Wird der Beitrag der Labordiagnostik angemessen wahrgenommen und honoriert? Mit welchen Hürden und Schwierigkeiten haben Labore aktuell zu kämpfen? Und welche Rolle spielt das Image dabei? Was könnten wirksame Antworten sein und wie kann die Diagnostika-Industrie dabei unterstützen? Für den Roche Live Talk am 1. Juli 2021 stellten sich fünf Fachleute der Labordiagnostik und Labormedizin den Fragen des Moderators. Rund 160 Zuschauer verfolgten die Diskussion via Livestream und belebten mit ihren Fragen das Gespräch.
Im Roche Live Talk diskutierten fünf ausgewiesene Experten aus Labor und Verbänden.
Im Roche Live Talk diskutierten fünf ausgewiesene Experten aus Labor und Verbänden
„Die Corona-Pandemie – eine Goldgrube für Labormediziner“ lautete die provokante Schlagzeile, mit der die Diskussion eröffnet wurde. Sind die Labormediziner wirklich die Gewinner der Pandemie?
Andreas Bobrowski räumte mit diesem Klischee auf. Niemand habe sich in den vergangenen Monaten eine goldene Nase verdient. „Labore in Deutschland haben als erste Reagenzien und Primer für die PCR-Diagnostik hergestellt. Dadurch konnten wir die Pandemie schneller und besser als viele andere Länder in den Griff bekommen“, betonte er. Entscheidend sei dabei die flächendeckende und wohnortnahe laborärztliche Versorgung gewesen. „Goldene Zeiten waren das wirklich nicht“, ergänzte Maria Becker. Die Pandemie sei vor allem ein enormer Kraftakt gewesen, der viele Labore an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit brachte. So habe die Pandemie ans Licht geholt, was zuvor eher im Verborgenen stattfand: Den besonderen Wert der Labormedizin für die Gesundheitsversorgung und den enormen Druck, unter dem viele Labore heute stehen.
Rund 1.000 Fachärzte für Laboratoriumsmedizin gibt es in Deutschland, das sind nur etwa 0,5 Prozent der Ärzteschaft insgesamt. Gleichzeitig werden 70 Prozent aller medizinischen Entscheidungen von den Ergebnissen der Labormedizin beeinflusst. Aber nur zwei Prozent der Gesundheitsausgaben fließen in die Labormedizin. „Die Wertschöpfung der Labormedizin ist unbestritten“, betonte Bobrowski. Doch was bedeutet das im Laboralltag? „Gerade jetzt in der Pandemie zeigt sich der Kostendruck für uns besonders deutlich“, beschrieb Thilo Rünz die Situation. Die Kosten im Labor setzen sich etwa jeweils zur Hälfte aus Personalkosten und Sachkosten zusammen. Die Personalkosten sind dabei an Tarifverträge gebunden. Die Sachkosten, also neue Analysegeräte und Tests, sind seit Beginn der Pandemie spürbar gestiegen. Diese Kostensteigerungen werden von den Kostenträgern jedoch nicht in höheren Vergütungen abgebildet – im Gegenteil, wie die aktuelle Vergütung für den PCR-Test zum Nachweis von SARS-CoV-2 zeigt. Der PCR-Test war zum 1. Februar 2020 als neue Leistung in den EBM aufgenommen worden und wurde zunächst mit 59 Euro bewertet. Zum ersten Juli 2020 wurde die Vergütung bereits auf 39,40 Euro abgesenkt und zum ersten Juli diesen Jahres erneut auf nur noch 35 Euro pro Test.
Dieser Kostendruck sei auch im Krankenhaus schon lange spürbar, erklärte Gudrun Hintereder. „Im Krankenhaus werden Laborkosten über DRGs (Diagnosis Related Group) pauschal abgegolten“, ergänzte sie. „Das ist wirtschaftlich nicht machbar und diese Leistungen müssen aus anderen Bereichen quersubventioniert werden.“ Den Kostendruck spüre man dann vor allem bei Neuanschaffungen. Auch wenn die Investition in neue Geräte letztendlich vieles einfacher machen würde – Prozesse, Ergebnisqualität und Personalaufwand – so müsse sie doch häufig jahrelang für Neuanschaffungen kämpfen, da die Handlungsspielräume in den Kliniken sehr gering seien.
Große Bedeutung für die Gesundheitsversorgung, die aber von den Kostenträgern nicht angemessen honoriert und in der Öffentlichkeit nicht gesehen wird. Da stellt sich die Frage: Hat die Branche ein Imageproblem? Und welche Auswirkungen hat das auf die Rekrutierung von Nachwuchs? Christiane Maschek erläuterte die aktuelle Situation für den Bereich der MTLA. Aktuell arbeiten rund 100.000 MTLA in Deutschland. „In den nächsten Jahren jedoch werden wir die demografische Entwicklung deutlich spüren“, betonte Maschek. „Rund 22 Prozent der MTLA werden in den nächsten fünf bis zehn Jahren in den Ruhestand gehen.“ Da müssten die Kapazitäten für die Nachwuchsausbildung eigentlich steigen. Tatsächlich aber wurden von den aktuell 74 MTA-Schulen in Deutschland drei geschlossen. Immerhin: Das gerade beschlossene MTA-Reformgesetz zeige, dass der Gesetzgeber das Problem erkannt hat, führte Maschek aus. Durch das Gesetz wird die Ausbildung praxisnäher und damit auch attraktiver. Das Schulgeld fällt weg und Ausbildungsverträge sind gesetzlich mitgeregelt. Seit 2019 erhalten die Auszubildenden bereits eine Ausbildungsvergütung, was die Attraktivität der Ausbildung zusätzlich erhöht.
Und wie sieht die Situation bei den Fachärzten für Laboratoriumsmedizin aus? Auch hier fehle es an Nachwuchs, waren sich alle Beteiligten einig. Die Gründe dafür sieht Andreas Bobrowski unter anderem in der Bedarfsplanung, die für Laborärzte seit Anfang 2013 gilt. Dadurch sind seit nun mehr fast zehn Jahren die kassenärztlichen Zulassungen für niedergelassene Fachärzte für Laboratoriumsmedizin auf 1.200 begrenzt. „Um eine flächendeckende und wohnortnahe laborärztliche Versorgung zu gewährleisten, bräuchten wir mindestens 2.000 volle Stellen“, betonte Bobrowski. „Viele Kollegen müssen jetzt auf halben oder gar viertel Stellen arbeiten. Das verunsichert unsere jungen Kollegen.“ Grundlage für diese Bedarfsplanung sei die – unzutreffende – Wahrnehmung der Labormedizin als patientenferne Disziplin. „Aber gerade das ändert sich jetzt glücklicherweise“, freut sich Bobrowski. Durch die Personalisierte Medizin und die Antibiotikaberatung rücke der Laborarzt immer näher an die Klinik und damit auch an die Patienten.
Einen weiteren Grund für den Nachwuchsmangel bei Laborärzten ergänzte Gudrun Hintereder: „Die Labormedizin führt im Studium ein Schattendasein.“ Die fünfjährige Facharztausbildung sei hochspezialisiert und anspruchsvoll, erhalte aber im Vergleich mit anderen ärztlichen Disziplinen nicht den Stellenwert, den sie verdiene.
Durch die Personalisierte Medizin und die Antibiotikaberatung durch Laborärzte rückt die Labormedizin immer näher an die Klinik und wird somit als patientennähere Disziplin wahrgenommen.
Obwohl sich die Labormedizin gerade in der Pandemie als systemrelevante Disziplin zeigte, fehlt dem Arbeitsplatz Labor noch die Attraktivität und Wertschätzung, um ausreichend Nachwuchs zu gewinnen. Welche Maßnahmen können da Abhilfe schaffen? Marketing und Öffentlichkeitsarbeit, so die einhellige Meinung, sei ein entscheidender Schlüssel. „Wir mögen unseren Beruf alle sehr mit seiner Mischung aus Medizin, Technik und Verantwortung für die Patienten“, erklärte Maria Becker. „Das müssen wir noch stärker nach außen tragen.“ Labore können beispielsweise ihre Türen öffnen und so der breiten Öffentlichkeit ihre Arbeit besser erklären. Auf Berufsmessen oder durch Schülerpraktika ließe sich gezielt für Nachwuchs werben.
Auch könne man auf vielfältige Weise das Arbeitsumfeld attraktiver gestalten, ergänzte Christiane Maschek. Beispielsweise durch attraktive Arbeitszeitmodelle wie eine 30-Stundenwoche oder durch Unterstützung bei der Kinderbetreuung oder der Mobilität. Thilo Rünz betonte darüber hinaus, dass MTLA mehr Möglichkeiten erhalten sollten, sich weiterentwickeln und spezialisieren zu können.
Um das Nachwuchsproblem langfristig in den Griff zu bekommen, ist auch die Gesellschaft gefordert. Hier können Labore auch mit Diagnostika-Herstellern zusammenarbeiten, wenn es darum geht, den Wert der Labormedizin zu erklären und in der Öffentlichkeit bekannter zu machen. Aber auch darüber hinaus können Hersteller von Analysegeräten und Tests einiges tun, um den Arbeitsplatz Labor fit für die Zukunft zu machen. „Wir brauchen vor allem gute Prozesse. Die analytischen Prozesse sind durch die Automation bereits recht gut abgedeckt“, sagte Gudrun Hintereder. In der Prä- und Postanalytik jedoch gibt es noch Verbesserungsbedarf. Thilo Rünz ergänzte, dass die Industrie mit ihren Angeboten noch stärker die unterschiedlichen Bedürfnisse der Labore berücksichtigen solle: „Wir müssen zwei Szenarien unterscheiden: das kleine Krankenhaus, in dem ich schnell für einen Patienten das Ergebnis einer bestimmten Analytik brauche und das Großlabor mit tausend Einsendern, das batchweise arbeitet.“ Und Maria Becker ergänzte: „Ich komme aus der Praxis und freue mich einfach über gut funktionierende Geräte. Gleichbleibende Qualität, wenig Aufwand, modern – dann macht es auch als MTLA Spaß, mit diesen Geräten zu arbeiten.“
„Laborärzte und Diagnostikindustrie müssen an einem Strang ziehen, wenn es um Innovationen geht. Ein gutes Beispiel für eine gelungene Zusammenarbeit war die Präeklampsiediagnostik“, betonte Andreas Bobrowski. Abrechnungsfähige Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen werden im einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) definiert. Dort gilt der Erlaubnisvorbehalt. Das bedeutet, dass neue Methoden wie zum Beispiel Labortests erst dann zulasten der gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet werden dürfen, wenn zuvor in einem Bewertungsverfahren ihr Nutzen, ihre medizinische Notwendigkeit und ihre Wirtschaftlichkeit nachgewiesen wurden. „Das heißt, wir müssen viele Gremien durchlaufen, bevor eine neue Untersuchung zugelassen wird“, so Bobrowski. „Und das kann viele Jahre dauern.“
Es ging aber nicht nur um effiziente Prozesse im Labor selbst. Schließlich seien Automatisierung und Digitalisierung dort schon ziemlich weit fortgeschritten. Andreas Bobrowski identifiziert die Schnittstellen zu den Einsendern, Klinikern oder Gesundheitsämtern als eine große Herausforderung, die aktuell viele Ressourcen bindet. „Das wurde jetzt gerade in der Pandemie wieder deutlich“, beschrieb er die Situation. „Wir hatten plötzlich Anforderungsformulare ohne QR-Code auf dem Tisch liegen. Da musste wieder viel von Hand ausgefüllt und eingetippt werden.“ Generell liege die Digitalisierung im Gesundheitswesen hinter den Erwartungen zurück. Mit der Telematikinfrastruktur und der elektronische Patientenakte (EPA) habe man den richtigen Weg eingeschlagen, sei aber noch lange nicht am Ziel.
Digitalisierung und innovative Testmethoden könnten die Arbeit der Labore in Zukunft verändern. Über die EPA erhalten Patienten mehr Verantwortung. Labore kommunizieren dann direkt mit den Patienten und müssten auch ihre Sprache anpassen. „Wir sollten in diesem Zug auch die Struktur unserer Befunde überprüfen“, betonte Thilo Rünz. „Aktuell führen wir viel zu viele Laborwerte auf, die für eine Diagnose gar nicht benötigt werden. Wir sollten besser priorisieren, was für die Kliniker und Patienten wichtig ist.“ Möglicherweise würden auch viele Standardparameter in Zukunft miniaturisiert über kleine POC-Panels laufen. Ein weiterer Trend könne die Homediagnostik sein, über die Patienten bestimmte Parameter zuhause selbst bestimmen und überwachen können, wie es beim Blutzucker seit langem üblich ist. Wichtig sei es aber, Patienten nicht zu überfordern, betonte Bobrowski: „Die Verantwortung für die Laborwerte dürfen wir nicht aus der Hand geben. Das Labor ist unsere Domäne und Kompetenz.“
Disclaimer: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in den Texten nur das generische Maskulinum verwendet. Es sind damit alle Personen unabhängig von ihrem Geschlecht gemeint.
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