Der Facharztmangel hat längst auch die Laboratoriumsmedizin erfasst, die anstehende Ruhestandswelle wird ihn noch verstärken. Durch die Corona-Pandemie ist gleichzeitig die Bedeutung labordiagnostischer Leistungen für eine gute Gesundheitsversorgung in einem nie gekannten Ausmaß sichtbar geworden. Prof. Dr. med. Ralph Burkhardt und Prof. Dr. med. Norbert Ahrens, zwei Experten aus der Labormedizin, schildern Gründe und Auswirkungen des Facharztmangels, erläutern Gegenmaßnahmen und erklären, warum die Eigenständigkeit des Fachs so wichtig ist.
Ein Interview mit Prof. Dr. med. Ralph Burkhardt und Prof. Dr. med. Norbert Ahrens
Ralph Burkhardt: Er ist kein laborspezifisches Phänomen, das sehen wir im Deutschen Ärzteblatt. Die Stellenanzeigen für Fachärzte werden seit etwa zehn bis fünfzehn Jahren immer umfangreicher. Allerdings: Die Laboratoriumsmedizin ist eine der kleinsten Facharztdisziplinen. Gleichzeitig werden Laborärzte gesucht: In allen Bereichen, sowohl im Krankenhaus – als auch in Privatlaboren – und für alle Teilgebiete.
Norbert Ahrens: Ich sehe das genauso: Es ist eben auch eine Frage der Perspektive, wie die Stellensituation gesehen und beurteilt wird. Aber der Generationenwandel, der uns alle trifft, ist in der Tat ein Problem für die Laboratoriumsmedizin. Der größte Teil der heute aktiven Fachärzte ist über 50 Jahre alt, viele werden in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen. Und wir müssen zudem damit rechnen, dass jüngere Kolleginnen und Kollegen zunehmend in Teilzeit arbeiten möchten.
Ralph Burkhardt: Aktuell ist die Bewerberlage noch ganz in Ordnung. Das Interesse von Studierenden und Assistenzärzten ist da, manche schreiben ihre Promotionsarbeit im Labor und kommen dadurch mit dem Fach in Kontakt. Zusätzlich gehen wir aktiv auf potenzielle Bewerber zu. Auch Hospitationen und die Laboratoriumsmedizin als Tertialfach für angehende Mediziner im Praktischen Jahr sind gute Gelegenheiten, um Nachwuchs zu gewinnen.
Norbert Ahrens: Unabhängig von der Stellensituation gibt es immer talentierte Bewerber, die sich die Stellen aussuchen können. Für diese Bewerber muss man attraktive Bedingungen bieten. Neben guten finanziellen Angeboten sind auch partnerschaftliche, teambasierte Führungsmodelle, die tatsächlich gelebt werden, sowie ein guter Teamgeist wichtig. Ein weiterer Erfolgsfaktor ist eine langfristige Personalplanung und – falls nötig – tragfähige Übergangsregelungen.
Ralph Burkhardt: Ein großes Plus bei alldem ist, dass in den letzten Jahren Lehrstühle in der Laboratoriumsmedizin wieder besetzt und sogar neu geschaffen wurden – nachdem man sie zuvor fast abgeschafft hatte – und die diagnostischen Fächer überhaupt eine öffentliche Aufwertung erfahren haben. Das ist eine Chance für unsere Fachdisziplin und verbessert die Perspektiven des Nachwuchses.
Norbert Ahrens: Outsourcing per se ändert insgesamt nichts, denn das Arbeitspensum bleibt gleich. Es gibt aber durchaus Outsourcing- und andere Kooperationsmodelle, die hilfreich sind. Für periphere Krankenhäuser der Primärversorgung ist es beispielsweise eine gute Möglichkeit, über laborärztliche Expertise jederzeit schnell verfügen zu können, auch wenn sie zu wenig Anforderungen für eine Vollzeitstelle haben. Durch solche Kooperationsmodelle zwischen Krankenhauslabor und Laborgruppen wird eine dezentrale Medizin ermöglicht, die den Patienten sonst nicht angeboten werden könnte.
Ralph Burkhardt: Als Vertreter der akademischen Labormedizin bin ich kein Anhänger des pauschalen Oursourcing, vor allem nicht für das Kliniklabor – zumal der Fachkräftemangel ja auch im Privatlabor vorhanden ist. Es gibt aus meiner Sicht aber Situationen, in denen es sinnvoll sein kann: Für kleinere Häuser kann sich das durchaus unter finanziellen und auch qualitativen Gesichtspunkten lohnen. Umgekehrt profitieren wir als universitäres Haus von Outsourcing, indem wir spezialdiagnostische Leistungen für externe Krankenhäuser erbringen. Dabei sind IT-Konzepte und Strukturen ein wesentlicher Klärungspunkt, denn Sicherheit und Datenschutz müssen geregelt sein.
Norbert Ahrens: Das Ziel, Laborbefunde zeitnah ans Patientenbett zu bekommen, obwohl die Tests woanders durchgeführt werden, ist erreichbar und eine Kernaufgabe unseres Berufes. Es gibt hierzu ausgezeichnete IT-Lösungen, die diese Kooperationen überhaupt erst ermöglichen. Insgesamt ist aus meiner Sicht die historische Dualität zwischen Laborinstituten an Kliniken und privaten Laboren sinnvoll. Wir haben unterschiedliche Schwerpunkte, und es braucht uns beide.
Ralph Burkhardt: Dem stimme ich zu. Vergessen wir nicht: Die Labormedizin in Deutschland, mit ihrer dualen Struktur, hat einen guten Ruf. Insbesondere, was die Beratungsqualität angeht. Die Labormedizin ist eben keine beliebige Dienstleistung, sondern eine ärztliche Tätigkeit.
Norbert Ahrens: Die Möglichkeiten der Telematik sind hier enorm – und wurden durch die Corona-Pandemie nochmals beflügelt. Das ist ein großer Trumpf, gerade auch im Kampf um die besten IT-ler. Besonders Laborgruppen mit vielen Standorten sind hier im Vorteil: Sie können virtuelles Arbeiten anbieten, Mitarbeiter können an ihrem Wohnort bleiben.
Ralph Burkhardt: Homeoffice ist auch attraktiv für Mitarbeiter, die Rufbereitschaft haben. Für die Techniker vor Ort oder Tätigkeiten wie die Mikroskopie geht das leider nicht. Aber dort, wo es geht, sind wir als Labor sehr flexibel geworden, begünstigt durch die Lockdown-Situation und das von vielen Mitarbeitern zu leistende Homeschooling. Unabhängig von der Pandemie sind das attraktive Modelle, die dem Fachkräftemangel im Labor entgegenwirken können. Gleichwohl bleiben Herausforderungen bestehen, beispielsweise muss in unserem Haus der Maximalversorgung der Schichtbetrieb 7 x 24 h weitergehen.
Norbert Ahrens: Bei der Gewinnung von Nachwuchs sollen und können wir mit Teilzeitmodellen punkten. Es gilt zudem, attraktive Arbeitsfelder zu schaffen. Durch die Corona-Pandemie ist beispielsweise die PCR-Diagnostik weithin bekannt und wertgeschätzt. Darauf können wir aufbauen, und auf innovative Methoden wie die massenspektroskopische Analyse aufmerksam machen. Diese sind oft bei Studierenden der Medizin nicht richtig bekannt. Auch IT-ler können dank der in der Laboratoriumsmedizin fortgeschrittenen Digitalisierung hier eine spannende Tätigkeit finden.
Ralph Burkhardt: Das Krankenhaus- und das Privatlabor sind beide etablierte und notwendige Strukturen. Die Forschung ist im universitären Kliniklabor nur eine Säule neben Krankenversorgung und Lehrtätigkeit. Zudem gibt es auch im privaten Bereich exzellente Nischenanbieter, die in der Forschung tätig sind. Es geht also um Kooperation, nicht um Konkurrenz und Konfrontation: Wir haben beide unseren Versorgungsauftrag mit unterschiedlichem Patientenklientel.
Norbert Ahrens: Genau, wir ergänzen uns gegenseitig. Dabei gibt es spezifische Chancen: Die ambulante Labormedizin ist in der Pole-Position im Hinblick auf die Arbeit, auch wissenschaftliche Arbeit, mit Big Data. Die universitäre Labormedizin hingegen ist als Inhouse-Institut prädestiniert, neue innovative Analytik zu entwickeln. Die gemeinsame, informelle Kooperation ist dabei der logische Schluss und gelebte Realität. Effizienz ist allerdings im ambulanten Bereich besonders wichtig, weil sich ineffiziente Arbeitsabläufe bei den hohen Probevolumina schnell massiv aufskalieren.
Ralph Burkhardt: Effizienz und Qualitätssicherung sind generell wichtige Voraussetzungen, dass Labormedizin funktioniert. Um dem Kostendruck im Gesundheitswesen und dem Fachkräftemangel zu begegnen, ist Effizienz eminent wichtig. Ineffizienz können wir uns nicht leisten.
Ralph Burkhardt: Die vorgesehene Einführung einer wissenschaftlichen Arbeit kann eine Chance für den Einstieg in die Laboratoriumsmedizin sein. Das Wichtigste jedoch ist die Wahrnehmung beziehungsweise Behandlung der Laboratoriumsmedizin als eigenständiges Fach mit ärztlicher Leistung – wie es im Entwurf ja vorgesehen ist. Wir sind eben nicht Teil der Pathophysiologie in der Inneren Medizin und haben auch nicht Chemie studiert, wie das manche Kollegen glauben.
Norbert Ahrens: Die Laboratoriumsmedizin hat einen anderen Fokus als die klinische Medizin, wo therapeutische Techniken im Vordergrund stehen. Bei uns hat die bestmögliche Diagnostik erste Priorität, und dieses Streben nach diagnostischer Exzellenz ist der große Nutzen, den die Laboratoriumsmedizin einbringt. Für eine weitere Entwicklung muss die Eigenständigkeit des Faches zwingend erhalten werden.
Ralph Burkhardt: Wir müssen frühzeitig im Studium das Interesse wecken und früh und gezielt Nachwuchsarbeit leisten – wie es beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Laboratoriumsmedizin mit ihrer Sektion Junges Labor tut. Wir müssen in unserem Umfeld die ärztliche Leistung betonen und unsere spezifischen Leistungen in den Vordergrund stellen. Das heißt, aktiv auf die klinischen Kollegen zugehen und uns trauen, die eigene Kompetenz anzubieten und einzubringen.
Norbert Ahrens: Die vergangenen eineinhalb Jahre haben der Gesellschaft und der Politik gezeigt, wie gut die Laboratoriumsmedizin mit ihren professionellen Strukturen funktioniert hat. Darauf müssen wir aufbauen und uns Freiräume von der Politik erarbeiten, um die dezentrale Versorgung sicherzustellen und mit Innovationen füllen zu können. An Herausforderungen und Arbeit mangelt es nicht. Es gilt, sich mit der EU-Verordnung für In-vitro-Diagnostika (IVDR) und dem Thema abgesenkte Vergütungen intensiv zu beschäftigen. In der modernen Medizin werden die diagnostischen Leistungen der Laboratoriumsmedizin immer wichtiger. Die Konzentration auf die Diagnostik ist ein unverzichtbarer Beitrag in der Patientenversorgung und im Gesundheitssystem und muss entsprechend anerkannt und honoriert werden.
Disclaimer: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in den Texten nur das generische Maskulinum verwendet. Es sind damit alle Personen unabhängig von ihrem Geschlecht gemeint.
Prof. Dr. med. Norbert Ahrens
Facharzt für Laboratoriumsmedizin, Facharzt für Transfusionsmedizin, Hämostaseologie, Ärztlicher Leiter des MVZ für Laboratoriumsmedizin Raubling GmbH, amedes Gruppe
Faszination für die Laboratoriumsmedizin:
„Die Art und Weise, wie gute und effiziente Diagnostik einen großen Nutzen generiert, kann sehr ästhetisch sein. Dabei fasziniert es mich, zusammen mit Klinikern, Naturwissenschaftlern und IT-Spezialisten an hochwertigen diagnostischen Lösungen zu arbeiten.“
Prof. Dr. med. Ralph Burkhardt
Universität Regensburg, Lehrstuhl für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin und Direktor des gleichnamigen Instituts des Universitätsklinikum Regensburg (UKR)
Faszination für die Laboratoriumsmedizin:
„Die Interaktionen mit verschiedensten Fachkollegen sind inspirierend, die Arbeit an der Schnittstelle zwischen Klinik und Forschung macht Spaß und mir gefällt, dass das Fach innovationsgetrieben und digitalisierungsaffin ist.“
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