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In den letzten Jahren ist die Massenspektrometrie (LC/MS) auch in der Labormedizin angekommen, insbesondere in universitären Laboren, die stärker forschend tätig sind. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig, beispielsweise beim Therapeutischen Drug Monitoring (TDM), in der Hormondiagnostik, bei der Diagnose seltener Stoffwechselerkrankungen oder beim Drogenscreening. Während Einrichtungen wie das Labor am Universitätsklinikum Münster teilweise schon mehrere Jahrzehnte Erfahrung mit der Massenspektrometrie gesammelt haben, stellt sich heute für viele Labore die Frage, ob sie die Technologie bei sich einführen sollen und was es dabei zu beachten gilt. An welchen Stellschrauben müssen Laborverantwortliche drehen, mit welchen Entscheidungsträgern und Akteuren in Klinik und Labor sich vernetzen, damit die Vorteile der Massenspektrometrie auch wirklich das Patient:innenergebnis verbessern?

Angefangen hat der Einsatz der Massenspektrometrie im Labor des Universitätsklinikums Münster im Jahr 1989. Das war damals experimentell – das Labor hat in Zusammenarbeit mit dem Physikalischen Institut Techniken entwickelt, mit denen beispielsweise Kometenstaub der NASA auf organische Substanzen analysiert wurde. Im medizinischen Bereich hat das Labor unter anderem versucht, seltene Stoffwechselerkrankungen unklarer Genese zu identifizieren, indem es gemessen hat, welche Stoffwechselmetaboliten bei Patient:innen mit einem bestimmten klinischen Bild verändert sind. Trotz motivierender medizinischer Erfolge ist ein solcher Einsatz der Massenspektrometrie selbstredend nicht als kommerzielle Nutzung zu sehen, sondern als ein Beispiel, welche Möglichkeiten die universitäre Medizin bietet. Etwa beim sehr seltenen Smith-Lemli-Opitz-Syndrom, einem vererblichen Defekt der Cholesterinbiosynthese, der durch das Raster der routinemäßigen Cholesterin-Analytik fällt und wo das Labor am Universitätsklinikum Münster bisher schon rund 250 Kinder weltweit diagnostizieren konnte. Auch im Fall des damals 13-jährigen Marius, auf den die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin und das Labor Münster durch einen Hilferuf auf Facebook aufmerksam geworden ist, konnte mit Hilfe von Molekulardiagnostik und Massenspektrometrie erstmals ein Defekt im Liponsäurestoffwechsel beschrieben werden. Durch die genaue Charakterisierung der Erkrankung konnten weitere Patient:innen mit gleichem Krankheitsbild gefunden und spezifische Therapieansätze etabliert werden.

Trotz dieser offensichtlich aufwändigen Beispiele für seltene Erkrankungen ist der Einsatz der Massenspektrometrie im Labor am Universitätsklinikum Münster insgesamt erheblich effizienter geworden. So hat insbesondere die Elektrospray-Ionisation (ESI) die breitere, auch kommerzielle Nutzung der Massenspektrometrie deutlich vorangebracht. Als Massenspektrometer-Typ kommen dabei meist Quadrupol-Geräte zum Einsatz, weil sie stabil laufen, verhältnismäßig preiswert und kompakt aufgebaut sind.

Manche Labore wenden die Massenspektrometrie über Stoffwechselerkrankungen hinaus auch in Bereichen wie dem Therapeutischen Drug Monitoring, der Hormondiagnostik oder dem Drogenscreening an. Sie profitieren dabei von zahlreichen Vorteilen: Die Messung ist viel spezifischer als mit Immunoassays, die unter anderem aufgrund von Kreuzreaktivitäten mit Metaboliten oder strukturähnlichen Molekülen, unspezifischen Bindungen an Oberflächen oder Matrixeffekten deutlich störanfälliger sind. Die Massenspektrometrie hingegen kann aufgrund mehrerer Analyseprinzipien (Polarität, Molekularmasse, Fragmentierung) nur den gesuchten Parameter auswählen und Störfaktoren in der Probe durch interne Standardisierung mittels stabiler Isotopenverdünnung minimieren. Ein weiterer gewichtiger Vorteil besteht darin, dass mehrere Analyten in einer Messung gleichzeitig bestimmt werden können. Auch die niedrigen Nachweisgrenzen, der große lineare Messbereich sowie die gute Vergleichbarkeit von Befunden sind Pluspunkte für die Laborarbeit.

Trotz der unterm Strich deutlichen Überlegenheit der Massenspektrometrie gegenüber Immunoassays ist nachvollziehbar, dass die Kosten für Anschaffung und Implementierung aktuell von vielen, vor allem kleineren Laboren, als limitierender Faktor wahrgenommen werden. Aber auch für universitäre Labore mit höherem Budget und mehr Möglichkeiten in Forschung und Wissenschaft ist der Einsatz von Massenspektrometrie keineswegs ein Selbstläufer. Es gilt, mögliche Fallstricke zu erkennen, zu umschiffen oder abzumildern, damit sich die Vorteile der Massenspektrometrie im Labor realisieren lassen und auch wirklich das medizinische Ergebnis verbessern.

Erfahrungsgemäß ist dabei wiederholte Überzeugungsarbeit nach allen Seiten hin unverzichtbar. Das heißt, der Nutzen der Massenspektrometrie muss sowohl der Klinikleitung und Finanzabteilung als auch den Fachärzt:innen auf Station oder im niedergelassenen Bereich aufgezeigt werden. Kosten-Nutzen-Studien sind zweifellos wichtig, um die Unterstützung des Finanzressorts zu gewinnen, aber es gibt nur wenige entsprechende Untersuchungen. 

Eine Studie¹ zu Kosten und Nutzen der Massenspektrometrie beim TDM von Vancomycin sei hier stellvertretend für andere aufgeführt: Die Autoren kamen zum Schluss, dass die TDM-gestützte Behandlung mit Vancomycin bei älteren Patient:innen mit wirtschaftlichen Vorteilen verbunden war, aber nicht mit besseren klinischen Ergebnissen. Die Gründe dafür sind vielfältig und verweisen darauf, dass TDM – ausgehend von der ermittelten Medikamentenkonzentration – bestmöglich auf die individuellen Bedürfnisse der Patient:innen ausgerichtet werden muss. Die bloße Bestimmung einer Medikamentenkonzentration reicht nicht aus, um das therapeutische Ergebnis zu verbessern.

Dies zeigt, wie essenziell eine gründliche und präzise Interpretation der Befunde für eine erfolgreiche Medikamenten-Therapie ist. Eine zentrale Rolle für die Interpretation spielen bekanntlich die therapeutischen Bereiche. Diese werden aber meist mit jungen gesunden Proband:innen ermittelt. Sie können deshalb für Patient:innen im Krankenhaus, die häufig alt und kritisch krank sind, nur sehr bedingt zur Bestimmung der richtigen Medikamentendosis herangezogen werden. Vielmehr ist ein regelmäßiger Austausch der Labormediziner:innen mit den Fachärzt:innen und Pharmazeut:innen an der Klinik zu etablieren, um beispielsweise geeignete Bereiche für verschiedene Patient:innengruppen und aussagekräftige Messzeitpunkte zu finden. Mit einer solchen interdisziplinären Zusammenarbeit hat das Universitätsklinikum Münster gute Erfahrungen gemacht. Dank des integrativen Konzepts gelang es bei vielen Patient:innen, die Wirkung von Antibiotika durch angepasste Dosierung zu optimieren, Toxizität zu vermeiden und kürzere Behandlungszeiten zu erzielen. 

Wichtig ist aber auch, die Studierenden und die bereits praktizierenden Ärzt:innen zu erreichen. Das Labor am Universitätsklinikum Münster stellt deshalb Schulungen rund um die Befundinterpretation als Video auf YouTube zur Verfügung, um die wichtigsten Informationen und Hilfestellungen rund um Blutentnahme, Tal- und Bergspiegel und therapeutische Bereiche leicht zugänglich zu machen. Zudem hat das Labor Infoveranstaltungen, Weiterbildungen und einen Podcast für Student:innen zur Klinischen Chemie etabliert und auf seiner KliChi-Homepage bereitgestellt ( ).

Aber nicht nur die Schulungen zur Interpretation der mit Massenspektrometrie erhobenen Befunde brauchen Zeit und Aufmerksamkeit. Auch die Etablierung der Massenspektrometrie-Methode im Labor ist zeitaufwändig und erfordert qualifiziertes Personal, meistens Chemiker:innen sowie weitere Laborfachkräfte und Techniker:innen. Auch am Universitätsklinikum Münster ist das Personaltableau sehr knapp: letztlich betreut ein Kernteam aus zwei Chemikern eine Vielzahl von klinischen Studien, in denen auch selbstentwickelte Massenspektrometrie-Methoden zum Einsatz kommen. Ein wichtiger Vorteil bei Studien, Einführungen neuer Tests und im Routinebetrieb ist dabei, dass das Labor in Münster eigene Techniker:innen hat, die 24/7 zur Verfügung stehen und dafür sorgen, dass schnell gezielte Hilfe bei technischen Problemen geleistet wird.

Bei der Frage, ob sie die Massenspektrometrie in ihrem Labor einführen sollen, bereitet vielen Entscheider:innen auch die Validierung Kopfzerbrechen. Viele befürchten, dass die EU-Verordnung IVDR (In-Vitro Diagnostic Medical Devices Regulation) zu einer Überregulierung führt und dies beispielsweise den im eigenen Labor entwickelten Tests ein Ende setzt. Aber auch die Vielzahl bestehender Regularien, die sich mitunter sogar widersprechen, bereitet vielen Laborverantwortlichen mit Blick auf eine mögliche Einführung der Massenspektrometrie Sorgen. Hier hilft die Kombination aus Qualitätsstreben und Pragmatismus: Zur Sicherung der Qualität klinischer Anwendungen der Massenspektrometrie haben Professor Michael Vogeser (Institut für Laboratoriumsmedizin des Klinikums der Universität München) und Privatdozent Christoph Seger (Labordiagnostic St. Gallen West AG) in einem Übersichtsartikel in Clinical Biochemistry² Probleme und Lösungen bei der Anwendung dieser Technik aufgeführt. Unter anderem wird hervorgehoben, dass eine gute chromatographische Trennung der Komponenten die Spezifität der Massenspektrometrie deutlich verbessern kann. Zudem müssen Matrixbestandteile in der Probenvorbereitung gut entfernt und die verwendeten internen Standards stabil und sauber sein. Kalibration und Kontrollen sollten in der Probenmatrix durchgeführt werden und generell sei ein hoher Grad an Automation und damit eine zuverlässige Datenübermittlung wichtig für die Qualität. Hinsichtlich der IVDR darf man sich allerdings auch ganz pragmatisch fragen, ob Lab Developed Tests überhaupt in ihren Geltungsbereich fallen. In einer im Jahr 2022 in Clinical Chemistry publizierten Arbeit von Michael Vogeser et al.³ vertritt er seinen Standpunkt, dass ein „allgemeines Massenspektrometer kein IVD-Gerät ist“ und auch die „Bestimmungen von Arzneimittelkonzentrationen im Blut mit einem generischen Massenspektrometriesystem nicht als IVD angesehen werden“. Wenn sich diese Einschätzung durchsetzt, können die Laboratorien selbst hergestellte Kalibrierungsmaterialien für die Standardisierung dieser Verfahren verwenden. Diese fallen unter die IVDR gemäß der Definition in Artikel 2 und müssen entsprechend behandelt werden. Insgesamt wird durch die IVDR eine deutliche Verbesserung bei kommerziellen Produkten erwartet, jedoch sollten Inhouse-Diagnoseverfahren, die ein hohes Innovationspotential im Studienbereich haben oder bei seltenen Erkrankungen vorgehalten werden, nicht einer Überreglementierung zum Opfer fallen.

Auch die Integrationsfähigkeit der Massenspektrometrie ins Kernlabor wird für viele Labore ein Schlüsselfaktor bei der Entscheidung sein, ob die Technologie bei ihnen eingeführt wird. Wichtige Kriterien dabei sind Anwenderfreundlichkeit mit hohem Automatisierungsgrad und guter Fehlererkennung, eine einfache, intuitiv bedienbare Software, Verfügbarkeit 24/7, ein zuverlässiger Betrieb sowie geprüfte und validierte Verfahren und Reagenzien. Die Liste der Wünsche beinhaltet aber noch mehr und umfasst unter anderem eine schnelle Turnaround-Time, Hochdurchsatzanalytik im Mischbetrieb und die Möglichkeit eines Random Access Verfahrens.

Ob und wie schnell diese Wünsche der Anwender:innen von den Diagnostik-Herstellern erfüllt werden und welche Hürden dabei auftreten, kann niemand voraussagen. Roche Diagnostics jedenfalls ist dabei und hat am Standort in Mannheim ein Launch Center für Massenspektrometrie eingerichtet. Das sich in Entwicklung befindliche System wurde im Mai 2023 auf der EuroMedLab in Rom vorgestellt. Die Entwicklungsziele nehmen die Anwenderwünsche auf und umfassen eine nahtlose Integration ins Kernlabor, Vollautomatisierung, 24/7 Verfügbarkeit, ein hoher Durchsatz und ein breites Testmenü mit Steroiden, Medikamenten, Vitaminen und Parametern zur Drogentestung. Es bleibt abzuwarten, wie die Umsetzung dieser Ziele und die konkrete Ausgestaltung des neuen Systems gelingen und wie sich die Aufnahme seitens der Labore entwickeln wird. Auf Basis unserer Erfahrungen am Universitätsklinikum Münster können wir jedenfalls sagen, dass die Massenspektrometrie eine faszinierende Technologie ist, die ihren Weg vom Nischendasein zu einer Standardtechnologie im Labor machen wird – und die das Zeug hat, die Qualität in der Medizin zu verbessern.

Referenzen

  1. Clinical Response and Hospital Costs of Therapeutic Drug Monitoring for Vancomycin in Elderly Patients. Kim Y, Kim S, Park J, Lee H.J Pers Med. 2022 Jan 26;12(2):163

  2. Quality Management in clinical applications of mass spectrometry measurement systems. Vogeser M, Seger C Clinical Biochemistry 49 (2016) 947–954.

  3. Laboratory-Developed Tests in the New European Union 2017/746 Regulation: Opportunities and Risks. Vogeser M, Brüggemann M, Lennerz J, Stenzinger A, Gassner U. Clinical Chemistry 68:1 40–42 (2022).

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