Beitrag vom 11. September 2020
„Klein aber oho!“, diese Beschreibung passt auch auf die Vielzahl an Antikörpern, die täglich durch unseren Körper wandern. Antikörper sind ständig im Einsatz, um Eindringlinge wie Viren, Bakterien oder Giftstoffe abzuwehren bevor diese überhaupt eine Möglichkeit dazu erhalten, Schaden anzurichten. Die fleißigen Bausteine hat sich auch die Medizin zu Nutzen gemacht. Bereits seit einigen Jahren sind monoklonale Antikörper, die jeweils an eine ganz bestimmte Zielstruktur binden, unverzichtbar in der Diagnose und Therapie komplexer Krankheiten. Nun steht ein spannender neuer Ansatz vor der Tür, der dauerhaft unser Arsenal von Therapiemechanismen erweitern könnte: Mit zwei unterschiedlichen Kämpferärmchen ausgestattete bispezifische Antikörper.
Vielfältiger Einsatz mit präziser Wirkung
Geschichten, die die Wissenschaft schreibt, beginnen oft in langen Laborfluren mit gedimmtem Licht und leise flüsternden Forschern. So auch die Geschichte der therapeutischen Antikörper. Schon Ende des 19. Jahrhunderts wurde die kleine Wunderarmee entdeckt: Mit ihrer besonderen Fähigkeit, präzise an krankheitsrelevante Proteine an der Zelloberfläche zu binden und deren schadhafte Wirkung zu unterbinden, bescherten Sie Emil von Behring sogar den Nobelpreis. Dabei funktionieren Antikörper nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip und passen nur zu einem bestimmten abzuwehrenden Antigen. Der große Durchbruch für die Antikörper erfolgte dann ab den 1970er Jahren, als Antikörper in größeren Mengen herzustellen möglich wurde. Dazu entwickelten Forscher Zellen, die gezielt Antikörper produzieren und sich besonders schnell teilen. Die Hoffnung? Mit den neuen Antikörpern dem Krebs den Garaus machen!
So können sie in Form von modernen Checkpoint-Inhibitoren die Kräfte des Immunsystems entfesseln und damit die körpereigene Fähigkeit anstoßen, Tumore aufzuspüren und zu zerstören. Andere Antikörper hingegen können als Lockvogel für Immunzellen dienen, um den Tumor präzise an der richtigen Stelle im Körper zu bekämpfen. Auch Wachstumssignale von Tumorzellen können blockiert werden. Ganz schön vielseitig, diese Antikörper! Kein Wunder also, dass therapeutische Antiköper in den letzten dreißig Jahren die Behandlung komplexer Krankheiten wie Krebs, aber auch Virusinfektionen und Entzündungen revolutioniert haben.
Doppelte Bindung gleich doppelte Wirkung
Doch das Potenzial der Antikörper ist noch lange nicht ausgeschöpft. Schon länger werden monoklonale Antikörper eingesetzt – also solche, die nach einem gleichen Bauplan funktionieren und sich gegen dasselbe Antigen richten; alle diese Antikörper entstehen aus jeweils einer bestimmten Zelllinie, also einer ganz bestimmten Ursprungszelle. Die Zellen entstammen also dem identischen Klon.
Da Krankheiten aber meist viele verschiedene körpereigene Mechanismen außer Kraft setzen, wäre es praktisch, wenn ein Antikörper an mehrere unterschiedliche Zielstrukturen gleichzeitig binden könnte, um die Krankheit so möglicherweise noch effektiver in Schach zu halten. Die Natur hat diesen doppelten Mechanismus aber nicht vorgesehen. Ein Ansporn für Forscher, die die doppelte Bindung nun im Labor ermöglicht haben. Entstanden sind kleine Designer-Proteine, die in Experimenten so miteinander kombiniert werden, bis sie das perfekte Match für die Therapie formen.
Molekulares Puzzle mit Herausforderungen
Bei Hämophilie A, einer Erbkrankheit bei der die Blutgerinnung gestört ist, wird dieses molekulare Puzzle bereits erfolgreich eingesetzt. Menschen mit Hämophilie A verfügen nicht oder kaum über ein Gerinnungsprotein namens Faktor VIII. Doch genau dieser Faktor ist entscheidend: Er ist sozusagen der Vermittler zwischen den Gerinnungsfaktoren IXa und X, die die Blutung nur gemeinsam stoppen können. Ein bispezifischer Antikörper kann diese Vermittlung übernehmen und die unterschiedlichen Proteine erneut zusammenbringen. So wird die natürliche Gerinnungskaskade aktiviert. Aber nicht immer sind die Kombinationsversuche so erfolgreich wie in diesem Fall. Manchmal führen sie auch dazu, dass bispezifische Antikörper an der falschen Stelle im Körper ihre Wirkung entfalten oder der Körper sie fälschlicherweise selbst als Antigen erkennt und angreift. Der Kreativität der Forscher sind damit also Grenzen gesetzt: Jedes zusammengesteckte Molekül muss sich in der Praxis bewähren und seinen klinischen Nutzen beweisen.
Neue Antikörper schon in den Startlöchern
Bis in den kommenden Jahren könnten das aber viele neue Antikörper tun und sich damit als Treiber der personalisierten Medizin in Position bringen. Denn: Zukünftig werden wir noch viel besser verstehen können, welcher Patient mit welchem Antikörper in welcher Kombination behandelt werden muss, um langfristige Therapieerfolge herbeizuführen. Wir stehen also erst am Anfang des vielversprechenden Einsatzes therapeutischer Antikörper. Vorstellbar ist, dass Antikörper bald wie kleine Tintenfische mit zahlreichen Tentakeln funktionieren, um unterschiedliche Targets an- oder auszuschalten. Und so hat auch Roche schon zahlreiche verschiedene Antikörperformate in der Pipeline – teils sogar mit bis zu vier separaten Bindungsstellen.
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