Was muss getan werden, um den Einzug digitaler Lösungen in den Alltag onkologischer Behandlungsteams zu ermöglichen?
Roche-Werkstudentin Annika Kohler hat genau das in ihrer Masterarbeit untersucht.

Deutsche Krankenhäuser benötigen eine Neuausrichtung ihrer Strukturen. Vor allem die aktuelle Bewältigung der COVID-19-Pandemie hat verdeutlicht, wie wichtig gut ausgerüstete und funktionierende Krankenhäuser sind.1 Investitionen in Digitalisierung sowie in eine moderne technische Ausstattung der Krankenhäuser wurden in den letzten Jahren vernachlässigt.2 Ein Beschleuniger, der Abhilfe schaffen soll, ist das von der Bundesregierung im vergangenen Jahr verabschiedete Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG).1 Bund und Länder stellen insgesamt 4,3 Millionen Euro zur Verfügung, um den Krankenhäusern ein digitales Upgrade zu verpassen.

Aber auch in der Medizin spielt die Digitalisierung eine zunehmend wichtige Rolle. Beispielhaft hierfür sind die Entwicklungen in der Onkologie in den letzten Jahren.3 In den letzten Jahren kam es dort zu einem enormen Wissenszuwachs, welcher immer mehr Therapieoptionen eröffnet. Die Folge? Die Interpretation der riesigen Datenmengen, um daraus die richtige Therapieentscheidung für den Patienten zu treffen, gestaltet sich immer schwieriger.3 Aus diesem Grund rücken beispielsweise digitale Lösungen zur Unterstützung der Entscheidungsfindung bei der Therapiewahl in den Fokus. Im Rahmen einer Masterthesis in Zusammenarbeit mit Roche wurde die zukünftig geplante digitale Ausrichtung in der Krebstherapie hinsichtlich der Einführung und Finanzierung digitaler Lösungen, Herausforderungen sowie Unterstützungsmöglichkeiten durch digitale Lösungen im onkologischen Therapieentscheidungsprozess in deutschen Krankenhäusern herausgearbeitet. Insgesamt wurden sechs Krankenhäuser aus ganz Deutschland befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass dem Einsatz digitaler Lösungen in der Krebstherapie allerdings noch erhebliche Hürden entgegenstehen.

Digitales Arbeiten ist in der Onkologie schon lange möglich, dennoch ist dieses für viele Ärzte noch ungewohnt. Der derzeitige Digitalisierungsgrad in der Krebstherapie wird von den Krankenhäusern überwiegend als gering eingeschätzt. Auch bei der Beantragung der Förderung im Rahmen des KHZG spielt die Krebstherapie nur bei zwei der sechs befragten Krankenhäuser eine Rolle. Für die anderen Häuser haben zunächst Themen wie die elektronische Akte für die Intensivmedizin, KIS-Projekte, Patienten-Apps oder der Aufbau einer allgemeinen digitalen Infrastruktur Priorität. Im Hinblick auf die zukünftige Einführung digitaler Lösungen in der Krebstherapie werden vor allem virtuelle Tumor Boards als vielversprechend angesehen.

Die Bedeutung von intelligentem Datenmanagement wird für eine qualitativ hochwertige und wirtschaftliche Versorgung von Krebspatienten aber immer wichtiger. “Es braucht neue digitale Lösungen, welche es ermöglichen, eine genaue individuelle Indikationsstellung zu treffen und darüber hinaus für die Therapieentscheidung alle relevanten Daten zusammenfassen, um Zeit zu sparen und die Qualität der Patienten zu erhöhen”, erklärt Annika, die sich im Rahmen ihrer Masterarbeit intensiv mit dem Thema auseinander gesetzt hat. Denn die Anzahl der an Krebs erkrankten Menschen nimmt stetig zu, jedes Jahr erkranken fast 500.000 Menschen neu an Krebs und zudem stellen Krebserkrankungen die zweithäufigste Todesursache in Deutschland dar.4

Die individuelle Entscheidung des Arztes über das geplante Therapievorgehen gestaltet sich jedoch mittlerweile immer schwieriger. “Grund dafür ist unter anderem die Herausforderung der steigenden Komplexität in der Medizin, welche zu immer mehr Daten führt und die Entscheidungsfindung hinsichtlich der optimalen Therapie zunehmend erschwert”, erklärt sie.

Es befinden sich bereits digitale Lösungen für die Onkologie in Entwicklung, vor allem im europäischen Umland. Diese haben ihren Weg allerdings noch nicht in den klinischen Alltag der deutschen Krankenhauslandschaft gefunden. Grund hierfür ist vor allem die Finanzierung, da z.B. Beschaffungskosten sehr hoch sind und viele Krankenhäuser eigenständig nicht dazu in der Lage sind, diese Investitionen zu tätigen. Hinzukommend sehen sich Krankenhäuser vor allem mit den folgenden Herausforderungen konfrontiert, welche die Krebstherapie in den nächsten Jahren stark beschäftigen werden: dem Nichtvorhandensein strukturierter Daten, dem Mangel an Zeit alle Daten zu diskutieren, der Ebene des Patienten auf was der Tumor anspricht sowie dem digitalen Mindset bzw. der Bereitschaft digitale Lösungen anzuwenden.

Digitale Lösungen im Bereich der Krebstherapie bergen jedoch ein großes Potenzial, weshalb einige weitere digitale Anwendungen entlang des onkologischen Patientenpfades in Zukunft zu erwarten sind. So können Krankenhäuser insbesondere dahingehend unterstützt werden, dass ein einheitliches Daten-System, wo alle relevanten Informationen sowie Vergleichsstudien hinterlegt sind und jederzeit strukturiert abrufbar sind, was dringend benötigt wird, entwickelt wird. Dadurch sollen vor allem ein permanentes evidenzbasiertes Monitoring sowie eine systemübergreifende Vernetzung ermöglicht werden. Weiterhin werden Entscheidungsunterstützungssysteme, welche die onkologische Therapieentscheidungsfindung unterstützten und standardisierte Daten vorgeben, gebraucht.

“Die Krankenhäuser sind daran interessiert die Digitalisierung voranzutreiben und sehen den Einsatz digitaler Lösungen im onkologischen Therapieentscheidungsprozess überwiegend positiv”, gibt Annika ihre Rechercheergebnisse wieder. “In Deutschland müssen wir der Digitalisierung im Gesundheitswesen aber mehr gerecht werden, damit speziell auch digitale Lösungen im onkologischen Therapieentscheidungsprozess aufgrund ihrer gesellschaftlichen Relevanz Einsatz im klinischen Alltag finden können”, meint Annika. Essenziell für die Umsetzung und den Erfolg sind vor allem weitere Finanzierungshilfen durch den Gesetzgeber, ein vereinfachter Informations- und Datenaustausch durch das Schaffen standardisierter Daten sowie die Etablierung eines digitalen Mindsets. Es ist wichtig zunächst bestehende Prozesse in den Kliniken anzupassen, damit darauf z.B. Entscheidungsunterstützungssysteme integriert werden können. Hierfür werden beispielsweise Verbände als Ansprechpartner, der Kontakt zwischen Hersteller und Behandler, um durch ein Datenmodell direkt standardisierte Daten verfügbar zu machen sowie die Zusammenarbeit zwischen Industriepartner und Krankenhäusern durch z.B. Co-Creation als hilfreich angesehen. Insbesondere finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten durch den Gesetzgeber über das KHZG hinaus sind jedoch für diesen Change-Prozess nötig. Hinsichtlich des Mindsets kann dieses beispielsweise durch Fachgesellschaften, die Ausbildung sowie Schulungen vermittelt werden. Werden diese notwendigen Veränderungen realisiert, ist das Potenzial für einen effizienten Einsatz digitaler Lösungen im onkologischen Therapieentscheidungsprozess gegeben. Ohne digitale Lösungen wird eine fundierte Entscheidungsfindung in der Zukunft nicht mehr möglich sein, schließt Annika aus ihren Ergebnissen.

Referenzen

1. Vgl. Bundesministerium für Gesundheit (2020): Krankenhauszukunftsgesetz für die Digitalisierung von Krankenhäusern, online unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/krankenhauszukunftsgesetz.html, Stand: 07.12.2020.

2. Vgl. BT-Drucksache 19/22126 (Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU, Fraktion der SPD): Entwurf eines Gesetzes für ein Zukunftsprogramm Krankenhäuser (Krankenhauszukunftsgesetz – KHZG) vom 08.09.2020 [PDF], online unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/221/1922126.pdf, Stand: 08.09.2020.

3. Vgl. Wagner, S./Hubert, S. (2019): Digitale Medizin in der Onkologie: Clinical Decision Support, Real World Data und Patient Involvement [PDF], online unter: http://easyoncology.info/wp-content/uploads/2019/05/2019-DMW-Digitale-Medizin-in-der-Onkologie.pdf, Stand: 29.03.2019.

4. Vgl. Statistisches Bundesamt (2021): Gesundheit - Todesursachen, online unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Todesursachen/_inhalt.html, Stand: 03.02.2021.

Annika Kohler
ehemalige Werkstudentin Oncology Innovation bei Roche Diagnostics

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