Erschienen am {DATE} von {AUTHORS} in den Kategorien {CATEGORIES}

Liquid Biopsy (LB), den Tumor anhand einer Blutprobe analysieren – was einst nach Science Fiction klang, hat sich inzwischen zur zukunftsweisenden Methode entwickelt. Die Anwendungsmöglichkeiten der LB in der Onkologie sind vielfältig. Ein spannender Teilaspekt der LB ist das Therapiemonitoring, aber auch vielfältige andere Anwendungen sind denkbar. Prof. Sültmann, Genomforscher am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg, spricht im Interview über das Potenzial der LB für die Diagnostik und Therapie solider Tumoren.

Sültmann: Solide Tumore können DNA, RNA, Proteine, kleine Vesikel oder ganze Zellen freisetzen. Im Rahmen der Liquid Biopsy (LB) werden diese Analyten nicht, wie sonst üblich, in Gewebeproben, sondern im Plasma gemessen. Die Vorteile für den/die Patient:innen liegen auf der Hand: Belastende Gewebebiopsien können entfallen. Es genügt stattdessen eine kleine Blutprobe. 

Ursprünglich konzentrierte sich die LB auf zirkulierende Tumorzellen. Diese treten vor allem dann auf, wenn Tumore weit fortgeschritten, womöglich schon metastasiert sind. Einige Forschergruppen arbeiten an Tumorvesikeln, die kleine RNA-Schnipsel, die miRNA, enthalten. Der Tumornachweis anhand von miRNA ist allerdings nicht sehr spezifisch, weshalb die Übertragung in die klinische Anwendung heute noch schwierig ist.

Deutlich weiter ist die LB mit Blick auf die Messung von Tumor-DNA, die anhand von tumorspezifischen Mutationen nachweisbar ist. Dank der umfassenden Forschungsaktivitäten auf diesem Gebiet in den letzten Jahren gibt es inzwischen große Kataloge von spezifischen Mutationen in Krebsgeweben, nach denen man gezielt suchen kann. Findet man diese Mutationen im Blutplasma, kann man mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit sagen, dass die DNA von diesem Tumor ausgegangen ist – die Spezifität für diese Tumoren ist also sehr hoch.

Wir untersuchen am NCT in diesem Zusammenhang beispielsweise die EML4-ALK-Translokation bei Lungenkrebs, eine Genveränderung, bei der das ALK-Gen fälschlicherweise mit einem weiteren Gen, nämlich EML4, auf dem gleichen Chromosom fusioniert ist. Aus der Anwesenheit von Mutationen im Blut des/der Patient:in lässt sich schließen, ob noch ein Resttumor vorhanden ist. Auch bei anderen Krebsarten wie dem Brust- und dem Darmkrebs kennt man solche Biomarker, die Aussagen über das Vorhandensein bzw. die Aktivität des Tumors zulassen.

Prof. Dr. Holger Sültmann ist Genomforscher am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg.

Sültmann: Für einige Mutationen gibt es inzwischen zielgerichtete Therapieoptionen, die genau an der Achillesferse der Tumoren ansetzen und das Tumorwachstum aufhalten. Die LB kommt hier zunächst bei der Therapieentscheidung ins Spiel, falls keine Gewebeprobe verfügbar ist. Aber auch im Therapiemonitoring werden solche Analysen aktuell durchgeführt. Wenn zusätzlich zu bildgebenden Diagnosen, die meist alle paar Monate stattfinden, in regelmäßigen, kürzeren Abständen das Blut auf Tumor-DNA hin untersucht wird, so lässt sich mit einfachen und patient:innenschonenden Mitteln auf das Tumorwachstum schließen. Auch eine minimale Resterkrankung ist häufig nachweisbar: Man kann also zeigen, ob nach einer operativen Entfernung des Tumors kleinste Tumorreste vorhanden sind. Diese Form des Monitorings kann auch Konsequenzen nach sich ziehen, wenn beispielsweise die Therapie angepasst werden muss, weil die ursprüngliche Behandlung keine Wirkung mehr zeigt.

Es gibt in den USA bereits eine Reihe zugelassener LB-Tests für das Bronchialkarzinom, das Mammakarzinom und auch das Kolorektalkarzinom. In Deutschland sind noch weit weniger Tests auf dem Markt. Der erste war der cobas® EGFR Mutation Test von Roche. Im Jahr 2023 wurde von der EMA das Medikament Elacestrant zur Therapie von Östrogenrezeptor-positivem fortgeschrittenen Mammakarzinom zugelassen. Im Laufe der Therapie kommt es häufig zu Mutationen im ESR1 Gen, die zur Folge haben, dass Elacestrant nicht mehr wirkt. Die Analyse dieser Mutationen durch einen LB-Test im Blutplasma ist bereits heute Voraussetzung für die Therapie mit dem Arzneimittel*. Bei positivem Nachweis der Mutationen kann eine Änderung der Therapie einen Vorteil bringen.

 (Anm. der Redaktion: Lesen Sie dazu auch unseren Beitrag: )

Sültmann: Generell unterscheiden wir zwischen sequenzbasierten Verfahren, also dem Next Generation Sequencing (NGS), und PCR-Methoden. Beide bringen Vor- und Nachteile mit sich. Die digitale PCR (dPCR) ist inzwischen eine etablierte Methode zur absoluten Quantifizierung der DNA aus Blutproben. Sie ist relativ einfach, sehr sensitiv und kostengünstig durchzuführen, hat aber auch ihre Grenzen. So kann man mit ihr etwa fünf bis sechs Gene gleichzeitig quantifizieren. Zum Vergleich: Mit NGS sind es Hunderte Mutationen, die man simultan messen kann. Man kann also aus einer Analyse deutlich mehr Informationen gewinnen.

Sültmann: Wir arbeiten im Rahmen der CATCH-Studie mit den Heidelberger Arbeitsgruppen von Prof. Dr. Andreas Schneeweiß (Gynäkologische Onkologie am Universitätsklinikum Heidelberg) und Prof. Dr. Peter Lichter (NCT-Direktor und Abteilungsleiter „Molekulare Genetik“ am DKFZ) zusammen.

Die CATCH-Studie untersucht Patient:innen mit metastasiertem Mammakarzinom. Unsere Aufgabe ist es, longitudinal, also in festgelegten Zeitabschnitten, die Mutationen zu verfolgen. Es zeigt sich, dass viele Mutationen nach einigen Wochen unter Therapie nicht mehr nachgewiesen werden können, was zunächst einmal ein gutes Zeichen ist. Nun kann es sein, dass diese oder andere Mutationen nach einiger Zeit wieder nachweisbar sind. Diese Information ist relevant für die Behandler:innen, die die Therapie entsprechend anpassen können. Aktuell analysieren wir die Proben noch retrospektiv und vergleichen unsere Ergebnisse mit den klinischen Daten, um für die Zukunft zu lernen, was das für die Therapie der Patient:innen bedeutet.

Eine Technologie, die die Zahl der DNA-basierten Blutmarker erweitert, ist das Shallow Whole Genome Sequencing. Mit dieser Ganz-Genomanalyse mit niedriger (shallow) Sequenzabdeckung suchen wir im Blut nach größeren chromosomalen Veränderungen. Häufig finden wir, dass das Genom „unruhig“ ist, d. h. dass viele chromosomale Veränderungen auftreten. Das ist ein Indiz dafür, dass eine minimale Resterkrankung vorliegt.

Wir nutzen das Shallow Whole Genome Sequencing auch über die CATCH Studie hinaus, um andere Tumorarten damit zu untersuchen. Die Methode hat den Vorteil, dass man sie stark multiplexen kann: Es lassen sich etwa 100 Proben parallel damit analysieren. Das macht sie zu einem gut geeigneten Werkzeug, von dem ich denke, dass es einmal in die Diagnostik der minimalen Resterkrankung Einzug halten wird.

Sültmann: Für die Erstdiagnose ist die Entnahme einer Gewebeprobe heute noch unerlässlich. Diese wird durch histologische Methoden oder DNA-Analysen mittels Next-Generation-Sequencing in spezialisierten Zentren durchgeführt. Die LB spielt für die Diagnostik im engeren Sinne (mit Ausnahme der oben genannten Tests) bisher keine wesentliche Rolle. Es gibt aber zahlreiche wissenschaftliche Initiativen, die untersuchen, inwieweit LB für die Diagnostik eingesetzt werden kann.

Was das Therapiemonitoring angeht, so finden wir unabhängig von der Tumorart immer wieder Patient:innen, bei denen wir mit LB keine Aussagen über den Tumor treffen können. Hier muss noch besser erforscht werden, warum das so ist.

Eine weitere Limitierung ist die Sensitivität der LB bei soliden Tumoren. Wenn die DNA-Ausbeute zu niedrig ist, können keine zuverlässigen Aussagen über das Vorhandensein des Tumors getroffen werden. Zwar kann man dann oft noch Tumor-DNA in der Blutprobe finden, aber die klinische Relevanz ist unklar. In der Hämatoonkologie ist das anders als bei den soliden Krebsarten. Da dort die Blutzellen maligne entartet sind, ist die DNA-Menge, die für die Analysen zur Verfügung steht, meist kein Problem.

Sültmann: Unsere Arbeitsgruppe befasst sich auch mit der Analyse epigenetischer Veränderungen wie Methylierungen aus LB-Proben. Momentan ist die Spezifität dieser Methode noch recht niedrig, aber langfristig sehe ich in diesen Methylierungssignaturen großes Potenzial für die Onkologie. Im Gewebe lassen sich aus Methylierungsmustern  Aussagen über die Genexpression treffen – sie haben daher einen hohen prognostischen Wert. Das Blut könnte uns zusätzliche prognostische Informationen liefern. Man könnte sozusagen mit Hilfe der Methylierungsanalyse durch ein „Schlüsselloch“ in die Genexpression im Gewebe schauen – und das ganz ohne die sonst notwendige RNA-Analyse. 

Die potenziellen Einsatzmöglichkeiten der LB in der Onkologie sind vielfältig. Die Primärdiagnostik von Krebs aus Blutproben halte ich zwar noch für Zukunftsmusik. Aber natürlich besteht die Hoffnung, dass sie einmal anwendbar wird und dazu beitragen kann, dass ein Tumor früher erkannt wird und mehr Patient:innen geheilt werden könnten.

Anmerkung: 

*Aus der Fachinformation OSERDU: „Patienten mit ER-positivem, HER2-negativem fortgeschrittenem Brustkrebs sollten für eine Behandlung mit ORSERDU ausgewählt werden, wenn in den Plasmaproben eine aktivierende ESR1- 3 Mutation vorliegt, die mithilfe eines CE-gekennzeichneten In-vitro-Diagnostikums (IVD) mit entsprechendem Verwendungszweck nachgewiesen wurde. Wenn kein IVD mit CE-Kennzeichnung verfügbar ist, muss das Vorliegen einer aktivierenden ESR1-Mutation in den Plasmaproben durch einen alternativen validierten Test nachgewiesen werden.“ https://ec.europa.eu/health/documents/community-register/2023/20230915160176/anx_160176_de.pdf (Stand 09.09.2024)


Bitte nutzen Sie das folgende Kontakt-Formular und geben Sie Ihre Kontaktinformationen an. Klicken Sie dann auf „Absenden“ und der zuständige Ansprechpartner erhält umgehend Ihre Anfrage und kümmert sich um die Bearbeitung.

Mit * gekennzeichnete Felder müssen ausgefüllt werden.

Anfragen werden nur persönlich beantwortet. Die Antworten sind nicht für weitere Veröffentlichungen freigegeben. Es werden ausschließlich Anfragen aus Deutschland bearbeitet. Falls Ihr Wohnsitz nicht in Deutschland ist, bitten wir Sie, die Roche Website des jeweiligen Landes zu nutzen.

Melden Sie sich zum Newsletter an und erhalten Sie direkt die Neuigkeiten aus der Diagnostik in Ihr Postfach.

Links zu Websites Dritter werden im Sinne des Servicegedankens angeboten. Der Herausgeber äußert keine Meinung über den Inhalt von Websites Dritter und lehnt ausdrücklich jegliche Verantwortung für Drittinformationen und deren Verwendung ab.