Basis einer personalisierten, zielgerichteten Krebstherapie ist die möglichst genaue Kenntnis der biologischen Abläufe bei der Entstehung und Entwicklung von Tumoren. Die medizinische Forschung gilt hierfür als entscheidender Faktor. Erfahren Sie, auf welchem Stand sie sich gegenwärtig befindet und welche Kosten Innovationen in der Onkologie und die Entwicklung neuer Medikamente verursacht.
Es besteht kein Zweifel daran, dass die Krebstherapie in den letzten 30 Jahren rasante Fortschritte gemacht hat. Doch wie wird es weitergehen? Wird es nach weiteren 30 Jahren tatsächlich keinen Krebspatienten mehr geben, der nicht geheilt werden könnte, wie Londoner Forscher kürzlich prognostizierten? (1) Ihre These jedenfalls hat eine solide Basis: Seit 1990 haben die Sterberaten bei Krebserkrankungen jedes Jahr um 1 Prozent abgenommen – ein positiver Trend, der sich künftig durch wirkungsvolle Präventionsmaßnahmen, schnellere Diagnosen und bessere chirurgische und medikamentöse Behandlungen noch schneller fortschreiben ließe.
Fest steht schon heute: Für die meisten Krebserkrankungen stehen inzwischen innovative Therapiemöglichkeiten und -konzepte zur Verfügung. Inzwischen können viele Behandlungen auf die jeweilige Krebsart und den einzelnen Patienten individuell zugeschnitten werden. Während bis zu den 50er Jahren die Beobachtungen in der Biologie im Vordergrund stand, wurden im weiteren Verlauf zunehmend biologische Grundmechanismen wie die genetische Struktur (DNA), der genetische Code oder das menschliche Genom entdeckt. Mittlerweile sind spezifische Signalwege bei Tumorerkrankungen bekannt. Auf dieser Basis konnte bereits eine Vielzahl zielgerichteter Medikamente entwickelt werden.
Zielgerichtet. Individualisiert. Personalisiert. Diese Begriffe sind heute in aller Munde und stehen als Synonym für die moderne Onkologie - für Therapien, die an die Voraussetzungen des betroffenen Patienten angepasst sind. Denn nicht alle Patienten sprechen gleichermaßen gut auf eine medizinische Behandlung an. Die gleiche Krankheit kann durch diverse genetische Faktoren bei verschiedenen Menschen unterschiedliche Ausprägungen aufweisen.
Hippokrates‘ Weisheit – neu belebt„Es ist wichtiger zu wissen, welche Person eine Krankheit hat, als zu wissen, welche Krankheit eine Person hat.“ So lehrte es bereits der antike Arzt Hippokrates. Heute, 2400 Jahre später, belebt die Wissenschaft diesen Gedanken neu: „Unsere Erkenntnisse über genetische Unterschiede zwischen den Menschen werden künftig die Basis für eine personalisierte Medizin bilden.“
Peter Gruss, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft (2)
Das Konzept der Personalisierten Medizin nutzt die Kenntnis solcher Faktoren, um eine präzisere Steuerung der Therapie und eine bessere Kontrolle der Krankheit zu ermöglichen. Dies erfolgt beispielsweise durch einen der Therapie vorgeschalteten diagnostischen Test, der individuelle Merkmale der Patienten auf genetischer, molekularer oder zellulärer Ebene ermittelt. Die Personalisierte Medizin benötigt daher geeignete Biomarker im Hinblick auf die jeweilige klinische beziehungsweise therapeutische Fragestellung. Ein wichtiger Bestandteil ist daher die Entwicklung sogenannter Companion Diagnostics, das sind therapiebegleitende Tests, die in der Regel parallel zu einem neuen Medikament entwickelt werden und die Voraussetzungen der zielgerichteten Behandlung darstellen (Abb. 2).
Das erklärte Ziel onkologischer Forschung ist es, die Entwicklung und Anwendung von wirksamen und sicheren Arzneimitteln voranzutreiben und Medikamente zielgerichtet bei den Patienten einzusetzen, denen sie am besten helfen. Die zielgerichtete Therapie – auch Targeted Therapy genannt – ermöglicht eine nach einzelnen Patientengruppen (statt allein nach der Krankheitsdiagnose) differenzierte Medikation – vergleichbar mit dem Angebot von Bekleidung in Konfektionsgrößen statt dem Prinzip „one size fits all“.
Grundlage zielgerichteter Krebstherapie sind modernste Diagnosemethoden wie etwa molekular-genetische Analysen von Tumorgewebe oder Blut. Welche Veränderungen liegen in der Tumorzelle vor? Welche charakteristischen Merkmale weist sie auf? Wie unterscheidet sie sich von gesunden Zellen? Die biologischen Eigenheiten von Zellen, Genen oder Molekülen werden als Biomarker bezeichnet. (3) Sie gelten in der medizinischen Wissenschaft als objektiv mess- und überprüfbare Beurteilungskriterien für Krankheiten und spielen aufgrund der zunehmenden Bedeutung der Entwicklung zielgerichteter Therapien eine immer größere Rolle in der Medizin und insbesondere in der Onkologie. Hat man aussagekräftige Biomarker gefunden, lässt sich die Tumorzelle genau an dieser veränderten Stelle angreifen. Biomarker erlauben eine Vorhersage darüber, ob eine bestimmte Behandlungsmethode wirkt und damit eingesetzt werden kann. (4)
Die Onkologie hält mit 50 Prozent den größten Anteil an allen Studien mit Biomarker-Prüfung. Mehr als jede dritte onkologische Studie (37 Prozent) wird unter Verwendung von Biomarkern durchgeführt. Weitere wichtige Indikationen sind Herz-Kreislauf- und Muskelerkrankungen sowie die Immunologie (Abb. 3).
Der Nutzen der Personalisierten Medizin besteht darin, dass ein Patient das für ihn am besten geeignete Medikament erhält. Dadurch können wirkungslose oder unverträgliche Therapien vermieden werden. Dies verbessert die Effizienz im Gesundheitssystem insbesondere durch das Vermeiden
schwererer Krankheitsverläufe (weil rechtzeitig wirksam eingegriffen wird)
schwerer Nebenwirkungen
zusätzlich benötigter Maßnahmen (Krankenhauseinweisungen, Medikamente) wegen schwerer Nebenwirkungen
zusätzlicher Personalkosten.
Insgesamt kann jedoch – schon aufgrund der demographischen Entwicklung, die einen Anstieg der Fälle von Krebserkrankungen mit sich bringt – keine Verringerung der Gesundheitsausgaben durch die Personalisierte Medizin erwartet werden. Sie wird jedoch einen deutlich effizienteren Einsatz der vorhandenen Mittel ermöglichen – und das bei verbessertem Therapieerfolg.
Medizin auf höchstem Niveau
„Der größte medizinische Nutzen der Personalisierten Medizin in der Arzneimitteltherapie besteht darin, dass ein Patient auf Basis eines diagnostischen Tests das für ihn am besten geeignete Medikament in der richtigen Dosierung erhält. Dies erhöht sowohl die Versorgungs- als auch die Lebensqualität. Darüber hinaus kann die Personalisierte Medizin die Kosteneffizienz im Gesundheitswesen durch eine effizientere Verwendung vorhandener Mittel und Ressourcen erhöhen – da z.B. unwirksame Therapien vermieden werden - und somit helfen, die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems auf dem heutigen hohen Niveau zu erhalten.“ (5)
vfa-Positionspapier: Personalisierte Medizin
Die Pharmaindustrie bewegt sich weltweit in einem forschungsintensiven Umfeld: Rund 14 bis 15 Prozent der erzielten Umsätze werden aktuell in die Forschung reinvestiert. Für Deutschland sind dies etwa 6 Milliarden Euro pro Jahr (16 Millionen Euro pro Tag!) und deutlich mehr als in anderen Branchen, inklusive weiteren forschungsintensiven Branchen, wie zum Beispiel der Automobilindustrie und Elektronik/Messtechnik. Die jährlich vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung durchgeführte Analyse zur Innovation der deutschen Wirtschaft zeigt aktuell, dass die pharmazeutische Industrie besonders stark von Forschung und Entwicklung geprägt ist. Das spiegelt sich auch in der Investitionshöhe wider (Abb. 4).
Was die Durchführung Industrie-initiierter klinischer Studien betrifft, hat sich Deutschland zur weltweiten Nummer 2 nach den USA entwickelt: Kein anderes Land sonst ist laut Verband der forschenden Pharmaunternehmen (vfa) an mehr Studien beteiligt. (6)
Dabei erfordern Forschung und Entwicklung im pharmazeutischen Bereich einen besonders hohen Aufwand: Von durchschnittlich 5.000 bis 10.000 Substanzen, die in die Entwicklung gelangen, kann nur eine zur Marktreife gebracht werden. Dieser Prozess dauert im Durchschnitt 13,5 Jahre (Abb. 5).
Die Investitionen für die Entwicklung eines neuen Arzneimittels sind entsprechend hoch:
An der Entwicklung eines neuen Arzneimittels arbeiten im Durchschnitt 420 Forscher.
Sie müssen mehr als 6.500 Experimente durchführen.
Sie müssen insgesamt mehr als sieben Millionen Arbeitsstunden aufwenden.
Die Investitionskosten belaufen sich im Durchschnitt laut DiMasi (7) auf 2.6 Milliarden US Dollar, was etwa 2,3 Milliarden Euro entspricht.
Die Kosten für innovative Arzneimittel sind vor dem Hintergrund der Rahmenbedingungen, unter denen sie entwickelt und vertrieben werden, zu beurteilen:
Dazu gehört unter anderem die Patentlaufzeit, die 20 Jahre ab dem Zeitpunkt der Anmeldung des Wirkstoffs zum Patent beträgt.
In diese Zeit fallen die präklinische Entwicklung und die klinische Erprobung, so dass dem pharmazeutischen Hersteller für eine aktive Vermarktung des neuen Arzneimittels letztlich im Mittel sieben bis acht Jahre verbleiben.
In dieser Zeit müssen die Forschungs- und Entwicklungskosten refinanziert werden.
Die Preise, zu denen innovative Arzneimittel vertrieben werden, hängen – wie betriebswirtschaftlich üblich – letztlich auch von der vertriebenen „Stückzahl“ ab. Der Mengenfaktor steuert die Stückkosten und damit auch den Preis.
Nehmen wir in einem vereinfachten Beispiel 2,3 Milliarden Euro Forschungs- und Entwicklungskosten und 8 Prozent des Weltmarktanteils für Deutschland für ein Arzneimittel an. Damit betragen die anteiligen Entwicklungskosten für dieses Arzneimittel 184 Millionen Euro für Deutschland: Wenn nun acht Jahre Patentschutz für die Vermarktung bestehen, sind dies 23 Millionen Euro pro Jahr in Deutschland. Käme dieses Arzneimittel bei 10.000 Patienten jährlich zum Einsatz, so entfielen alleine 2.300 Euro Jahrestherapiekosten auf die Refinanzierung. Bei 1.000 Patienten sind schon 23.000 Euro Jahrestherapiekosten alleine für die Refinanzierung der Forschungs- und Entwicklungskosten notwendig. Dabei sind in diesem vereinfachten Beispiel die Zinsen für das Kapital, die Herstellungs- und Vertriebskosten, Mehrwertsteuer etc. nicht berücksichtigt.
Nach der Zulassung durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA - European Medicines Agency) sind Arzneimittel grundsätzlich gemäß Zulassung verordnungsfähig. Bis auf nicht verschreibungspflichtige sogenannte OTC-Medikamente („over-the-counter-drugs“) (8) und Lifestyle-Präparate (siehe § 34 SGB V, Sozialgesetzbuch fünftes Buch) (9) sind zugelassene Arzneimittel erstattungsfähig und werden damit von den Krankenkassen bezahlt. Die Auswahl einer Therapie, einschließlich Arzneimitteln, obliegt dem Arzt. Er muss seine Therapie-Entscheidung und Behandlung nach festgelegten Standards genau und nachvollziehbar dokumentieren. (10)
Spätestens zum Zeitpunkt des erstmaligen Inverkehrbringens eines Arzneimittels ist der Hersteller verpflichtet, ein so genanntes Nutzendossier mit den entsprechenden Zulassungsunterlagen und Arzneimittelstudien beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) einzureichen. Dieser bewertet im Sinne des § 35a SGB V (Sozialgesetzbuch Fünftes Buch). (11) innerhalb von drei Monaten nach der Marktzulassung des Medikaments, ob ein gegebenenfalls behaupteter Zusatznutzen gegenüber bisherigen „zweckmäßigen Vergleichstherapien“ anerkannt wird. (12) In der Regel wird für diesen Prozess das unabhängige wissenschaftliche Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) (13) mit der Prüfung beauftragt und auf dessen Empfehlung entschieden. Der Beschluss des G-BA bildet für Arzneimittel mit dem betreffenden Wirkstoff dann die Basis für die Preisverhandlung zwischen Hersteller und der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), wobei die Preisverhandlung zwölf Monate nach Start des Verfahrens abgeschlossen sein muss oder in ein Schiedsverfahren mündet.
Referenzen
vfa Positionspapier "Personalisierte Medizin", 2015
DiMasi et al.: Innovation in the pharmaceutical industry: New estimates of R&D costs. J of Health Economics 47, 20-33, 2016
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