaufen und idealerweise auf intelligenten Regeln basieren müssen. „Wir haben bei medilab ein solches auf Artificial Intelligence beruhendes, komplexes Regelwerk in unserem weitgehend automatisierten Laborsystem eingebaut und dabei zwischen technischem und regelbasiertem medizinischen Reflextesting unterschieden“, so Mustafa. Durch dieses AI-basierte System bekommen die Labormediziner*innen mehr Patientendaten als angefordert, beispielsweise erhalten sie bei einer infektiologischen Labortestung von Patient*innen mit bestehender hämatologischer Systemerkrankung Daten aus dem Vorbefund. Das führt dann in der Folge dazu, dass andere Entscheidungen und Empfehlungen für das weitere Vorgehen resultieren können als aufgrund der Infektionsparameter allein. „Laborärzt*innen bekommen damit gleichsam automatisch zusätzliche Patientendaten, die relevant sind, und wissen daher, dass beispielsweise eine Immunsuppression vorliegt“, erklärt Mustafa.
Insgesamt bewertet Mustafa solche und auch weitergehende Einsätze von Artificial Intelligence als sinnvoll und wichtig, betont aber auch: „Die Arbeit der medizinischen Expert*innen wird keinesfalls überflüssig. Aber die Laborärzt*innen werden wirkungsvoll entlastet und bekommen den Überblick, an was alles zu denken ist. Und die relevanten Daten sind schneller verfügbar.“ Gerade bei der Identifikation von Risikogruppen sieht er großes Potenzial, etwa bei Darmkrebs, wo medilab aktuell den Einsatz von AI-basierten Algorithmen in ihrem Laborsystem erforscht. Hier entstehe ein medizinischer Nutzen, aber auch Kostenvorteile, denn dank einer leistungsfähigen Risikoklassifizierung könnte die Anzahl der Koloskopien verringert werden. Auch in Fragen der diagnostischen Abläufe und des Krankheitsmanagements, beispielsweise im Rahmen des Aktionsplans Sepsis, erwartet er eine spürbare Verbesserung des Behandlungserfolges und der Kosteneffizienz.
Die Qualität der verwendeten Datenbanken bestimmt wesentlich den Nutzen digitaler Marker für die klinische Entscheidungsfindung. Hier gebe es teilweise übertriebene Erwartungen; nach dem Motto, in der riesigen Datenmenge werde schon irgendein nützlicher Algorithmus etwas finden können. Mustafa betont aber: „Wir dürfen insbesondere bei retrograder Betrachtung der Daten nicht vergessen, dass eine Koinzidenz noch keine Korrelation und eine Korrelation auch noch keine Kausalität ist.“
Bei allen geschilderten Einschränkungen sind sein Fazit und seine Erwartungen aber positiv: „Die Digitalisierung im Labor hat Potenzial und schreitet fort. Wir müssen und können dabei keinen Anwendungsbereich ausklammern – weder den technischen, medizinischen noch den administrativen –, die Digitalisierung wird sich in allen Bereichen durchsetzen.“
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