Vor rund einem Jahr stand der Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) inmitten einer Herkulesaufgabe: Mit der Erstellung eines umfangreichen Strategiepapiers zur industriellen Gesundheitswirtschaft sollte erstmalig ein Grundsatzprogramm zur Weiterentwicklung der Branche am Standort Deutschland in Europa vorgelegt werden. Wir sprachen mit Michaela Hempel, der stellvertretenden Abteilungsleiterin Industrielle Gesundheitswirtschaft beim BDI, über die Hintergründe und Ziele der Erarbeitung des Strategiepapiers.
Frau Hempel, was war eigentlich der Auslöser zur Erstellung eines Strategiepapiers für die industrielle Gesundheitswirtschaft?
Es ist gar nicht so einfach zu skizzieren, wie dieses Projekt seinen Anfang gefunden hat, denn im Grunde gibt es viele verschiedene Anfänge, die am Ende alle im Strategiepapier gemündet sind.
Ich möchte mich auf drei Stränge konzentrieren, die zeigen, wie vielfältig wir von Anfang an gestartet sind: Hauptinitiator, und damit Strang eins, sind auf jeden Fall die BDI-Mitgliedsverbände. Da Gesundheitsindustrie für den BDI noch ein relativ neues Themenfeld ist, war es an der Zeit sich nach innen und außen durch eine Strategie klar aufzustellen.
Strang zwei sind die einzelnen Unternehmen, die in unseren Gremien mitarbeiten und wie Roche mit viel Manpower die Positionierungen vorantreiben. Ohne die großartige Unterstützung der Unternehmen und Verbände wäre es nicht möglich gewesen, das Strategiepapier inhaltlich zu stemmen.
Als Strang drei sehe ich meine persönliche Erfahrung aus knapp sechs Jahren Büroleitung einer Bundestagsabgeordneten mit dem Fokus auf Arzneimittel und Medizinprodukte. In dieser Zeit habe ich die Erfahrung gemacht, wie mühsam es sein kann Informationen einzuholen, wenn es keinen zentralen Ansprechpartner gibt. Außerdem ist mir an dieser Position auch bewusst geworden, dass die Gesundheitsindustrie irgendwo zwischen dem BMG (Bundesministerium für Gesundheit) und BMWi (Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie) angesiedelt ist und es daher oft schwer ist, verbindliche Auskünfte zu erhalten, da Ministerium A oft einfach auf Ministerium B verweist, und umgekehrt.
Eins haben jedenfalls alle drei Stränge gemeinsam: Alle möchten, dass die Gesundheitsindustrie in Deutschland auf Augenhöhe mit anderen Branchen - wie beispielsweise Automotive - betrachtet wird, und langfristig als entscheidender Wachstumstreiber und Jobmotor am Standort Deutschland erhalten bleibt. Mit diesem gemeinsamen Ziel vor Augen sind wir gestartet.
Und wie lange hat es dann gedauert, das Papier mit allen Beteiligten zu erstellen und schlussendlich zu finalisieren? Welche Hürden mussten überwunden werden?
Insgesamt haben die 30 beteiligten Unternehmen und Verbände rund ein Jahr an der Fertigstellung des Strategiepapiers gearbeitet. In diesem Jahr haben wir gemeinsam um Kapitel, Sätze und manchmal sogar um einzelne Wörter gerungen! Deshalb können wir nun mit Fug und Recht behaupten, dass die BDI-Strategie für die industrielle Gesundheitswirtschaft auf einer breiten Basis fußt und derzeit als Manifest für die Entwicklung der Branche gesehen werden kann.
Die Coronapandemie hat uns vor noch nie zuvor dagewesene Herausforderungen gestellt und von heute auf morgen einen Großteil der Arbeitskraft beansprucht. Neben den pandemiebedingten Auswirkungen war die größte Hürde letztendlich auch die größte Chance: Die Vielfalt der Unterstützer aus allen Bereichen der Gesundheitsindustrie zu bündeln, war oft eine Herkulesaufgabe. Am Ende hat es sich bewährt, das offene Wort zu suchen und miteinander - statt gegeneinander - zu arbeiten, und eben nie das gemeinsame Ziel aus den Augen zu verlieren.
Roche hat sich mit sehr großem Engagement von der ersten Sekunde an in das Projekt eingebracht. Besonders hervorheben möchte ich an dieser Stelle die konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen von Roche. Sie haben stets an das Projekt geglaubt und es mit eigenen Ideen vorangetrieben. Herzlichen Dank für Ihren Einsatz! Mir ist bewusst, dass das neben Ihrem sonstigen Arbeitsalltag ein richtiger Kraftakt war.
Nun ein Blick in die Zukunft: Was erhoffen Sie sich von dem Papier?
Mit der Strategie sind sowohl seitens des BDI, als auch von Seiten der Verbände und Unternehmen, große Hoffnungen verbunden, da sie erstmalig die Komplexität sowie die Bedeutung der gesamten Branche für Deutschland und Europa beleuchtet. Deshalb erhoffen wir uns natürlich Aufmerksamkeit für die strategische Bedeutung der Branche. Oberstes Ziel ist es, durch diese Aufmerksamkeit die notwendige politische Wertschätzung für die Wertschöpfung der Gesundheitsindustrie zu erreichen. Außerdem haben wir die Hoffnung, durch die politische Umsetzung unserer konkreten Lösungsvorschläge, das offene Wettbewerbsumfeld positiv für Deutschland nutzen zu können.
Und wie geht es jetzt weiter?
Nach einigen Gesprächen mit Vertretern aus Wissenschaft und Politik stand Mitte Juni die öffentliche Präsentation der Strategie an. Auf diesen Termin haben wir sehr hingefiebert und die Freude danach war riesig, denn einer unserer größten Wünsche wurde durch Herrn Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier erfüllt: So hat Herr Altmaier im Interview mit BDI-Präsident Siegfried Russwurm einen Dialog mit der Gesundheitsindustrie zugesagt:
Inzwischen wurde gemeinsam mit dem BMWi ein Termin für das Auftakttreffen Anfang September gefunden.
Unabhängig vom BMWi-Dialog möchten wir den Austausch mit Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft weiter vorantreiben und die vier Kapitel mit 20 Standortfaktoren und rund 180 Lösungsvorschlägen der Strategie bekannter machen. Dafür arbeiten wir aktuell an verschiedenen Formaten, die voraussichtlich kurz nach der Bundestagswahl Ende dieses Jahres starten sollen.
Haben Sie schon Rückmeldungen aus der Politik erhalten und wenn ja, wie war der Tenor?
Nach der Veröffentlichung der Strategie Mitte März wurden wir von der Vielzahl an Gesprächsangeboten aus der Politik offen gesprochen fast ein bisschen überrollt.
Die Rückmeldungen sind durchweg positiv, was natürlich auch dem Corona-Momentum geschuldet ist. Schließlich wurde in den vergangenen eineinhalb Jahren sehr deutlich, welch wichtige Rolle eine starke Gesundheitsindustrie für den Standort spielt. Jedenfalls haben uns alle Gesprächspartner signalisiert, dass sie die Gesundheitsindustrie als deutsche Schlüsselindustrie sehen und ihnen bewusst ist, dass der Standort attraktiver werden muss, damit die hier ansässigen Unternehmen auch hier bleiben und sich weitere Unternehmen in Deutschland ansiedeln. Ein zentrales Thema in allen Gesprächen waren die Themen Nutzung von Gesundheitsdaten für die private Forschung, Patentschutz und Innovationsförderung.
Zum Abschluss: Welche Unterstützer braucht es Ihrer Meinung nach, um hier wirklich nachhaltig etwas bewirken zu können?
Aus meiner Sicht entscheidend ist an dieser Stelle eine breite Basis und Hartnäckigkeit. Wir dürfen als Gesundheitsindustrie nicht müde werden, unseren Wert für den Standort klar zu benennen. Hier müssen Verbände und Unternehmen an einem Strang ziehen, um nachhaltig erfolgreich sein zu können.
Mit dem geplanten BMWi-Dialog ist ein erster Schritt getan, auf dem wir aufbauen können. Allerdings ist uns klar, dass die Karten nach der Bundestagswahl neu gemischt werden. Deshalb werden wir hartnäckig unsere Ziele weiterverfolgen und arbeiten bereits jetzt auf verschiedenen Ebenen daran, dass die Gesundheitsindustrie Eingang in einen Koalitionsvertrag findet.
Vielen Dank für das Interview! Wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit zum Strategiepapier für die industrielle Gesundheitswirtschaft.
Michaela Hempel, stellvertretende Abteilungsleiterin Industrielle Gesundheitswirtschaft beim Bundesverband der Deutschen Industrie e.V.
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