Weltweit ist eine erhebliche Zunahme des Diabetes mellitus zu beobachten, insbesondere des Typ-2 -Diabetes. Dieser ist assoziiert mit einem deutlich erhöhten kardiovaskulären Risiko wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Durchblutungsstörungen der Beine, aber auch kardiovaskulärer Tod, was letztendlich 80 % der direkten Kosten bei Typ-2-Diabetes verursacht. Bei Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 liegen gleich mehrere Risikofaktoren vor. Neben der Hyperglykämie besteht meistens eine viszerale Adipositas, eine Fettstoffwechselstörung sowie eine arterielle Hypertonie; dies alles verbunden mit einer chronischen, subklinischen Entzündung.
Ein Beitrag von Prof. Dr. Stephan Jacob, Praxis für Prävention und Therapie, Villingen-Schwenningen
Aufgrund der engen epidemiologischen Zusammenhänge zwischen den vaskulären Komplikationen bei Diabetes mellitus und der Güte der Stoffwechseleinstellung, stand jahrelang die Normalisierung der Stoffwechseleinstellung im Vordergrund. Ziel war die Vermeidung von makrovaskulären und mikrovaskulären Komplikationen:
Makrovaskuläre Komplikationen: Koronare Herzerkrankungen (KHK), periphere (PAVK) und zerebrale Verschlusskrankheit (ZVK)
Mikrovaskuläre Komplikationen: Nervenschädigungen, Nierenerkrankungen (→ Dialyse) und Augenerkrankungen (→ Blindheit).
Damit verbunden war auch die Hoffnung, die kardiovaskuläre Mortalität und letztlich auch die Gesamtmortalität verringern zu können.
Allerdings konnten alle kontrollierten Studien, die eine strengere Stoffwechselkontrolle überprüften, wie UKPDS, ADVANCE, VADT und ACCORD*** nicht nachweisen, dass die Verbesserung des HbA1c, die makrovaskulären Ereignisse oder auch die Mortalität reduziert.1,8
Kurz gefasst: NT-proBNP
NT-proBNP ist ein kardiospezifischer Biomarker im kardiovaskulären Risikoassessment für die Primär- und Sekundärprävention.
NT-proBNP zeigt bessere Vorhersagekraft als HbA1c und Mikroalbuminurie für HHI – aber auch für das allgemeine KV-Risiko.
Der NT-proBNP-Grenzwert von 125 pg/ml
ist bereits gut etabliert bei der Diagnose „Herzinsuffizienz“ und zeigt auch das erhöhte Risiko für eine HHI an.
Mit ansteigenden Spiegeln von NT-proBNP ist das Risiko für HHI und kardiovaskuläre Erkrankungen erhöht.
Wird die Messung von NT-proBNP bald in der Praxis-Routine eingesetzt?
In der letzten Zeit wurde weiterhin offensichtlich, dass Komplikationen wie die Herzinsuffizienz (HI) bei Typ-2-Diabetes eine ganz besondere Rolle spielen und die Prognose sehr stark beeinflussen. Die Herzinsuffizienz bei Typ-2-Diabetes findet sich nicht nur häufiger, sie tritt auch im deutlich jüngeren Alter auf 2,3 (s. Abb. 1).
Abb. 1: Diabetes als unabhängiger Risikofaktor für Herzinsuffizienz:
HI war bei Personen mit Diabetes Typ 2 nicht nur häufiger, sie trat auch früher auf (Auswertung elektronischer Patientenakten bei 9591 Patienten). Mod. nach Nichols GA, et al. Diabetes Care. 2001;24:1614–1619
Menschen mit HI haben eine wesentlich schlechtere Prognose: Die Lebenserwartung ist derart reduziert, dass die 5-Jahres-Überlebenszeit vergleichbar ist mit beispielsweise dem Colonkarzinom oder dem Prostatakarzinom.4
Die Herzinsuffizienz kann mit einer reduzierten (HFrEF) oder erhaltenen Auswurffraktion (HFpEF) einhergehen; pathophysiologisch stehen ischämische, inflammatorische, metabolische und mikrovaskuläre Mechanismen zur Diskussion. Beide Mechanismen kommen bei Menschen mit Typ-2-Diabetes auch besonders häufig gleichzeitig vor, was auch das deutlich frühere und vermehrte Auftreten der HI erklärt (s. Abb. 2).
Abb. 2: Diabetes kann durch atherosklerosevermittelte und durch atheroskleroseunabhängige Mechanismen zu HI führen.
Mod. nach de Simone G, et al. J Hypertens. 2010;28(2):353–360 und Redfield MM: N Engl J Med. 2016;375:1868–1877
Die Registeruntersuchungen von Birkeland et al. beschreiben, dass bisher gesunde Typ-2-Diabetiker ohne kardiovaskuläre Vorerkrankungen im Verlauf nicht primär Herzinfarkte, Schlaganfälle oder peripher arterielle Gefäßprobleme entwickeln, sondern zuerst vermehrt kardiorenale Ereignisse. Diese sind definiert als Entwicklung einer Herzinsuffizienz, einer Verschlechterung der eGFR** oder ein Auftreten oder eine Verschlechterung einer Mikro- oder Makroalbuminurie.5
Interessanterweise wiesen genau die Patienten, die diese kardiorenalen Komplikationen entwickelt hatten, im weiteren Verlauf auch eine bis zu 5-fach erhöhte Rate an Herzinfarkt und Schlaganfall auf (s. Abb. 3). Demnach stellen diese kardiorenalen Auffälligen eine besondere Risikogruppe dar.5
Abb. 3: Erste Manifestation einer Diabetes-Komplikation bei Patienten, die initial keine Herzkreislauf- oder Nierenerkrankungen hatten.
Mod. nach Diabetes Obes Metab. 2020;1–12
Aus diesem Grund ist eine frühzeitige Diagnose und Erkennung sowie eine rechtzeitige Intervention bei diesen Menschen mit besonders hohem Risiko sehr sinnvoll (s. Abb. 4).
Abb. 4: Risikoerkennung in der Praxis.5
Mod. nach Diabetes, Stoffwechsel und Herz, Band 30, 1/2021
Neben der zum Beispiel echokardiografischen Erhebung der Ejektionsfraktion (EF) ermöglicht die Bestimmung der kardialen Marker BNP und NT-proBNP eine Risikoabschätzung, die auch bei Menschen mit Typ-2-Diabetes ein wichtiger Diagnosemarker und eine Entscheidungshilfe sein kann. So zeigten Scirica et al. (2014)6 in der kardiovaskulären Studie SAVOR-TIMI, die die Sicherheit des selektiven Dipeptidyl-Peptidasehemmers 4, Saxagliptin, untersuchte, dass bei einem Cut-off des NT-proBNPs über 125 pg/ml sehr gut das Risiko für eine Hospitalisierung bei HI vorhergesagt werden konnte (s. Abb. 5).
Steigt der NT-proBNP Wert im Verlauf der Beobachtung an, so ist dies auch mit einer höheren Rate an kardiovaskulären Ereignissen assoziiert (s. Abb. 6).7
Abb. 5: Die Vorhersage des Hospitalisierungsrisikos ist bei einem Cut-off des NT-proBNPs über 125 pg/ml sehr gut möglich (DECLARE-Studie).6
(Mod. nach Scirica et al. Circulation. 2014;(Supp)130:1579–88)
Abb. 6: Serielles Monitoring von NT-proBNP bei Patienten mit Typ-2-Diabetes (EXAMINE)7
Glukosesenker reduzieren die Hospitalisierung für Herzinsuffizienz
Die kardiovaskulären Endpunktstudien bei Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 machten in den letzten Jahren deutlich, dass die neuen Substanzen der SGLT2-Hemmer eine besonders schnell einsetzende Senkung der Hospitalisierung für Herzinsuffizienz bewirken (s. auch Abb. 7) – und dies nicht nur bei Menschen mit bereits bestehender kardiovaskulärer Erkrankung oder Herzinsuffizienz. Schlussendlich zeigten DAPA-HF und EMPEROR Reduced auch bei Menschen ohne Diabetes mellitus Typ 2 diese Vorteile!8
Abb. 7: Hospitalisierung aufgrund von HI
Verschiedene Endpunktstudien zeigen übereinstimmend, dass sich die Hospitalisierungsrate durch SGLT2-Hemmer schnell senken lässt.9,10,11,12 Stellvertretend für diese Studien sind hier die Ergebnisse der EMPA-REG-Studie dargestellt.9
Aus den oben genannten Zusammenhängen wird deutlich, dass eine Früherkennung von Menschen mit erhöhtem Risiko für Herzinsuffizienz und auch für kardiovaskuläre Ereignisse durch Labor-Marker wie NT-proBNP, eGFR oder Albuminurie auch in der Praxis möglich ist. Da es auch effektive und evidenzbasierte Therapiemöglichkeiten gibt, sollte und kann die Herzinsuffizienz heute in der Praxis bereits früher diagnostiziert und therapiert werden.
Verma et al. (2019) und nun auch die neuen Leitlinien zur ESC-Herzinsuffizenz empfehlen daher auch die Messung des NT-proBNP zur Risikoabschätzung bei Menschen mit Typ-2-Diabetes (s. Abb. 8).13
Abb. 8: Prädiktoren für Herzversagen bei Typ-2-Diabetes: Empfehlung für die Praxis.13
Nach all diesen Beobachtungen gilt es, die „kardiorenal“ Gefährdeten unter den Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 zu identifizieren. Daher ist zu überlegen, dass neben der normalen Risikofaktoren-Stratifizierung und Kontrolle in der Praxis auch zusätzliche Marker benutzt werden, wie der zeitliche Verlauf der eGFR, die Entwicklung oder die Reduktion einer Mikroalbuminurie und das Auftreten von einer Erhöhung von NT-proBNP. Dieses alles könnte in der Praxis überwacht werden. Zeigen sich hier Auffälligkeiten, sollte umgehend eine weiterführende Diagnostik und prognoseverbessernde Therapie mit Medikamenten, z. B. SGLT2-Hemmern, eingeleitet werden.
Die Empfehlungen der Fachgesellschaften wurden entsprechend angepasst (s. Abb. 9)14 und sehen als oberstes Therapie-Ziel die Reduktion des kardiorenalen Risikos. Daher sollen die prognose-verbessernden Medikamente auch unabhängig vom HbA1c eingesetzt werden. Ein breites multimodales Risikomanagement inklusive evidenzbasierter Glucose-senkender Therapie ist die Anforderung für ein gutes Diabetes Management 2021!
Abb. 9: Diagnosealgorithmus der European Society of Cardiology (ESC) für Herzversagen.14
Disclaimer: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in den Texten nur das generische Maskulinum verwendet. Es sind damit alle Personen unabhängig von ihrem Geschlecht gemeint.
* MACE: Major adverse cardiac event
** eGFR: Geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (estimated glomerular filtration rate)
*** Studien UKPDS, ADVANCE, VADT und ACCORD:
UKPDS:
UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) Group. Effect of intensive blood-glucose control with metformin on complications in overweight patients with type 2 diabetes (UKPDS 34). Lancet. 1998.352(9131):854–65.
ACCORD, ADVANCE:
Dluhy RG, McMahon GT. Intensive glycemic control in the ACCORD and ADVANCE trials. N Engl J Med. 2008;358(24):2630–3.
VADT:
Duckworth W, Abraira C, Moritz T, et al. Glucose control and vascular complications in veterans with type 2 diabetes. N Engl J Med. 2009;360(2):129–39.
Quellen
Jacob S, Schneider CA. Kommentar in Diabetes, Stoffwechsel und Herz 2021/1;Band 30
McMurray JJV et al. Lancet Diabetes Endocrinol. 2014 Oct;2(10):843–851
Gregory A et al. Diabetes Care 2001;24(9):1614–1619
Mamas MA et al. Eur J Heart Fail 2017;19(9):1095–1104
Birkeland KI et al. Diabetes Stoffw Herz 2021; 30(1):22–24
Scirica BM et al. Circulation 2014;130:1579–1588
Jarolim et al. 2018 Diab Care 2018;41:1510-1515
Jacob S et al. Drugs 202181(12):1373-1379
Zimman et al N Engl J Med 2015;373:2117–2128
Neal B et al. N Engl J Med 2017,377:644–657
Wiviott SD et al. N Engl J Med 2019; 380:347–357
McGuire DK Oral Presentation 2020; ADA-Kongress,Scientific Sessions
Verma et al Curr Optin Cardiol 2019;34:578–583
McDongagh et al. European Heart Journal 2021;42(36):3599–3726
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