Wenn es noch eines Beweises bedurfte, die COVID-19-Pandemie hat es an den Tag gebracht: Die Laboratoriumsmedizin hat sich innerhalb der letzten Jahre in unserem Gesundheitssystem von einem versorgungsrelevanten zu einem systemrelevanten Fach fortentwickelt.
Ein Beitrag von Dr. rer. nat. Dipl.-Chem. Andreas Bobrowski, Berufsverband Deutscher Laborärzte e.V., Lübeck
Viele Jahre litt die Wertschätzung der Laboratoriumsmedizin in unserem Land an einer gewissen Janusköpfigkeit. Zum einen hoch geschätzt bei Patienten und bei haus- und fachärztlichen Kollegen, auf der anderen Seite aber von den Kostenträgern und dem KV-System als Fach mit einem hohen Einsparpotenzial gesehen. Mehr als fünfzehn große und kleine Laborreformen in den letzten 20 Jahren sprechen da eine deutliche Sprache und hatten immer das Ziel, Honorare aus dem Bereich Labor in Richtung der sogenannten „sprechenden Medizin“ zu verschieben. Dabei wurde für die Laboratoriumsmedizin der Begriff „patientenferne Medizin“ geprägt, um einen möglichst großen Abstand zur „sprechenden Medizin“ der Haus- und Fachärzte zu schaffen.
Dies ist nur umso verwunderlicher, weil jeder Patient aus eigener Erfahrung weiß, dass gerade die Besprechung von Laborergebnissen häufig im Mittelpunkt eines Arzt-Patienten-Kontaktes steht. Allerdings, und dies gehört zu den positiven Entwicklungen der letzten Jahre, hat sich schon nach der Laborreform im Jahre 2018 auch bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Einsparpotenziale im Fach Laboratoriumsmedizin erschöpft sind und jede weitere Mittelkürzung zu einer deutlichen Schwächung der Innovationskraft im Labor führen wird. Dazu führte der hausärztliche Vorstand der KBV Dr. Hofmeister auf der Vertreterversammlung im Mai 2019 aus:
„Es zeigt sich andererseits aber auch, dass die Einsparpotenziale in den Praxen längst nicht so hoch sind, wie sich das mancher versprochen haben mag. Wir sparen bis es quietscht, aber irgendwann ist eben nichts mehr zu holen. Es darf nie vergessen werden, Labor ist ein eminent wichtiger Baustein in der ärztlichen Diagnostik und nicht einfach ein Honorarsteinbruch. Medizinisch notwendiges Labor muss von den Krankenkassen vollständig bezahlt werden, basta!“
Welch hellseherischen Charakter diese Worte hatten, dürfte nach anderthalb Jahren Corona-Pandemie jedem klar geworden sein. Schon unmittelbar nach dem Beginn der Pandemie hatte die Politik das Potenzial, aber auch die chronische Unterfinanzierung des medizinischen Labors in Deutschland erkannt. Umgehend stellte die Bundesregierung die benötigten Mittel zur flächendeckenden Durchführung der SARS-CoV-2-PCR-Testungen in Form von Rechtsverordnungen zur Verfügung. Nur so war es möglich, vom ersten Tag an das Potenzial der Laboratoriumsmedizin bei der Bekämpfung der Pandemie für unser Land voll auszuschöpfen. In einem nie dagewesenen Prozess entwickelten Labore PCR-Teste selbst und konnten diese umgehend in der PCR-Diagnostik von COVID-19 einsetzen. Beispielhaft war dabei auch die enge Zusammenarbeit mit der Diagnostika-Industrie, als es galt, schnell Untersuchungen an größeren Probenmengen zu ermöglichen. In dieser schwierigen Situation zeigte sich die große Flexibilität der Labore. Indem sie die Kapazitäten nicht nur ihrer Geräte, sondern auch ihres Personals voll ausschöpften, konnten sie diese neue Herausforderung bewältigen.
Dabei konnten die Labore neben dem hohen Rationalisierungsgrad auch auf ihre führende Rolle bei der Digitalisierung in unserem Gesundheitssystem setzen. Die jahrelangen Erfahrungen in der elektronischen Übertragung von Daten machten es möglich, die Gesundheitsämter und das RKI zeitnah an die vorhandenen IT-Strukturen anzuschließen. So konnten die Labore Untersuchungsdaten patientenfreundlich an die Corona-Warn-App oder eine eigene Labor-App zur schnellen Befundübermittlung weitergeben.
Damit wurde die Laboratoriumsmedizin in Deutschland zum entscheidenden Faktor bei der Bekämpfung der Pandemie und lieferte gleichzeitig epidemiologische und statistische Daten an die Entscheidungsträger in der Politik, so dass Deutschland wie kein anderes Land durch die Pandemie gekommen ist. Erstmals brauchten die Labore in dieser Situation weder mit langjährigen Zulassungsverfahren oder fehlenden digitalen Standards noch mit einem innovationshemmenden Erlaubnisvorbehalt bei den Kostenträgern und dem KV-System zu kämpfen.
Es bleibt zu hoffen, dass die Erfahrungen aus der Pandemie für die Fortentwicklung der Laboratoriumsmedizin genutzt werden.
Es bleibt zu hoffen, dass die Erfahrungen aus der Pandemie für die Fortentwicklung der Laboratoriumsmedizin genutzt werden. Die nach wie vor ärztlich geprägte Laboratoriumsmedizin in Deutschland benötigt zukunfts- und rechtssichere Strukturen, um auch weiterhin die Versorgung der Bevölkerung wohnortnah und flächendeckend sicherzustellen. Mit mehr als 400 Arztkontakten je 1000 Versicherten pro Jahr gehört die Laboratoriumsmedizin schon jetzt zu der am häufigsten in Anspruch genommenen fachärztlichen Disziplin in unserem Gesundheitswesen. Oder anders ausgedrückt, die rund 1000 Laborärzte, die in Deutschland tätig sind, steuern in über 70 Prozent der Fälle die Diagnostik und Therapieentscheidungen von 350.000 Ärzten in unserem Land.
Darüber hinaus haben die Laboratorien in der Vergangenheit durch ihre zentrale Stellung im Gesundheitssystem immer mehr Aufgaben übernommen. Sie spielen eine führende Rolle auf den Gebieten der Qualitätssicherung, der Prävention, des Infektionsschutzes sowie in der Arbeits- und Sozialmedizin. Ohne die Arbeit der Fachärzte für Laboratoriumsmedizin und Mikrobiologie ließen sich die ständig steigenden Anforderungen im Fach Hygiene nicht bewältigen. Dies gilt auch für die zunehmende Ambulantisierung der operativ tätigen Fächer.
Die Laboratoriumsmedizin ist einer der Hauptantriebsmotoren für die sich ständig weiterentwickelnden medizinischen Infrastrukturen. Dies gilt insbesondere für die von der Politik in den letzten Jahren forcierte Digitalisierung unseres Gesundheitssystems und den damit verbundenen Vernetzungsstrukturen. So kommen schon jetzt die entscheidenden Impulse für eine flächendeckende, elektronische Kommunikation aus dem Bereich der Laboratoriumsmedizin, darunter die Einführung von LOINC (Logical Observation Identifiers Names and Codes), ein Verschlüsselungssystem für medizinische Untersuchungen und SNOMED (Systematized Nomenclature of Medicine), die systematisierte Nomenklatur der Medizin. Mit ihren Spezialisten wird die Laboratoriumsmedizin auch die Entwicklung der für die Zukunft so bedeutenden Medizinischen Informationsobjekte (MIO) maßgeblich vorantreiben. Dadurch wird es schon in naher Zukunft möglich sein, in standarisierter Form Laborwerte in die geplante elektronische Patientenakte (ePA) aufzunehmen und so einen noch engeren Kontakt zwischen Laborärzten und Patienten zu ermöglichen.
Zu der aktuellen Situation der Laboratoriumsmedizin in Deutschland gehört allerdings auch, dass seit dem Moratorium im Jahr 2012 eine versorgungsfeindliche Bedarfsplanung die Schaffung neuer ärztlicher Stellen massiv einschränkt. Dadurch werden die Möglichkeiten der Labore, ihren personellen Bedarf zu decken, stark begrenzt. Zwar ist es möglich, im Zuge der Reform der letzten Jahre auch laborärztliche Stellen aufzuteilen, dies führt jedoch bei steigender Inanspruchnahme von Laborleistungen dazu, dass Kollegen im ambulanten und klinischen Bereich immer stärker belastet werden. Wer also weiterhin eine flächendeckende, wohnortnahe Versorgung möchte, muss die Bedarfsplanung für die Laboratoriumsmedizin reformieren.
Entscheidend wird dabei auch sein, ob man die derzeit noch bestehenden berufspolitischen Spannungsfelder, wie die Gegensätze zwischen selbstständigen und angestellten Laborärzten, Einzelpraxen und Verbundlaboren, Laborarztpraxen und Laborgemeinschaften auflösen kann, um so ein friedliches Nebeneinander mit entsprechenden Wachstumspotenzialen bei konstant guter Qualität zu ermöglichen. Dazu gehört auch der Umgang mit Investmentgesellschaften in unserem Gesundheitssystem und den immer noch vorhandenen Problemen zwischen dem Überweisungslabor und den Selbstzuweisern.
Eins muss allerdings für die Betätigung im Labor immer gelten: Laborleistungen müssen persönliche ärztliche Leistungen bleiben.
Inwieweit sich allerdings die derzeit zentrale Rolle der Laboratoriumsmedizin in unserem Gesundheitssystem weiter festigen und ausbauen lässt, wird vor allen Dingen davon abhängen, ob es in den nächsten Jahren in Deutschland gelingt, ausreichend qualifizierten Nachwuchs zu gewinnen. Das gilt sowohl für Ärzte als auch für die nichtärztlichen Assistenzberufe im Labor. Dabei sind die Arbeitsbedingungen für den ärztlichen Nachwuchs sogar recht gut, da in den meisten diagnostischen Fächern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eher günstiger ist als in den klinischen Disziplinen. Dazu sollte auch die neue Musterweiterbildungsordnung beitragen, die wesentlich praktischer ausgerichtet ist und es schon während der Facharztausbildung ermöglicht, dass die Weiterbildungs-Assistenten gemäß ihres jeweiligen Ausbildungsstandes Verantwortung im Labor übernehmen können.
Sollten sich die zukünftigen Ärzte für ein Angestelltenverhältnis entscheiden, so bietet die Laboratoriumsmedizin durch ihre vielfältigen Aufgabengebiete gute Möglichkeiten, Privates und Berufliches harmonisch zu verbinden. Zu den weiteren Pluspunkten des Faches Laboratoriumsmedizin zählen auch die zunehmenden klinischen Tätigkeitsfelder. Hier werden die Bereiche Antibiotic Stewardship und Companion Diagnostics schon in naher Zukunft zu absoluten Wachstumsgebieten werden, so dass sich die Laboratoriumsmedizin auch als klinische Disziplin mit direktem Patientenkontakt weiterentwickeln wird.
Zusammenfassend haben sich für den ärztlichen Nachwuchs also die Voraussetzungen für eine angemessene Work-Life-Balance in der Laboratoriumsmedizin deutlich verbessert, so dass – ausreichende Weiterbildungskapazitäten vorausgesetzt – vor allen Dingen im niedergelassenen Bereich die Nachbesetzung ärztlicher Stellen gesichert sein dürfte.
Auch für das nichtärztliche Personal und hier insbesondere für die technischen Assistenzberufe wird es durch die neue Berufsordnung, das MTA-Reformgesetz, zusätzliche Impulse geben. Neben einer schon längst fälligen Namensänderung in Medizinische/r Technologin/Technologe werden die vorbehaltlichen Tätigkeiten im bisherigen Umfang beibehalten und weiterentwickelt. Auch die neu strukturierte Ausbildung mit einer deutlichen Ausweitung der praktischen Tätigkeit wird sicher zur Attraktivität dieses Berufes beitragen. Ergänzt wird diese Bestimmung durch eine angemessene Ausbildungsvergütung und den damit verbundenen Wegfall von Schulgeld.
Hinzu kommt, dass gerade die Fokussierung der Öffentlichkeit in den letzten 15 Monaten auf das Fach Laboratoriumsmedizin dazu beitragen wird, dass sich mehr Schulabgänger für einen der Berufe im Bereich der medizinischen Laboratorien entscheiden werden.
In der aktuellen Covid-19-Pandemie zeigte die Bevölkerung in unserem Land und mit ihr die Politiker und die Kostenträger großen Respekt vor den Leistungen der Laboratorien.
Doch Respekt allein genügt nicht. Die oben beschriebenen Zukunftsaussichten und neuen Entwicklungen und Tendenzen in der Laboratoriumsmedizin werden sich nur dann umsetzen lassen, wenn entsprechende finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen. Nur wenn alle an der Weiterentwicklung der Laboratoriumsmedizin Beteiligten – von der Diagnostika-Industrie über die universitären Forschungseinrichtungen bis hin zu den Anwendern in der Klinik und im niedergelassenen Bereich – ein existenzsicherndes Auskommen haben, wird der Laborstandort Deutschland auch weiterhin seine hervorragende Rolle in Europa einnehmen können.
Disclaimer: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in den Texten nur das generische Maskulinum verwendet. Es sind damit alle Personen unabhängig von ihrem Geschlecht gemeint.
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