Damit Großes entsteht, braucht es zuallererst eine zündende Idee. Die hatte Ende des 19. Jahrhunderts der junge Basler Kaufmann Fritz Hoffmann (1868 – 1920). Er wollte Medikamente industriell herstellen, erforschen und als Marken weltweit vertreiben. Das war innovativ.
Für sein Ziel tat sich der 26-Jährige 1894 mit einem Chemiker zusammen. Beide übernahmen ein kleines Labor, das Pillen, Salben und Extrakte herstellte. Der Partner stieg bald aus. Hoffmann, mittlerweile verheiratet mit Adèle La Roche, gründete am 1. Oktober 1896 mit seinem Vater die Kommanditgesellschaft Hoffmann-La Roche. Das war die Geburtsstunde eines Weltkonzerns.
Von Anfang an hatte Fritz Großes im Sinn. Fast zeitgleich schuf er eine Niederlassung in Mailand und zog eine neue Fabrik im badischen Grenzach-Wyhlen hoch; sieben Mitarbeitende stellten hier zunächst das Wundantiseptikum Airol her. Auf die Erfolgsspur brachte die Firma dann 1898 Sirolin, ein Hustensaft mit Orangengeschmack. Als Longseller wurde er ganze 60 Jahre lang nachgefragt.
Grenzach von Anfang an ein Herzstück
Die Firma wuchs, war bald auf fast allen Kontinenten präsent. Lange blieb Grenzach der bedeutendste Produktionsstandort im Unternehmen. Gerade in den Anfangsjahrzehnten wurden hier auch viele Forschungsdurchbrüche erzielt. 1904 kam mit Digalen, einem Fingerhut-Extrakt, das erste standardisierte Herzmittel auf den Markt. Pantopon, ein Schmerzmittel aus den Gesamtalkaloiden des Schlafmohns, entwickelte sich ab 1910 zum ersten Verkaufsschlager der jungen Firma.
Um ein Haar wäre aus Roche vielleicht sogar ein deutsches Unternehmen geworden. Fritz, von Haus aus Kosmopolit und Repräsentant der großbürgerlichen Belle Époque, dachte ohnehin nicht in nationalen Grenzen. Doch es kam anders. Der Erste Weltkrieg wuchs sich zur europäischen, ja weltumspannenden Katastrophe aus. Hoffmann-La Roche wäre am Chauvinismus und der Embargo-Politik der Kriegsparteien fast zugrunde gegangen.
„Allein der Firmenname sorgte schon für Irritation und Benachteiligung“, erzählt der Leiter des Firmenarchivs, Alexander Bieri. „Die Deutschen vermuteten französischen Einfluss, die Franzosen beargwöhnten die Nähe zu Deutschland.“ Die russische Oktoberrevolution 1917 kappte dann auch noch den zuvor florierenden Markt im Zarenreich – Fritz ging das Bargeld aus. Aus dem Familienbetrieb wurde 1919 eine AG. Im Jahr darauf starb Fritz mit nur 51 Jahren.
Severin Schwan, Roche CEO
Fritz‘ Nachfolger im Unternehmen wurde Emil Barell (1874 – 1953), der langjährige Leiter des Grenzacher Werks. Er prägte die Firma nachhaltig. Noch heute kursieren Formulare, die er entworfen hat. Der Sohn eines italienischen Einwanderers in die Schweiz setzte neue Akzente, förderte früh Frauen und hatte keine Scheu, unkonventionelle Wege zu gehen. So eröffnete er der promovierten Nationalökonomin Alice Keller (1896 – 1992) 1926 eine Karriere als erste Direktorin bei Roche und Leiterin der japanischen Niederlassung.
Frühe Frauenpower: Alice Keller
Dr. Emil Christof Barell prägte Roche von 1896 bis 1952.
In Barells Ära fällt auch ein neues Geschäftsfeld: die Vitamine. Das Syntheseverfahren steuerte Tadeusz Reichstein (1897 – 1996) bei. Der spätere Nobelpreisträger (1950) war nicht unumstritten, bezeichnete sich selbst als modernen „Alchimisten“. Barell focht das nicht an. 1934 produzierten die Grenzacher erstmals Vitamin C in einer Jahresproduktion von 50 Kilogramm. Ende der 1930er waren es bereits etliche Vitaminpräparate. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollten sie boomen.
Daneben hat Barell die moderne Architektur zu Roche gebracht. Professor Otto Rudolf Salvisberg (1882 – 1940) wurde zum Hausarchitekten. Die Basler Zentrale verdankte ihm den schnörkellosen Bau 21 (1935). Erstmals wurde dabei auch Kunst am Bau realisiert – in Form eines großen Wandbilds („Arzneipflanzen“). Maja (1896 – 1989), Witwe des Hoffmann-Sohnes Emmanuel, und ihr zweiter Ehemann, der Dirigent Paul Sacher (1906 – 1999), haben diese Ansätze stark ausgebaut. Zeitgemäße Architektur und Kunst-Förderung sind seither Teil der „Roche-DNA“.
Die sorgsam gearbeiteten Treppen sind ein Markenzeichen der architektonischen Designsprache von Roche geworden.
Neben Vitaminen und Rimifon (1952) als Therapie gegen die damals häufige Tuberkulose spielten in der Nachkriegszeit Beruhigungsmittel eine große Rolle. Ab Mitte der 1950er-Jahre waren Benzodiazepine die Stars. Mit ihnen gelang der Einstieg in die Welt der Psychopharmaka, Valium gilt als bekanntester Vertreter (1953).
Roche stellte sich immer breiter auf, nahm 1968 Diagnostika ins Programm auf, stieg bei Kosmetika (Riechstoffe und Aromen) ein. Letzteres brachte der Firma kein Glück: 1976 entwich bei einer der zugekauften Firmen ein dioxinhaltiges Gemisch. Die Bewältigung der Giftkatastrophe von Seveso in Oberitalien dauerte Jahrzehnte.
In den 1980ern besann sich Roche auf seine Stärken, straffte Strukturen und Portfolio, fokussierte sich auf die Bereiche Pharma und Diagnostik. Diagnostics startete 1985 die Cobas-Gerätereihe für die klinische Analyse. Hinzu kamen innovative Geräte zur Diabetesüberwachung (Accutrend und Accu-Chek). 1991 erwarb Roche die weltweiten Rechte für die PCR-Technologie (Polymerasekettenreaktion), die heutzutage im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie in aller Munde ist.
Pharma führte 1982 das Antibiotikum Rocephin ein; schon 1987 übertraf es im Umsatz sämtliche Roche-Produkte. Mit Roferon-A brachte Roche zudem sein erstes gentechnisch entwickeltes Medikament auf den Markt. Ab Mitte der 1990er-Jahre kamen eine Reihe innovativer Arzneimittel gegen Krebs dazu, darunter Herceptin. Später sollte noch das Grippemittel Tamiflu zum Renner werden. Bei vielen dieser Medikamente – von Herceptin bis hin zu RoActemra oder Pertuzumab – spielen die deutschen Standorte bei Entwicklung und Produktion eine wichtige Rolle.
Mit dem Kauf der Corange-Gruppe 1998 kam Boehringer Mannheim mit seinem Traditionsstandort in der Quadratestadt sowie der 1971/72 gegründeten Biotech-Schmiede im bayerischen Penzberg zu Roche. Roche stieg so zur Nummer eins in der In-vitro-Diagnostik auf, gewann wichtige Pfeiler für F&E sowie Produktion hinzu. In Penzberg unterhält Roche mittlerweile eines der größten Biotechnologie-Zentren in Europa. Mannheim wurde größter deutscher Standort, ist heute unter anderem ein Schwerpunkt für Diabetes Care-Produkte und globale Logistik-Drehscheibe für Roche-Diagnostika.
Nach der Jahrtausendwende positionierte sich Roche klar als forschendes Healthcare-Unternehmen, trennte sich von Duftund Riechstoffen, vom Vitamingeschäft und mehr. Umgekehrt wurde 2009 die Firma Genentech in San Francisco übernommen – neben anderen Akteuren auf dem Gebiet der Biowissenschaften, der Gensequenzierung und Gewebediagnostik. Mit dieser Kombination will Roche ganz wesentlich zur personalisierten Medizin von morgen beitragen.
Was vor 125 Jahren mit wenigen Mitarbeiter:innen in Grenzach, Basel und Mailand begann, hat sich zu einem der weltgrößten Pharmakonzerne entwickelt, mit weltweit über 100.000 Mitarbeitenden, davon allein in Deutschland rund 17.000. Und ein Ende der Erfolgsgeschichte ist nicht absehbar.
Ab Oktober 2021 kommt das opulente Werk „Roche in der Welt 1896 – 2021. Eine globale Geschichte“ (3 Bände, über 1.600 S., 2.000 Abb.) in die Roche- Betriebe und Buchläden. Verfasst hat es ein internationales Expertenteam. Die wissenschaftlich fundierte, lebendig geschriebene und reich bebilderte Firmengeschichte enthält eine Fülle an historischen Fakten und berührenden Geschichten. Lädt ein zum Schmökern!
Die Autorin
Gabriele Koch-Weithofer
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