Das derzeit gültige EU-Arzneimittelrecht (EU-Pharma Legislation) ist seit 20 Jahren in Kraft und muss zweifellos geändert werden, um mit dem Tempo der Wissenschaft und den Bedürfnissen der Patient:innen Schritt zu halten. Eine Überarbeitung ist längst überfällig.

Ende April hat die EU-Kommission den Vorschlag für die Revision der Arzneimittel-Richtlinie, der Verordnung zur Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) und dem zentralen Zulassungsverfahren angenommen. EU-Rat und EU-Parlament werden nun ihre Beratungen hierzu aufnehmen. Das ist eine einmalige Chance, die Position der EU im Weltmarkt für Arzneimittel zu stärken, EU-weit verbesserten Zugang zu innovativen Arzneimitteln zu schaffen, Lieferengpässe - die immer häufiger auch in deutschen Apotheken vorliegen - zu vermeiden, Antibiotika-Resistenzen zu bekämpfen und den regulatorischen Rahmen bei Zulassungsprozessen zu optimieren.

Wir bei Roche unterstützen die Reform grundsätzlich und sind der Meinung, dass diese historische Chance nicht vertan werden darf. Die Revision der Pharma Gesetzgebung ist eine einmalige Gelegenheit, ein attraktives und wettbewerbsfähiges System zu schaffen und gleichzeitig Patient:innen, die Innovationen dringend benötigen, einen EU-weit schnelleren und besseren Zugang zu neuen Behandlungen zu ermöglichen.

Gleichzeitig geht es um die Gesundheitswirtschaft in Europa. Die Gesundheitswirtschaft in Europa ist von erheblicher Bedeutung für die Versorgungssicherheit der Bevölkerung. Außerdem ist sie Beschäftigungsmotor und Wirtschaftsfaktor. Wir sprechen hier von einer Bruttowertschöpfung von 1,4 Billionen Euro sowie 29,3 Millionen Beschäftigten. Auf die industrielle Gesundheitswirtschaft - und hierzu zählt die Pharmaindustrie - entfallen dabei 289 Milliarden Euro an Bruttowertschöpfung. Es wird deutlich, dass durch die Regelungen des EU-Pharmapakets ein ganzer Wirtschaftszweig betroffen ist, sofern diese unverändert im Gesetz umgesetzt werden.

Der Gesetzesvorschlag enthält mehrere problematische Konzepte für unsere Industrie in Europa.

Folgende vier Bereiche liegen uns als Roche dabei besonders am Herzen

1.     Anreize und Zugang zu erschwinglichen Medikamenten
Als Grundpfeiler für Innovationen dient der Unterlagen- und Patentschutz. Diese sichern die Forschungsaktivitäten eines Unternehmens ab und bilden deren Geschäftsgrundlage. Laut vorliegendem Entwurf soll der Unterlagenschutz verkürzt und Anreizmechanismen zur Verlängerung des Unterlagenschutzes an bestimmte, zum Teil unerreichbare Bedingungen geknüpft werden.

So soll z.B. eine Verlängerung des Unterlagenschutzes an die Verfügbarkeit eines Arzneimittels innerhalb von zwei Jahren nach Zulassung in allen 27 Mitgliedsstaaten geknüpft werden. Die Verfügbarkeit eines Arzneimittels ist aber u.a. abhängig von nationalen Preis- und Erstattungsprozessen, und diese liegen nicht in der Hand des pharmazeutischen Unternehmens. Dahingegen liegt eine Einreichung des Antrags für Preis- und Erstattungsverhandlungen in dessen Händen und sollte somit anstatt der Verfügbarkeit die Voraussetzung für die Verlängerung des Unterlagenschutzes sein - das entspricht auch dem vor einiger Zeit veröffentlichten efpia Vorschlag.

In den USA und China befindet sich die pharmazeutische Industrie derzeit in einem sehr attraktiven Umfeld aus Anreizen und guten Rahmenbedingungen, was ihre Wirtschaft stärkt und perspektivisch die Versorgung der Bevölkerung mit medizinischen Innovationen verbessert. Durch das Pharmapaket bewegt sich die EU in genau die entgegengesetzte Richtung: Der Pharmastandort EU wird massiv gefährdet, die Wettbewerbsfähigkeit eingeschränkt und die Anreize für Forschung, Entwicklung und Innovation insgesamt sowie insbesondere in Europa ausgebremst.

2.    Verbesserung der Versorgungssicherheit bei Arzneimitteln
Nach dem Gesetzesvorschlag werden Unternehmen stärker verpflichtet, eine kontinuierliche Versorgung der EU-Mitgliedstaaten mit Arzneimitteln sicherzustellen, um Engpässe zu vermeiden. Unternehmen müssten einen Engpassverhinderungsplan (Shortage Prevention Plan) für alle auf dem Markt erbrachten Produkte erstellen und aktualisieren sowie eine frühzeitige Versorgungsunterbrechung mindestens sechs (statt bisher zwei) Monate vor Beginn anzeigen. Obwohl wir dem Ziel zustimmen und Arzneimittelengpässe vermeiden wollen, ist die im Entwurf geforderte sechsmonatige Benachrichtigung vor einer Versorgungsunterbrechung in der Praxis unrealistisch und somit quasi unmöglich und schafft zusätzlichen Bürokratieaufwand für die Unternehmen.

3.     Modernisierung des Regulierungsrahmens
Der vorliegende Entwurf weist eine Vielzahl an positiven Änderungen der regulatorischen Rahmenbedingungen auf. Beispielsweise soll durch Verschlankung der Komitee-Struktur der europäischen Zulassungsbehörde (EMA) sowie Verkürzung des Zulassungsprozesses ein schnellerer Zugang zu innovativen Arzneimitteln erzielt werden. Wir begrüßen ebenso die Einführung eines Sandbox-Mechanismus, in dem neue regulatorische Prozesse für hochinnovative Produkte pilotiert werden können. Um das volle Potenzial dieses Konzepts für integrierte Lösungen heben zu können, muss es allerdings auf Geräte und In-vitro-Diagnostika ausgeweitet werden.

Allerdings werden pharmazeutische Unternehmen an einigen Prozessen und Entscheidungen im Zulassungsprozess nicht beteiligt. So können z.B. Zulassungen ohne deren Kenntnis oder Mitspracherecht geändert werden. Damit werden Rechte und Freiheiten der pharmazeutischen Unternehmen immens eingeschränkt. Es ist unabdingbar, diese in alle Prozesse einzubinden, um die Entscheidungsfreiheit über die eigenen Produkte aufrechtzuerhalten.

Die Modernisierung des Regulierungsrahmens wirft zudem viele neue und bislang sehr unklar definierte Begriffe und Konzepte (bspw. ungedeckter medizinischer Bedarf ((high) unmet medical need), außergewöhnlicher therapeutischer Fortschritt, etc.) auf. Das Fehlen klarer und einvernehmlicher Definitionen würde zu gesellschaftlicher Unsicherheit und Verzögerungen in den Prozessen hinsichtlich regulatorischer und nicht regulatorischer Anreize führen.

4.    Förderung der Integration von Umweltaspekten in die Arzneimittelgesetzgebung
Grundsätzlich unterstützt die pharmazeutische Industrie eine Green Policy Agenda und die Durchführung von Umweltrisikobewertungen (Environmental Risk Assessments (ERA)) im Rahmen des Zulassungsprozesses. Unzureichende oder unvollständige ERAs dürfen allerdings nicht dazu führen, dass einem Arzneimittel die Zulassung verweigert oder eine Zulassung ausgesetzt wird. Dies wäre eine unverhältnismäßige Maßnahme, die einen schnellen Zugang zu innovativen Arzneimitteln verhindert.

Ganz konkret: Welche Forderungen haben wir als Pharmazeutische Industrie an die Europäische Politik?

- Eine weitere Optimierung der regulatorischen Vorschriften und maximale Ausschöpfung von beschleunigten Verfahren zur Sicherstellung des schnellstmöglichen Zugangs zu Arzneimitteln für die Patient:innen.

- Anreize, um Innovationen voranzutreiben und die Herausforderungen der jeweiligen Gesundheitssysteme zu meistern gekoppelt mit einem starken Unterlagenschutz - dies ist konsistent mit der Schlussfolgerung des Europäischen Rates (März 2023).

- Um die Hindernisse und Verzögerungen zum Zugang zu Arzneimitteln zu adressieren, benötigt es ein gemeinsames Vorgehen aller Beteiligten auf der Basis der Erkenntnisse aus dem Industry European Access Hurdles Portal.

- Eine patientenzentrierte, umfassende Definition des ungedeckten medizinischen Bedarfs ((high) unmet medical need), die Anreize für die Erforschung schafft, um den Bedürfnissen von Menschen mit seltenen und Krankheiten, wo weiterhin ein ungedeckter medizinischer Bedarf vorliegt, gerecht zu werden.

- Einen zweck- und verhältnismäßigen Umgang mit Lieferketten und Umweltanforderungen, um die Versorgung mit Arzneimitteln beständiger zu gestalten und Umweltauswirkungen unseres Sektors zu verringern.


Mit dem Pharmapaket für Europa soll ein zukunftssicherer Rechtsrahmen geschaffen werden, der Zugang zu innovativen Arzneimitteln EU-weit verbessert und die Industrie dabei unterstützt, Forschung und Entwicklung von Technologien in Branchen voranzutreiben, die den Patient:innen tatsächlich zugutekommen.

Wird dieses Ziel mit dem vorliegenden Entwurf der EU-Pharma Legislation erreicht?

Trotz guter Ansätze sagen wir ganz klar: Für unsere Patient:innen und den Gesundheitsstandort Europa muss hier dringend nachgebessert werden. Wir als Roche stehen dafür als Dialogpartner zur Verfügung.

Autorin:

Jenny Werner
Health Information Manager
Health System & Governmental Affairs

EU-Pharma Recht: Von der Chance, die Position der EU im Weltmarkt für Arzneimittel zu stärken

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