Die Mehrzahl der Infektionen mit SARS-CoV-2 verlaufen mild oder gar ohne Symptome. Doch in einigen Fällen kann COVID-19 auch einen schweren klinischen Verlauf nehmen und zu Lungen- oder Multiorganversagen führen. Ein Fallbeispiel aus dem Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg zeigt, wie rasch die Erkrankung fortschreiten kann und welche Interventionsparameter sich bewährt haben.
Ein Beitrag von Prof. Dr. Rudolf Gruber, Institut für Labormedizin, Mikrobiologie und Krankenhaushygiene und Dr. Stefan Großmann, Klinik für Pneumologie und konservative Intensivmedizin – Krankenhaus Barmherzige Brüder, Regensburg
Am 10. April 2020 wurde ein 39-jähriger Patient ohne nennenswerte Vorerkrankungen und insbesondere ohne Hinweise auf Immunsuppression in der Klinik Barmherzige Brüder Regensburg stationär aufgenommen. Der Patient berichtete über Fieber bis 39°C, das seit einer Woche bestehe, sowie über Halsschmerzen und Husten. Eine Störung des Geschmacksinnes sei ihm nicht aufgefallen. Seit den letzten Tagen bestehe auch fortschreitende Kurzatmigkeit, vor allem bei Belastung.
Tag 1:
Bei Aufnahme zeigt sich eine Sauerstoff-Sättigung von 92% unter Raumluft, eine Atemfrequenz von 22/min und eine Herzfrequenz von 120/min. Im Labor findet sich eine Lymphopenie (0,8/nl), ein moderat erhöhtes CRP (85mg/l) sowie IL-6 (30pg/ml) und PCT (0,31ng/ml), die LDH liegt bei 485U/l, die D-Dimere sind im Normbereich. Im CT-Thorax (Abb. 1) zeigen sich zentral und peripher ubiquitäre Milchglaskonsolidierungen mit zusätzlichen, relativ dichten peribronchialen, sternförmigen Ausziehungen. Im Rachenabstrich lässt sich mittels PCR SARS-CoV-2 nachweisen.
Initial wird der Patient über Nasenbrille beziehungsweise Gesichtsmaske mit Sauerstoff versorgt. Durch diese Maßnahme lässt sich eine ausreichende Oxygenierung erreichen. Das PaCO2 (arterieller Kohlendioxidpartialdruck) liegt als Ausdruck eines moderaten "Respiratory drive" um 36mmHg.
Abb. 1: CT-Thorax am Aufnahmetag. Es zeigen sich zentral und peripher ubiquitäre Milchglaskonsolidierungen mit zusätzlichen, relativ dichten peribronchialen, sternförmigen Ausziehungen.
Tag 3:
Trotz Wechsel auf High-Flow-Sauerstoff (High Flow Nasal Canula, HFNC) mit einem Flow von 40l/min entwickelt sich am dritten stationären Tag eine zunehmende Oxygenierungsstörung. Die Atemfrequenz steigt an, der Patient empfindet progrediente Dyspnoe und setzt vermehrt seine Atemhilfsmuskulatur ein.
In der Blutgasanalyse zeigt sich unter einem FiO2 (inspiratorische Sauerstofffraktion) von 70% ein PaO2 (arterieller Sauerstoffpartialdruck) von 55mmHg. Der Horovitz-Quotient errechnet sich auf 78mmHg. In Zusammenschau der klinischen Befunde und der gemessenen Parameter in der BGA ergibt sich die Indikation zur invasiven Beatmung.
Tag 6:
Im CT-Thorax am sechsten Tag nach Aufnahme (Abb. 2) zeigen sich radiologische Kriterien eines schweren ARDS (Acute Respiratory Distress Syndrome) mit deutlicher Progression der Konsolidierungen.
Parallel zur klinischen und radiologischen Verschlechterung des Patienten zeigt sich in den begleitenden Laboruntersuchungen ein deutlicher Anstieg des CRP (maximal 653mg/l an Tag 6) und des IL-6 (Maximum bereits an Tag 4 mit 525,2pg/ml). Das PCT steigt nur moderat an (bis 0,64ng/ml).
Die D-Dimere bleiben bei dem Patienten, eher überraschend für den schweren klinischen Verlauf, konstant im nahezu normwertigen Bereich. Dazu passend lassen sich weder in den KM-CT-Untersuchungen des Thorax Lungenembolien oder duplexsonographisch tiefe Beinvenenthrombosen nachweisen. Erst nach Anlage der ECMO (extrakorporale Membranoxygenierung) kommt es erwartungsgemäß durch Gerinnungsaktivierung im extrakorporalen Kreislauf zu einem signifikanten Anstieg.
Weiterer Verlauf:
In der Folge entwickelt der Patient eine sekundäre pulmonale Infektion mit Staphylokokkus aureus. Erst nach insgesamt 46 Tagen kann der Patient vom Respirator entwöhnt werden und nach knapp drei Monaten stationärem Aufenthalt in bereits gut gebessertem körperlichen und neurologischen Allgemeinzustand in eine weiterführende Rehabilitationsklinik verlegt werden.
Abb. 2: CT-Thorax sechs Tage nach Krankenhausaufnahme. Es zeigen sich radiologische Kriterien eines schweren ARDS (Acute Respiratory Distress Syndrome)
erschiedene klinische Faktoren spielen eine große Rolle für die Morbidität und Mortalität der SARS-CoV-2-Infektion. Allem voran das Alter und bestimmte Komorbiditäten sind entscheidend für die Mortalität bei COVID-19-Patienten. Komorbiditäten nehmen mit dem Alter zu, sind aber auch unabhängig vom Alter Risikofaktoren. So wiesen in einer großen Kohortenstudie an über 10.000 Patienten in deutschen Kliniken nur 23% der 18- bis 59-jährigen Patienten, die nicht beatmet werden mussten, eine arterielle Hypertonie auf, aber 46% derselben Altersgruppe, die beatmet wurden. Ähnliches fand sich bei Diabetes mellitus und Herzrhythmusstörungen.
Mit der Notwendigkeit der Beatmung steigt die Mortalität erheblich. Während 16% der nichtbeatmeten Patienten verstarben, stieg die Mortalität bei den beatmeten Patienten auf 52,5%.1
Zytokinsturm / Komplementaktivierung / Endotheliitis
Die Mehrzahl der Infektionen mit SARS-CoV-2 verlaufen mild oder gar ohne Symptome. 10–20% der Infizierten entwickeln jedoch im Verlauf der COVID-19-Erkrankung eine Lungenentzündung mit zum Teil lebensbedrohlichen Auswirkungen.
Die Ursachen dieser schweren Verläufe sind immer noch nicht ausreichend geklärt. Hohe Entzündungswerte bei Patienten mit schweren Verläufen sprechen eigentlich für eine starke Immunreaktion, die klinischen Befunde sprechen dagegen eher für eine fehlgesteuerte Immunantwort. Möglicherweise führt die Immunantwort bei schweren Krankheitsverläufen von COVID-19 zu einer Dauerschleife aus Aktivierung und Hemmung.2 Trotz einer starken Immunantwort, die sich auch in hohen Antiköpertitern zeigt, kommt es zu schweren Verläufen mit Lungen- und Multiorganversagen. Ähnliche Mechanismen sind bei Patienten mit Sepsis bekannt. Häufig finden sich dabei stark erhöhte Zytokine, was als „Zytokinsturm“ bezeichnet wird.
Hyperkoagulabilität
Neben der starken Immunaktivierung spielt auch die Aktivierung des Gerinnungssystems, also ein Zustand einer Hyperkoagulabilität, eine wichtige Rolle in der Pathophysiologie der COVID-19-Infektion. Bereits in frühen Untersuchungen der Patienten in China zeigten sich Auffälligkeiten bei Gerinnungsparametern. Deutlich erhöhte D-Dimer-Werte waren mit sehr hoher Mortalität assoziiert. Weitere Untersuchungen, auch nach Autopsien, zeigten erhebliche Fibrinablagerungen in den Alveolen und Mikrothromben in den Lungengefäßen. Interessanterweise fanden sich auch Zeichen einer Endothelitis und Hinweise auf eine Aktivierung des Komplementsystems.
Blutgasanalyse (BGA)
Für die Indikation zur Verlegung eines Patienten auf die Intensivstation und gegebenenfalls maschinelle Beatmung spielen auf Seiten der Labordiagnostik vor allem die Ergebnisse der Blutgasanalyse eine wichtige Rolle.
In der Point-of-care-Untersuchung der Blutgase lässt sich die Ventilation als Funktion der Atempumpe (pCO2, Kohlendioxidpartialdruck) abschätzen beziehungsweise die Oxygenierung des arteriellen Blutes messen.
Die Pulsoximetrie als indirekte Methode zeigt im Vergleich zur arteriellen Blutgasanalyse Messdifferenzen bis +/- 4%, dies ist besonders ausgeprägt bei Sauerstoffsättigungen unter 80%.
Bei Patienten mit COVID-19 wurden extrem niedrige Sauerstoffsättigungswerte beschrieben, ohne dass diese Dyspnoe empfunden haben. Man spricht in diesem Zusammenhang von möglicher "stummer Hypoxie" oder bisweilen sogar von "Happy hypoxia".3
Als mögliche Ursachen für diese Diskrepanz kommen mehrere Faktoren in Frage:
Hypoxie induziert Dyspnoe durch die Stimulation der Medulla oblongata über Rezeptoren am Glomus caroticum.4
Ein Treshold für die Empfindung von Dyspnoe ist normalerweise ein PaO2<60mmHg. Es ist möglich, dass das SARS-CoV-2 über Bindung an Rezeptoren am Glomus caroticum dessen Ansprechen vermindert.
Im Alter und bei Patienten mit Diabetes-Folgeschäden nimmt zusätzlich die Empfindlichkeit des Atemzentrums für Hypoxie ab. Dabei ist Atemnot immer eine subjektiv empfundene Erfahrung und das Ausmaß der Dyspnoe korreliert nicht streng mit gemessenen pathologischen Parametern.
Das Atemzentrum ist höchstempfindlich für CO2-Anstiege im Blut. Bei Patienten mit COVID-19 finden die pulmonalen Läsionen primär am Endothel statt. Die Hypoxämie ist zu diesem Zeitpunkt ursächlich bedingt durch ein Ventilations-/Perfusionsmissmatch (verminderte hypoxisch bedingte Vasokonstriktion, gestörter Euler-Liljestrand Reflex). Die alveolo-arterielle Sauerstoffdifferenz nimmt deutlich zu. Diese lässt sich aus dem FiO2, dem PaCO2 und dem PaO2 berechnen:5
A-aO2-Gradient = [ (FiO2 × 713mmHg - (PaCO2/0.8) ] - PaO2
Trotz Ausbildung von bilateralen Konsolidierungen ("Milchglasinfiltrate") ist dabei die Compliance (Dehnbarkeit) der Lungen hoch.6 Der Patient muss noch keine vermehrte Atemarbeit leisten, die Atempumpe ist nicht erschöpft und das pCO2 bleibt im Normbereich.
In dieser Phase ist es möglich, unter engmaschiger klinischer Kontrolle und Monitoring der Blutgasparameter durch nicht-invasive Maßnahmen die respiratorische Situation kompensiert zu halten. Neben der konventionellen Sauerstoffgabe, kann über High-Flow-Sauerstofftherapie (HFNC) bis zur nicht-invasiven druckkontrollierten Beatmung eskaliert werden. In der Blutgasanalyse zu messende Erfolgskriterien wären eine Besserung der Sauerstoffsättigung, eine Normokapnie und Laktatwerte im Normbereich als Ausdruck einer ausreichenden Sauerstoffversorgung der Zielorgane ohne Hinweis auf ein (septisches) Schockgeschehen.
Bei Zunahme der pulmonalen Pathologie kann es zu einem Übergang in ein Stadium mit zunehmenden Konsolidierungen mit niedriger Compliance und hohem rechts/links-Shunt kommen.7 Dieser Übergang kann durch eine vermehrte inspiratorische Anstrengung seitens des Patienten ungünstig verstärkt werden ("Self inflicted lung injury"). Hier kann das fehlende subjektive Dyspnoempfinden des Patienten sich als kontraproduktiv erweisen. In dieser Phase muss daher der Patient sowohl klinisch (Beurteilung der Atemanstrengungen) als auch apparativ mittels engmaschiger Kontrolle der Blutgasparameter überwacht werden.
Dabei spielt der Horovitz-Quotient PaO2/FiO2 als Verlaufsparameter eine zentrale Rolle. Ein weiterer Parameter, der klinische Zeichen mit Blutgasanalysewerten vergleicht, wäre der ROX-Index = Sauerstoffsättigung/FiO2 geteilt durch die Atemfrequenz. Bei Werten unter 3,85 ist ein Versagen des HFNC-Konzeptes wahrscheinlich.6 Ein möglicher Algorithmus zur Differentialtherapie findet sich im Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie.8 Auch hier sind Labordaten aus der Blutgasanalyse mit klinischen Parametern zur Entscheidungsfindung verknüpft.
(Empfehlungen zur Beatmungstherapie s. Abb. 3, mod. nach 9).
Abb. 3: Empfehlungen zur Beatmungstherapie von Patienten mit COVID-19 (mod. nach 9)
Weitere Laboruntersuchungen
Entsprechend den pathophysiologischen Abläufen spielen einige Laborparameter eine wichtige Rolle bei der Verlaufskontrolle von schweren COVID-19-Erkrankungen (Tab. 1, in Anlehnung an 11 ; Abb. 4, mod. nach 10). Einige typische Veränderungen von Laborparametern bei COVID-19 können bereits in einer frühen Phase der Erkrankung, in der die Patienten klinisch noch keine gravierende Symptomatik aufweisen, wichtige Hinweise auf die Prognose geben. Dies hat auch entscheidenden Einfluss auf das weitere Vorgehen bei der Versorgung der Patienten. Kann man den Patienten in die häusliche Quarantäne und hausärztliche Betreuung entlassen? Muss der Patient in die Klinik aufgenommen werden? Auf die Intensivstation? Besteht ein relevantes Risiko, dass der Patient maschinell beatmet werden muss?
Typisch für einen schweren Verlauf ist eine Lymphopenie und ein hohes IL-6 – in gewisser Weise ein Ausdruck einer Dysbalance der Immunantwort. Weiter ist ein hohes D-Dimer ein Zeichen der Hyperkoagulabilität. Hohes bis sehr hohes Ferritin ist ebenfalls typisch in einem Teil der schweren Verläufe. Hier könnte eine starke Aktivierung der Makrophagen, vergleichbar beispielsweise mit der hämophagozytischen Lymphohistiozytose, ursächlich sein.
Steigen organspezifische Biomarker wie Kreatinin, GPT, Troponin und CK an, kann das ein Ausdruck einer Organbeteiligung bis hin zum Organversagen sein. Hinweise auf Komplikationen, wie zum Beispiel eine bakterielle Superinfektion oder Sepsis, ergeben sich beispielsweise durch den Anstieg von CRP, PCT und der Neutrophilenzahl (Tab. 1). Als Konsequenz ergibt sich die Indikation zur (erweiterten) Antibiotikatherapie.
Abb. 4: Laborparameter von Überlebenden und Nicht-Überlebenden (mod. nach 10)
Hinter einigen gemessenen Veränderungen von Biomarkern stehen, wie bereits beschrieben, pathophysiologische Abläufe. Daraus ergeben sich Ansätze für Therapiestudien, aber auch Therapieindikationen für den individuellen Patienten. Zur Gegensteuerung der Immunaktivierung und dem häufig fatal endenden Zytokinsturm laufen einige Studien mit anti-IL-6-Antikörpern und anderen Immunsuppressiva. Stark erhöhte IL-6 Konzentrationen können auch jetzt schon Anlass einer intensivierten immunsuppressiven Therapie sein. Bei erhöhten D-Dimer-Werten gibt es Ansätze, durch eine verstärke Antikoagulation gegenzusteuern, um das Risiko von Thrombosen und Embolien zu vermindern. Allerdings gibt es bisher noch nicht ausreichend Daten, zum Beispiel aus Interventionsstudien, um anhand von Laborveränderungen bestimmte Medikamente gezielt und individuell einzusetzen.
1 Karagiannidis et al. 28. Juli 2020, https://doi. org/10.1016/S2213–2600(20)30316–7
2 Couzin-Frankel, J. Science 2020. 368(6490):455–456
3 Schulte-Schrepping et al. CELL 2020. DOI: 10.1016/j.cell.2020.08.001
4 Tobin et al. In Comprehensive Physiology, R. Terjung, Editor, 2012. 2871–2921
5 Dhont et al. Respir Res 2020. 21(1):198
6 Marini und Gattinoni. JAMA 2020. 323(22):2329-2330
7 Gattinoni et al. 2020. 46(6):1099–1102
8 Roca et al. Am J Respir Crit Care Med 2019. 199(11):1368–1376
9 Pfeifer et al. Pneumologie 2020. 74(06):337-357
10 Zhou F et al. Lancet 2020.395:1054–62
11 Lippi G und Plebani M. Clin Chem Lab Med 2020. 58(7): 1131–1134
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