Unsere Gesellschaft und Arbeitswelt befinden sich in einem tiefgreifenden Wandel, der alle erfasst. Die demografische Verschiebung verschärft den bereits deutlich spürbaren Fachkräftemangel immer weiter – auch in den Laboren. Dies wird bis zum Jahr 2030 zu einer demografischen Krise führen und die Wirtschaft massiv schwächen. Im Wettbewerb um qualifizierte Mitarbeitende werden die Millennials, also die um die Jahrtausendwende geborenen heutigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen, daher zu einer knappen Ressource. Doch wie können sich Arbeitgeber:innen im Kampf speziell um die jüngere Generation Z behaupten, wie ihren Bedürfnissen und Werten Rechnung tragen? Und was können speziell Labore tun, um gehört und als attraktive Arbeitgeber wahrgenommen zu werden?
Als Keynote Speakerin und Managementberaterin widmet sich Steffi Burkhart den Themenschwerpunkten „Nachwuchs- und Generationenmanagement“, „Wandel der Arbeitswelt“ und „Digitale Transformation“. Die studierte Sportwissenschaftlerin hat im Bereich Gesundheitspsychologie promoviert. Bei der Currenta GmbH & Co. AG hat sie das betriebliche Gesundheitsmanagement und danach die Führungskräfte-Akademie GEDANKENtanken in Köln mit aufgebaut. Burkhart stand als Interviewpartnerin und Diskussionsteilnehmerin für ZDF, ARD, WDR, MDR, SWR, DW und VOX vor der Kamera, sie hat mehr als 500 Vorträge für DAX Unternehmen, Verbände und Hochschulen gehalten und mehr als 50 Veröffentlichungen in Form von Büchern, Buchkapiteln, E-Books und Magazinbeiträgen realisiert.
Die demografische Krise ist bereits jetzt mit Händen zu greifen – und betrifft alle großen Industrienationen der Welt. Damit konkurrieren Unternehmen nicht nur in der gleichen Branche, regional oder national um Mitarbeitende, sondern weltweit. Diese Entwicklung hat McKinsey bereits 1997 vorausgesehen und als „War for Talents“ eindrücklich beschrieben. Die im Begriff enthaltene Warnung verhallte aber bei vielen Entscheidungsträger:innen und Unternehmen lange ungehört. Inzwischen hat sich die Entwicklung hin zur überalterten Gesellschaft beschleunigt. Beispiel Deutschland: Hier leben rund 83 Millionen Menschen, davon sind etwa 65 Prozent im erwerbsfähigen Alter. Diese Gruppe setzt sich zusammen aus der Generation der Babyboomer (*1950–1965), die heute 30 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung umfassen, und der Generation X (*1965–1980). Hinzu kommen die sogenannten Millennials, also die zwischen 1980 und 2010 geborenen Generationen Y (*1980–1995) und Z (*1995–2010). Dass sich tagtäglich rund 5.000 Babyboomer in den Ruhestand verabschieden und aufgrund niedriger Geburtenraten viel weniger junge Menschen nachrücken, reißt eine Millionenlücke in die Gruppe der Erwerbstätigen. Höchste Zeit also für jedes Unternehmen, seine Aktivitäten rund um die Gewinnung und Bindung von Mitarbeitenden zu verstärken und ihr Arbeitsangebot an die Anforderungen der kostbaren Ressource Millennials anzupassen.
Doch wie genau tickt speziell die junge Generation Z, was sind ihre Ansprüche, was finden sie attraktiv? Untersuchungen zeigen, dass die Generation Z mit ihrer Expertise und ihrem Wissen ernst genommen werden möchte. Sie legen Wert auf sinnstiftende Arbeit und eine gute Balance zwischen Beruf- und Privatleben. Eins ist dabei klar: Auch wenn Wirtschaft und Arbeitgeber sich auf den Mindset dieser Generation einstellen, werden die jungen Mitarbeitenden im Unterschied zu ihren Eltern keine stromlinienförmigen, sondern zickzackförmige Erwerbsbiografien leben, die neben der klassischen Vollzeitanstellung weitere Stationen wie Sabbatical, Selbstständigkeit, Auslandsaufenthalte und Branchenwechsel beinhalten können. Ihre Jobwechselbereitschaft ist hoch, mit durchschnittlich acht Jobwechseln sind sie die illoyalste Generation aller Zeiten. Für Arbeitgeber ist dies Fluch und Segen zugleich: Fluch, weil sie viel investieren müssen, um sie zu halten; Segen, weil man immer wieder die Chance hat, junge Menschen für sich (zurück) zu gewinnen.
Der Wechselhaftigkeit im Berufsleben steht eine regelrecht retraditionalisierte Einstellung im Privaten gegenüber. Hier sucht die Generation Z nach Stabilität und Sicherheit im sozialen Umfeld. Anders als die Generation Y, die „zuerst Karriere, dann Familie“ postulierte, wollen sie schon in jungen Jahren Familien gründen und Karriere und Familienleben in Einklang bringen. Das wiederum heißt: Frauen und Männer der Generation Z benötigen und erwarten eine gute Infrastruktur, die diese Balance ermöglicht und erleichtert. Auch darauf müssen sich Arbeitgeber:innen einstellen.
Auch die Werte der jungen Generation Z unterscheiden sich von der vorherigen: Sie setzt sich stark für Nachhaltigkeit, Inklusion, Gerechtigkeit und Fairness ein und nutzt die Möglichkeiten der digitalen Vernetzung als (Macht-)Instrument, um ihre Anliegen voranzubringen. Beispielsweise hat sich „Fridays for Future“ dank digitaler Vernetzung zu einer weltweiten Jugend-Bewegung entwickelt und den Klimawandel auf den Agenden der Regierungen weit nach oben gebracht. Arbeitgeber:innen, die die Generation Z für sich gewinnen wollen, müssen deshalb zeigen, dass sie die Werte der jungen Generation ernst nehmen. Und sie müssen ihnen einen tieferen Grund liefern, warum es sich lohnt, für sie zu arbeiten.
Dies gilt für alle Branchen, auch für das medizinische Labor. Die Laborarbeit hat jedoch gute Voraussetzungen, um für die junge Generation attraktiv zu sein. So hat die Corona-Pandemie aufgezeigt, wie wichtig und sinnvoll Diagnostik ist. Zudem treiben viele Labore Automatisierung und Digitalisierung voran und schaffen damit eine attraktive Herausforderung für die Generation Z. Wer dabei jedoch den Blick primär auf Personaleinsparungen richtet, liegt falsch. Denn ohne Menschen wird es auch in Zukunft nicht gehen. Labore müssen deshalb die Frage beantworten können: „Warum soll sich ein junger Mensch für die Arbeit in unserem Labor entscheiden?“ Sinn, Herausforderung durch Digitalisierung und analytische (Detektiv-)Arbeit zum Wohle der Patient:innen, sowie angenehme Teamgrößen sind mögliche Antworten.
Labore haben weitere Stellschrauben, um im Wettbewerb um Mitarbeitende erfolgreich zu sein. Wir leben in einer Attention Economy (Aufmerksamkeitsökonomie), die durch Informationsüberflutung geprägt ist. Als Folge werden Arbeitgeber:innen und andere Akteur:innen immer lauter, um ins Aufmerksamkeitsfeld der Generation Z zu kommen. In diesem Getöse sind Labore schlicht zu leise. Für Labore stellt sich die Frage, wo und vor allem wie sie junge Menschen überhaupt erreichen können – um sie dann, ist diese Hürde geschafft, hoffentlich für sich zu begeistern? Die aktuell häufig verwendeten Vorgehensweisen für die Ansprache funktionieren dabei nur bedingt. Die Stellenausschreibungen enthalten zu viel analytisch-nüchternen Text und vor allem – zu wenig Emotion. Auf vielen Laborwebseiten erfährt man fast nichts zu Fragen, die der jungen Generation wichtig sind, wie etwa: Wer sind meine Kolleg:innen und Vorgesetzten, wie ist das Team und die Firmenkultur? Wie sieht das Labor von innen aus? Welchen Beitrag kann ich hier für die Gesellschaft leisten? Gerade die emotionale Ebene ist essenziell, um junge Menschen anzuziehen. Es geht ihnen weniger um Geld und um Status als vielmehr um ein sinnvolles Tun und um positive Emotionen bei der Arbeit.
In der ersten Phase der sogenannten Candidate Journey – der Anziehungs- und Informationsphase – gilt es, die richtigen Kanäle und Botschaften zu finden. Social Media spielt eine große Rolle, wobei Instagram erfolgversprechender ist als Facebook. Videostatements sind besser als Textbeiträge, da sie ein Gefühl für den Arbeitsplatz vermitteln. Besonders als Botschafterinnen und Botschafter geeignet sind junge Mitarbeitende, die sich kürzlich selbst für die Arbeit im Labor entschieden haben. Als Corporate Influencer können sie etwa Videos über ihren Arbeitsalltag auf ihren privaten Social-Media-Kanälen posten und erklären, was ihnen bei ihrer Arbeit besonders am Herzen liegt. Mit dieser Art des Empfehlungsmarketings profitieren die Unternehmen von der Reichweite der Social-Media-Kanäle ihrer jungen Mitarbeitenden. Auch in der darauffolgenden Bewerbungsphase sollten Unternehmen ihre bisherigen Strategien überdenken. Wichtig ist, Begeisterung zu wecken und überraschende Wow-Erlebnisse zu ermöglichen. Also etwa statt auf Standardgespräche auf eine inspirierende Unterhaltung auf Augenhöhe mit dem CEO oder der Forschungsleiterin des Unternehmens setzen, oder einfach eine coole Lunchbox statt der üblichen Gebäckmischung anbieten.
Junge Menschen für sich zu gewinnen ist das eine, sie zu halten und ihnen langfristig ein erfüllendes Arbeitsumfeld zu bieten, das andere. Hier kommt der dritte Abschnitt der Candidate Journey ins Spiel, das Onboarding. Diese ersten Wochen am neuen Arbeitsplatz sind eine sehr heikle Phase, in der gemäß Studien 20 Prozent der jungen Leute bereits wieder über Kündigung nachdenken. Strukturiertes Onboarding sollte deshalb schon vor dem ersten Arbeitstag beginnen. Auch um einem weiteren Phänomen unserer Zeit vorzubeugen: Junge Bewerber:innen, die zwar den Arbeitsvertrag unterschrieben haben, aber dann nicht zum ersten Arbeitstag erscheinen.
Auch Führung muss heute neu gedacht werden: Herkömmliche Hierarchien gehören auf den Prüfstand, die Führungspersönlichkeiten und -stile sollen flexibler werden, um die Ideen und Vorstellungen der Generation Z ernst zu nehmen. In Zukunft werden nicht automatisch diejenigen mit der höchsten Fachexpertise zur Führungskraft, sondern Personen, denen die Mitarbeitenden am Herzen liegen, die sie im Sinne eines coachenden Führungsstils fordern und fördern.
Unabhängig von der Branche müssen sich Unternehmen, auch Labore, trauen, Dinge einfach mal anders zu machen. Dazu braucht es Experimentierfreude und ein fluides Mindset, das den Status quo in Frage stellt und neue Wege beschreitet – iterativ und innovativ. Die Generation Z hat andere Bedürfnisse, ein anderes Kommunikations- und Interaktionsverhalten, eine andere Idee von der Zukunft. Sie werden nicht mehr nur Geld gegen Arbeit eintauschen. Sie werden auch nicht mehr nur einen Arbeitgeber haben. Sie wollen flexiblere Arbeitsmodelle, um Privatleben und Beruf zu vereinbaren. Eine Herausforderung, der sich alle stellen müssen, wenn sie im globalen „War for Talents“ bestehen wollen.
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