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In der Brustkrebsmedizin ist „Präzisionsmedizin“ längst kein Fremdwort mehr. Welche personalisierten Therapien bereits angewandt werden und welche Fortschritte abzusehen sind – darüber sprachen wir mit Jan Gronych, Medical Director Onkologie von Roche Diagnostics Deutschland GmbH, und Susanne Hell, Medical Lead Gynäkoonkologie bei Roche Pharma AG.

Ein Gespräch mit Jan Gronych und Susanne Hell

Susanne Hell
Medical Lead Gynäkoonkologie
Roche Pharma AG

Jan Gronych
Medical Director Onkologie
Roche Diagnostics Deutschland GmbH

"Es ist wichtiger zu wissen, welche Person eine Krankheit hat, als zu wissen, welche Krankheit eine Person hat." Diese oft zitierte Aussage stammt von Hippokrates. Er hatte bereits früh erkannt, wie individuell unterschiedlich Erkrankungen verlaufen können – lange bevor der Begriff der personalisierten Medizin überhaupt geprägt wurde.

In der personalisierten Medizin – heute auch als „Präzisionsmedizin“ bezeichnet – basieren die Therapieansätze auf prädiktiven molekular- und gewebediagnostischen Informationen über den individuellen Tumor. Heute sind individualisierte Behandlungsansätze in vielen Bereichen der Medizin zu finden, allen voran der Onkologie. Ein wichtiger Vorreiter ist hier die Brustkrebstherapie: Früh hat man erkannt, dass der Therapieerfolg beim Mammakarzinom von individuellen Tumoreigenschaften abhängt.

Wir haben Susanne Hell, Medical Lead Gynäkoonkologie bei Roche Pharma AG, und Jan Gronych, Medical Director Onkologie von Roche Diagnostics Deutschland GmbH, gefragt, wie personalisierte Therapien heute Anwendung finden, warum die enge Zusammenarbeit zwischen Diagnostik und Pharma dabei wichtig ist und wohin uns die Zukunft der Präzisionsmedizin führt.


Frau Hell, die Brustkrebstherapie ist ein wichtiges Vorbild für die personalisierte Medizin. Können Sie uns bitte aufzeigen, wo wir hier aktuell stehen?

Hell: Die Brustkrebstherapie erfolgt längst nicht mehr nach dem Gießkannenprinzip. Schon lange werden differenzierte Therapieentscheidungen gefällt. So wird beispielsweise die endokrine Therapie bei hormonrezeptorpositiven Tumoren bereits seit den 70er Jahren eingesetzt. Die zielgerichtete HER2-Antikörpertherapie gibt es bereits seit Anfang der 2000er Jahre. Inzwischen sind daneben eine Reihe weiterer zielgerichteter Therapiemöglichkeiten verfügbar, die die Prognose beim Mammakarzinom deutlich verbessert haben.

Seit einigen Jahren gibt es darüber hinaus die Möglichkeit zur Krebsimmuntherapie mit einem Checkpoint-Inhibitor. Diese Therapieform stellt vor allem für Frauen mit triple-negativem Brustkrebs eine wichtige neue Behandlungsoption dar. Das triple-negative Mammakarzinom ist eine besonders aggressive Tumorart, die etwa 15 % der Bruskrebspatientinnen betrifft, darunter häufig auch junge Frauen.

Das Besondere am triple-negativen Brustkrebs ist, dass sich in den Tumorzellen weder Östrogen- und Progesteronrezeptoren noch eine Überexpression im HER2-Gen nachweisen lassen. Das heißt, es fehlen wichtige Angriffsstellen für zielgerichtete Therapien. Mit den Immuncheckpoint-Inhibitoren wurde auch für diese Patientinnengruppe eine Therapiemöglichkeit geschaffen, die zu einer signifikanten Verbesserung der Prognose führen kann.


Herr Gronych, welche Rolle kommt der Diagnostik in der personalisierten Brustkrebstherapie zu?

Gronych: Einer personalisierten, zielgerichteten Brustkrebstherapie geht immer der Nachweis des entsprechenden jeweiligen prädiktiven Biomarkers voraus. Dies erfolgt sowohl auf immunhistochemischer als auch gegebenenfalls auf molekularer Ebene anhand des Tumorgewebes durch die Patholog:innen und findet in der Regel unmittelbar nach Diagnosesicherung im Vorfeld der Therapieentscheidung statt. Neben Östrogen- und Progesteronrezeptorstatus wird im Rahmen der Mutationsdiagnostik der HER2-Status ermittelt. Zusätzlich wird in bestimmten Fällen auch auf BRCA-Mutationen in der Keimbahn hin untersucht. Dies ist therapeutisch insofern bedeutsam als Frauen, die eine Veränderung im BRCA1- oder BRCA2-Gen tragen, für eine Therapie mit einem PARP-Inhibitor in Frage kommen. Darüber hinaus kann diese Untersuchung auch familiäre Formen von Brustkrebs nachweisen. Weitere Biomarker, die die Therapieentscheidung beeinflussen können, sind nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologie und Onkologie (AGO) PIK3CA, ESR1, NTRK und MSI.(1)

Auch eine Krebsimmuntherapie, beispielsweise mit einem PD-L1-Inhibitor, muss von einem prädiktiven Test begleitet werden, um den Grad der PD-L1-Expression auf Tumor- bzw. Immunzellen zu bestimmen. Allgemein ist zu empfehlen, frühzeitig auf PD-L1-Expression zu testen und möglichst die in den jeweiligen klinischen Studien verwendeten sowie zulassungsrelevanten Assays und Auswertungsmethoden zu verwenden.

Neben prädiktiven Biomarkern sind für Therapieentscheidung und Beratung der Patientinnen auch prognostische Marker von Bedeutung. Hierzu gehört beispielsweise der Proliferationsmarker Ki-67. Seit einigen Jahren kommen bei Frauen mit Hormonrezeptor-positivem, HER2-negativem Mammakarzinom so genannte Multigentests zum Einsatz, die diejenigen Patientinnen identifizieren, die von einer Chemotherapie profitieren. So kann eine eventuelle Übertherapie der Patientinnen in vielen Fällen vermieden werden.


Welche Bedeutung hat die Liquid Biopsy heute in der Brustkrebsmedizin?

Gronych: Liquid Biopsy weist im Blut zirkulierende Tumorzellen (CTCs) oder zirkulierende Tumor-DNA (ctDNA) nach und kann daher wichtige tumorspezifische Informationen liefern. Der Vorteil dieser Technologie ist, dass als Probenmaterial wenige Milliliter Blut ausreichen und so ein minimal-invasiver Zugang zu spezifischen Merkmalen des Tumors besteht.

Beim Mammakarzinom liegt inzwischen gute Evidenz für den Einsatz der Liquid Biopsy vor. Der Nachweis von CTCs kann zur Beurteilung von Prognose und Therapieansprechen genutzt werden. Die „AGO Mamma“ hat zirkulierende Tumorzellen als prognostischen Marker sowie als Marker zum Erkennen einer frühen Therapieresistenz in ihre Empfehlungen zum metastasierten Brustkrebs aufgenommen.(1) Ob sich die Liquid Biopsy über diese Anwendung hinaus beispielsweise durch Analyse von ctDNA auch zum Nachweis therapierelevanter Veränderungen eignet, wird derzeit noch erforscht.

Hell: In der Liquid Biopsy steckt großes Potenzial. Doch bis sie in der klinischen Routine ankommt, sind noch einige offene Fragen zu beantworten. Die meist universitären Tumorboards spielen hier eine große Rolle, denn dort kommen viele Fachleute unterschiedlicher Disziplinen zusammen, um über schwierige Patientenfälle und die aus dem Einsatz technologischer Entwicklungen, wie der Liquid Biopsy, abgeleiteten therapeutischen Implikationen zu beraten.


Was bringt uns die Zukunft mit Blick auf eine zunehmende Personalisierung der Therapie von Brustkrebspatientinnen?

Hell: Das Potenzial der Präzisionsmedizin ist noch lange nicht ausgeschöpft. Es werden weitere zielgerichtete Therapien auf den Markt kommen. Neue Behandlungsstrategien, zum Beispiel mit bispezifischen Antikörpern und neuartigen Small Molecules, werden kommen. Damit einher geht eine immer stärkere Segmentierung der einzelnen Krebsarten in Subgruppen, die unterschiedlich behandelt werden müssen. Die Behandlung von Patientinnen mit Brustkrebs wird also noch komplexer werden. Aber damit steigen auch die Chancen, dass aus einer Vision Wirklichkeit wird, wir das Potenzial für Heilung maximieren und in der Zukunft keine Patientin mehr an Brustkrebs verstirbt.

Außerdem wird es künftig eine noch engere Vernetzung von Forschung und Versorgung geben. Daten, die im Rahmen der alltäglichen Patientinnenversorgung über eine Krebstherapie gewonnen werden, sogenannte Real-World-Daten, werden uns zusätzliche Informationen über die Wirkung und Verträglichkeit von Therapien geben. Auch das wird dazu beitragen, dass wir noch bessere und sicherere Medikamente entwickeln können.

Gronych: Für die molekulare Diagnostik wird es darum gehen, mit der Entwicklung von Arzneimitteln Schritt zu halten. Die Panels zur Next-Generation-Sequencing-Diagnostik werden umfassender werden und noch mehr Informationen aus einer Tumorprobe generieren. Das heißt gleichzeitig, dass die Interpretation der gewonnenen Daten komplizierter wird. Dabei spielt die Digitalisierung eine entscheidende Rolle: Wenn modernste Diagnostik und individuell darauf zugeschnittene Therapien mit intelligenten Methoden kombiniert werden, die zuverlässige Behandlungsentscheidungen ermöglichen, wird eine bessere Versorgung der Patientinnen möglich sein.

Literatur

  1. AGO Mamma. Diagnostik und Therapie früher und fortgeschrittener Mammakarzinome. Online verfügbar unter:


    Zugriff am 17.02.2023.

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