Im Gesundheitssystem fehlt der Nachwuchs. Stress, Zeitdruck und Personalnot verschlechtern zunehmend die Arbeitsbedingungen für Ärzt:innen, Pfleger:innen und medizinisch-technische Laboratoriumsassistent:innen. Anlässlich der Roche Tage 2022 sprachen Vertreter:innen aus unterschiedlichen Bereichen des Gesundheitssystems über ihre persönlichen Erfahrungen und Herausforderungen im Wettbewerb um neue Talente. Sie diskutierten verschiedene Mittel und Wege, um die Arbeitsplätze im Gesundheitswesen wieder attraktiver zu gestalten und so der Personalnot entgegenzuwirken.
Wie sehen attraktive Arbeitsbedingungen im Gesundheitssektor aus? Was ist den Mitarbeitenden wichtig? Christiane Maschek kann hier von einer Umfrage unter Auszubildenden und neuen oder neu eingestiegenen MTA in Laboratorien und Pathologien berichten: „Es ist gar nicht mal das Geld, das spielt erst sekundär eine Rolle. Es ist vielmehr die Art und Weise, wie miteinander kommuniziert und gearbeitet wird“, so ein wichtiges Ergebnis der Umfrage. Zentral seien hier ein wertschätzender Umgang mit den Kolleg:innen und eine gute Atmosphäre im Team. Darüber hinaus sind berufliche Perspektiven wichtig: Weiterbildungsmöglichkeiten, Zusatzqualifikationen und Anerkennung der Leistungen und Kompetenzen.
Das stellt insbesondere hohe Anforderungen an Führungskräfte, die für ihre Mitarbeitenden eine wertschätzende Arbeitsumgebung schaffen müssen. Sven Perner hat in einer Blitzumfrage zwei seiner Mitarbeiterinnen aufgefordert, ihre persönliche Sicht in Worte zu fassen. Was zeichnet eine gute Führungskraft aus? Verlässlichkeit, sich auf Augenhöhe begegnen und Respekt wurden dabei ebenso genannt wie Transparenz und klare, verständliche Ansagen. Individuelle Stärken erkennen und fördern, gleichzeitig auch fordern ohne zu überfordern seien ebenso ein Merkmal guter Führung. Neben der Art und Weise der Führung spielt auch das Team eine große Rolle, ebenso ein angenehmes Arbeitsklima und eine vertrauensvolle und wertschätzende Zusammenarbeit. Essenziell sei aber auch das Vermitteln einer gemeinsamen Vision, eines Mehrwerts der Arbeit, um die Motivation auch im anstrengenden Arbeitsalltag aufrechtzuerhalten.
Prof. Dr. med. Sven Perner
Direktor der Pathologie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Campus Lübeck und des Forschungsstandorts Borstel
Gina Schöler
Kommunikationsdesignerin M.A. und Glücksministerin (Leiterin der unabhängigen, bundesweiten Initiative „Ministerium für Glück und Wohlbefinden“)
Christiane Maschek M.A.
Gesundheitswissenschaftlerin,
Präsidentin für Laboratoriumsmedizin des DVTA e.V.,
Leiterin MTLA-Schule der Medizinischen Hochschule Hannover
Marie-Luise Stallecker
Manager Health Coordination,
Roche Diagnostics GmbH
„Was man hier deutlich merkt: Die Arbeitsweise hat sich geändert“, betont Perner. „Und die Medizin wird weiblicher, aktuell sind 90 Prozent meiner Mitarbeitenden Frauen.“ Auch diese Entwicklung trägt dazu bei, dass sich die Anforderungen an die Arbeitsbedingungen verändern. Zum Beispiel brauche es flexiblere Arbeitszeitmodelle, ebenso wie flexiblere Möglichkeiten, den Arbeitsort zu wählen. Die klassische Karriere sei nicht mehr so wichtig, vielmehr identifizieren sich die Kolleg:innen mit ihren ganz persönlichen Visionen eines erfolgreichen Arbeitslebens. „Diese neuen Anforderungen lassen sich unter dem Stichwort New Work zusammenfassen“, so Perner. „Wir müssen genau hinschauen und die Bedürfnisse der neuen Generation erkennen. In die Zukunft schauen können wir alle nicht. Wir müssen das jetzt anschauen, zerlegen, neu denken und immer wieder überprüfen. Kurz: Wir müssen unser Tun im systemischen Kontext reflektieren.“
Was brauchen Mitarbeitende? Was tut ihnen gut? Das Thema Wellbeing hat seit Corona eine enorme Konjunktur erlebt. „Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht von Mitarbeitenden und Führungskräften Anfragen zu verschiedenen Aspekten dieses Themas bekomme“, betont Marie-Luise Stallecker. Dabei gehe es zum einen um strukturelle Aspekte, also beispielsweise Arbeitsbedingungen, die dauerhaft zu Stress führen können (Stichwort Meetings) oder eine gewisse Erschöpfung im Team nach zweieinhalb Jahren Pandemie. Auch die Themen New Work, Führung auf Augenhöhe und das Eingehen auf persönliche Bedürfnisse der Mitarbeitenden seien in diesem Kontext sehr wichtig. Hinzu kommen nun individuelle Angebote zu Themen wie Resilienz, Achtsamkeit und Fitness. „Dabei kommt es nicht auf die Anzahl der Angebote an“, so Stallecker. „Wichtiger ist generell die Kultur im Unternehmen. Also: Haben Gesundheit und Wohlbefinden einen hohen Stellenwert und fühlen sich Mitarbeitende empowered, im Urlaub auch tatsächlich keine E-Mails zu lesen oder mittags ohne schlechtes Gewissen eine Runde joggen zu gehen? Angebote allein nützen nichts, es muss auch gewollt sein, sie zu nutzen. Und Führungskräfte sollten mit gutem Beispiel vorangehen.“
Wellbeing oder vielmehr Glück im Arbeitsalltag sind auch das Thema von Gina Schöler, die als Glücksministerin die unabhängige Initiative „Ministerium für Glück und Wohlbefinden“ leitet. Dabei nimmt sie die Themen Glück und Wohlbefinden in den Fokus und hat vor allem die persönlichen Bedürfnisse der Menschen im Blick. „Glück hat keine Zielgruppe“, betont Schöler. „Für meine Vorträge und Seminare bekomme ich Anfragen von Schulen ebenso wie von Führungskräften. Es geht durch alle Schichten und durch alle Branchen. Dabei gibt es kein Richtig und kein Falsch. Hauptsache man tut überhaupt etwas, um Glück und Wohlbefinden in den Lebensalltag zu integrieren – ob privat oder beruflich.“ Doch was kann man konkret tun, um auch im Arbeitsumfeld das Glück auf die Agenda zu setzen und so attraktive Arbeitsumgebungen zu schaffen? Schöler verweist hier auf das PERMA-Modell von Martin Seligman aus der Positiven Psychologie: Die Buchstaben stehen für Positive Emotionen wie Dankbarkeit und Wertschätzung; Engagement, also die Frage, wie man Menschen intrinsisch motivieren kann; Relationships verweist auf die Beziehungen untereinander; Meaning steht für den Sinn und Achievement beschäftigt sich damit, Ziele zu setzen und Erfolge zu feiern. All diese Komponenten beeinflussen die Zufriedenheit am Arbeitsplatz. Aufgabe der Unternehmen und der Führungskräfte sei es, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, damit PERMA Realität werden kann.
Sich Ziele setzen, die Visionen kennen, für die wir arbeiten, Sinnhaftigkeit und Identifikation erfahren – gerade für die Generation Z, also die ab 1995 Geborenen, ist das besonders wichtig, bestätigt auch Christiane Maschek: „Für die Generation Z steht Flexibilität nicht unbedingt an erster Stelle. Sie wollen Sicherheit und sie wollen bei dem, was sie tun, Sinn erleben.“ Die Patient:innen und deren Sicherheit müssten demnach stärker in den Fokus rücken. Wesentlich sei dabei auch das Konzept der Personalisierten Medizin. „Die MTA muss ihren Sinn darin sehen, dass sie durch die Diagnostik und Analytik einen wesentlichen Beitrag zu Therapien und Gesundheit von Patient:innen leistet“, so Maschek. „Die Haltung muss sein, die Patient:innen ins Zentrum zu stellen – mit der interessanten, komplexen Arbeit, die tagtäglich in den Laboren erbracht wird.“
Um Selbstwirksamkeit und Sinnhaftigkeit im Arbeitsalltag erleben zu können, müsse man aber auch die entsprechenden Freiräume schaffen, ergänzt Perner. „In den Gesundheitsberufen arbeiten wir heute am absoluten Limit und sind komplett durchgetaktet. Wir brauchen dringend eine dickere Personaldecke, so dass jeder Mitarbeitende sich mit seinen Ideen wirklich einbringen kann. Dann wird auch der Beruf im Gesundheitswesen wieder attraktiver.“
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