Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen (Präeklampsie, HELLP-Syndrom, schwangerschaftsinduzierter Hypertonus und präexistenter Hypertonus) gehören weltweit zu den häufigsten Ursachen maternaler sowie fetaler Morbidität und Mortalität. Die intrauterine Wachstumsrestriktion kann der Gruppe der plazentaren Dysfunktion ebenso zugeordnet werden. Pathogenetisch liegt all diesen genannten Schwangerschaftskomplikationen ein plazentarer „anti-angiogener Status“ zu Grunde. Wir wissen heute, dass diese Schwangerschaftskomplikationen, neben der zeitlich relativ kurzen Problematik für die betroffenen Frauen, ein langfristiges internistisches Risikopotential bedeuten. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf kardiovaskulären und kardiometabolischen Erkrankungen, die noch Jahre nach der Schwangerschaft auftreten können.
Ein Beitrag von Prof. Dr. med. Holger Stepan, Klinik für Geburtsmedizin, Universitätsklinikum Leipzig
Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen bzw. Plazentadysfunktionen mit anti-angiogenen Status sind sowohl kurz- als auch langfristig mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen assoziiert, wobei das relative Risiko je nach Krankheitsbild variiert. Unabhängig vom Vorliegen eines Gestationsdiabetes, korreliert die Präeklampsie zudem mit einem dreifach erhöhten Risiko für die postpartale Entwicklung von Diabetes mellitus, Dyslipidämien sowie einem sechsfach erhöhten Risiko für ein terminales Nierenversagen. Diese Zusammenhänge sind mittlerweile durch viele Studien belegt und anerkannt. Dieses Wissen hat zu einer veränderten Wahrnehmung dieser Schwangerschaftskomplikationen über den unmittelbaren frauenärztlichen Horizont hinausgeführt, da diese Pathologien eben zeitlich und medizinisch nicht mehr „nur“ auf die Schwangerschaft begrenzt sind.
Es wird angenommen, dass eine Schwangerschaft ein früher natürlicher „Stresstest“ ist, der möglicherweise zugrunde liegende Defekte und Krankheitsdispositionen aufdeckt und dadurch Frauen identifiziert, bei denen im späteren Leben ein höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen besteht. Vor diesem Hintergrund werden die hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen seit 2011 als Risikofaktoren für Herzerkrankungen und Schlaganfälle in der Leitlinie der American Heart Association genannt. Zudem existieren zahlreiche Risikofaktoren, die mit dem Auftreten einer hypertensiven Schwangerschaftserkrankung assoziiert sind. Nephrologische Vorerkrankungen als auch das Vorhandensein einer hypertensiven Schwangerschaftserkrankung in der Eigen- bzw. der engen Familienanamnese begünstigen das Risiko für die Entstehung einer Präeklampsie. Untersuchungen konnten zeigen, dass nach Präeklampsie das vaskuläre Alter fast zwei Jahrzehnte über dem tatsächlich kalendarischen Alter liegt und somit mit einer signifikant schlechteren kardiovaskulären Gesundheit assoziiert ist. Außerdem bedingt die Präeklampsie signifikant kardio-strukturelle Veränderungen, welche bereits innerhalb von ein bis drei Jahren postpartal detektiert werden können. Führend sind ein höherer linksventrikulärer Massenindex und relative Wanddicke, eine Einschränkung der diastolischen, linksventrikulären Pumpfunktion sowie der global longitudinal strain (GLS), welche als wichtiger prognostischer Parameter der Herzinsuffizienz gilt. Die Einschränkung der GLS korreliert dabei mit der Konzentration von sFlt-1 und somit eben dem anti-angiogenen Faktor, der eine zentrale Rolle in der Pathobiologie der plazentaren Dysfunktion einnimmt. Die genannten kardiovaskulären Risiken werden durch Frühgeburtlichkeit, IUGR sowie mehrere Indexschwangerschaften potenziert. Die Entbindung eines Kindes < 2500g ist mit einer 11-fach höheren Mortalität durch kardiovaskuläre Ereignisse assoziiert. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation stirbt weltweit alle sieben Minuten eine Frau an den Folgen einer schwangerschaftsbedingten Bluthochdruckerkrankung.
Regelmäßige Blutdruckkontrollen postpartal sind von zentraler Bedeutung, da die betroffenen Frauen signifikant häufiger eine persistierende Hypertonie entwickeln sowie einer blutdrucksenkenden Medikation bedürfen. Dieser Effekt ist bereits ab einem maternalen Alter von 30 Jahren zu beobachten. Auch unter dem Aspekt der Gendermedizin ist es bemerkenswert, dass für Frauen eine hypertensive Schwangerschaftskomplikation den Risikofaktor Nummer eins für spätere kardiovaskuläre Erkrankungen darstellt, es bei Männern einen vergleichbar führenden und geschlechtsspezifischen Risikofaktor in dieser Form nicht gibt.
Tab. 1: Geschätztes relatives Risiko für verschiedene Kombination aus Risikofaktoren. HDP: hypertensive Schwangerschaftskomplikationen; spätes Einsetzen: HDP>34 Wochen; frühes Einsetzen: HDP</=34 Wochen; GDM: Gestationsdiabetes
Trotz des bekannten internistischen Hoch-Risikoprofils, welches mit einer signifikant höheren Mortalität assoziiert ist, existieren weder strukturierte Nachsorgeprogramme für Frauen mit hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen noch Empfehlungen für dessen Methodik oder einen möglichst günstigen Interventionszeitpunkt. Es ist belegt, dass Frauen, die ein Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bewusst kennen und wahrnehmen sowie die Ziele für die Prävention kennen, durchaus motiviert sind, auf einen herzgesunden Lebensstil hinzuwirken. Zudem wurde gezeigt, dass die frühzeitige Erkennung einer asymptomatischen Herzinsuffizienz und die Anwendung von Blutdruckkontrollen sowie ein suffizientes Serumlipidmanagement das Risiko des Fortschreitens zu symptomatischen Erkrankungen verringert, wodurch die Mortalität um ein Vielfaches gesenkt werden kann. Darüber hinaus lassen Ergebnisse im Tiermodel darauf schließen, dass die irreversiblen strukturellen Veränderungen der Herzhypertrophie und Fibrose nach präeklamptischer Schwangerschaft durch den gezielten Einsatz von Statinen gemildert werden können. In Hinblick auf einen präventiven Ansatz zur Vermeidung von Zivilisationskrankheiten, bietet also bei Frauen die Peripartalperiode ein ideales Zeitfenster für die Erkennung eines erhöhten internistischen Risikos und ggf. den frühen Beginn einer Intervention.
In der aktuellen medizinischen Praxis wird diese Problematik jedoch noch nicht ausreichend adressiert. In einem systematischen Review, das 16 nationale und internationale Leitlinien zur Nachsorge nach hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen zusammenfasst, formulierten lediglich 50% Empfehlungen zur kurzfristig postpartalen Nachbetreuung (innerhalb von 12 Wochen pp). Lediglich fünf Leitlinien schlagen eine internistische jährliche bis 5-jährliche Kontrolle der Blutdrücke, Lipid- und Nierenwerte vor. Aufgrund eines mangelnden Bewusstseins für kardiovaskuläre Komplikationen nach einer hypertensiven Schwangerschaftserkrankung sehen nur ca. 20% der Betroffenen eine:n Haus- oder Allgemeinärzt:in innerhalb der ersten sechs Monate nach Entbindung. Es sind dringend weitere Studien erforderlich, um ein einheitlich strukturiertes Nachsorgeprogramm zu etablieren sowie geeignete Biomarker für ein Screening, die Risikostratifizierung und Präventivmaßnahmen zu definieren. Die Peripartalperiode bzw. die unmittelbare Postpartalperiode nach plazentarer Dysfunktion ist also eine hochpotente Interventionsphase und Chance zur Vermeidung späterer Zivilisationserkrankungen im Sinne einer effektiven sekundären Prävention.
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