In den Fokus der öffentlichen Diskussion nicht nur in Deutschland rücken zunehmend die Ausgaben für innovative Krebsmedikamente. Die enormen Fortschritte der medizinischen Forschung und Entwicklung neuer Krebspräparate werden nicht selten von Kritik begleitet, die gerne Schlagworte wie „Kostenexplosion im Gesundheitswesen“, „Preislawine bei Medikamenten“ oder „Unfinanzierbarkeit von Therapien“ zu Felde führt. Doch von einer ausufernden Kostenentwicklung in der Krebstherapie kann keine Rede sein. Der durchschnittliche Preis für die dafür eingesetzten Medikamente hat sich in den letzten Jahren nur moderat erhöht. So lagen nach Angaben des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (vfa) die Gesamtausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für Onkologika im ambulanten Bereich in den Jahren 2011 bis 2014 bei 2,9 bis 3,4 Milliarden Euro. Dies waren lediglich zwischen 10,1 und 11,2 Prozent der gesamten GKV-Ausgaben für Medikamente, die sich 2014 auf 31,7 Milliarden Euro summierten. Ein Trend zur Steigerung dieses Anteils ist auch in Zukunft nicht zu erwarten. (1)

36 aller neuen Medikamente des Jahres 2015 basieren auf neuen Wirkstoffen - weit mehr als im Durchschnitt der letzten zehn Jahre, der bei knapp 28 Mitteln liegt. Und: 13 dieser neuen Arzneimittel sind Onkologika (Abb.1). Insgesamt sind die Zahlen ein weiterer Beleg dafür, dass die Forschung in der Pharmaindustrie in ihrer Produktivität in den letzten Jahren zugelegt hat und den medizinischen Fortschritt voranbringt. (2)

Gesicherte Arzneimittelfinanzierung
Seit vielen Jahren liegt der Anteil der Krebsmedikamente an den Arzneimittelausgaben der Kassen stabil bei rund 11 Prozent. Dies ist möglich, da es zeitgleich zu Innovationen Arzneimittel gibt, die aus dem Patent auslaufen. So bleibt die Finanzierung neuer, innovativer Arzneimittel gesichert." (3)

vfa-Geschäftsführerin Birgit Fischer

Die positiven Folgen dieser intensiven Aktivitäten, die sich in einer höheren Wirksamkeit und besseren Verträglichkeit der Therapien widerspiegeln, leisten wichtige Beiträge, um das Leben von Krebspatienten bei guter Lebensqualität zu verlängern. Einige Krebsarten sind heute bei frühzeitiger Diagnose heilbar oder können als chronische Erkrankungen behandelt werden. Viele Patienten können ein fast normales Leben führen.

Die Aussicht auf ein längeres Leben mit der Diagnose Krebs hängt von vielen Faktoren ab:

  • Bei wenig aggressiven Tumoren, die den Organismus zunächst nicht beeinträchtigen, können Krebspatienten auch ohne Therapie lange Zeit und ohne größere Beschwerden mit der Erkrankung leben. Besonders im Alter schreiten einige Krebserkrankungen wie zum Beispiel Prostatakrebs sehr langsam voran.

  • Bei frühzeitiger Diagnose steigen die Heilungschancen (Abb. 2). Bei einigen Tumoren ist inzwischen sogar eine Heilung im fortgeschrittenen Stadium oder nach Metastasierung möglich. Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen werden Heilungsraten von über 80 Prozent erzielt. Aber auch Erwachsene haben bei bestimmten Tumorarten gute Chancen auf ein langes Leben.

  • Auch die Möglichkeit, Krebs als chronische Erkrankung zu behandeln, ist auf bessere therapeutische und diagnostische Möglichkeiten zurückzuführen: Patienten mit Darmkrebs leben heute im Durchschnitt drei- bis viermal länger als früher. Nicht immer führen neue Behandlungen zu einer Heilung, wohl aber zu mehr Lebenszeit und besserer Lebensqualität.


Krebspatienten leben heute viel länger
„Insgesamt leben Patienten heute nach ihrer Krebsdiagnose nahezu sechsmal länger als noch vor ungefähr 40 Jahren“ (4)

Dank der inzwischen großen Kenntnisse zur Molekularbiologie der Tumorzelle konnten neue Arzneimittel mit neuen Wirkmechanismen entwickelt werden. Diese Entwicklung führte zu zielgerichteten Therapien, das heißt Therapien, die auf die spezifische Tumorbiologie ausgerichtet sind. Die Erforschung der Tumorbiologie führt zu einer Differenzierung von Tumoren, die das gleiche Organ befallen, aber histologisch und molekularbiologisch verschieden sind. Das Verständnis dieser Unterscheidungen und auch der Vorgänge bei der Tumorentstehung und der Metastasierung, zieht neue Konzepte der Tumorbekämpfung nach sich. Dieses Bild bestätigen auch die Ergebnisse der EUROCARE Studie, die europaweit einen Anstieg der 5-Jahres-Überlebensrate für die meisten Krebsentitäten zeigen konnte. (5)

Welche Therapien am wirkungsvollsten sind, hängt vom individuellen Tumor und dessen Stadium (Ausdehnung, Anzahl befallener Lymphknoten sowie Metastasen) ab. Die Behandlung in spezialisierten Krebszentren, die multidisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Fachgruppen (Chirurgen, internistische Onkologen und Psycho-Onkologen) sowie die unterstützende und palliative Versorgung (zum Beispiel Schmerzbehandlung, verbessertes Nebenwirkungsmanagement) leisten entscheidende Beiträge, um Krebspatienten bestmöglich zu behandeln. Eine kurze Therapieübersicht:

Lange Zeit standen den Ärzten zur Krebsbehandlung nur die klassischen Chemotherapie-Medikamente zur Verfügung. Diese Arzneimittel greifen in den Vermehrungsvorgang von Zellen ein und stören den Zyklus, den eine Zelle bis zur nächsten Zellteilung durchläuft. Damit möglichst viele Tumorzellen zerstört werden, wird meist eine Kombination aus mehreren Zytostatika eingesetzt, die an verschiedenen Stellen des Zellzyklus ansetzen. Die Chemotherapie wirkt systemisch und erfasst insbesondere die teilungsaktiven Zellen; daher werden auch gesunde Zellen in Mitleidenschaft gezogen (zum Beispiel Zellen der Mund- und Darmschleimhaut). (6)

Manche Tumore wachsen unter dem Einfluss von Hormonen. Solche Krebsarten, an deren Zellen Hormonrezeptoren nachgewiesen wurden, können oft über viele Jahre mit antihormonellen Maßnahmen erfolgreich behandelt werden. Eine solche Therapie kommt bisher bei Brust-, Gebärmutter- und Prostatakrebs in Betracht. Dabei werden Medikamente verabreicht, die die Produktion oder die Wirkung von Östrogen beziehungsweise Testosteron im Körper verringern. (7)

Seit Ende der 1990er Jahre stehen zielgerichtet wirkende Arzneimittel zur Verfügung. Diese Arzneimittel richten sich gegen ausgewählte Angriffspunkte auf oder in der Tumorzelle. Dadurch werden gezielt Signalwege unterbunden, mit denen die Tumorzelle ihr Wachstum steuert und sich vermehrt. Zu der Gruppe der zielgerichtet wirkenden Arzneimittel zählen etwa monoklonale Antikörper. Vertreter einer ganz neuen Generation zielgerichteter Wirkstoffe sind sogenannte Antikörper-Wirkstoff-Konjugate. Diese innovativen Substanzen binden gezielt an bestimmte Strukturen auf den Krebszellen und schleusen ein Chemotherapeutikum direkt in die Zellen ein. Dies macht sie zu hochwirksamen Arzneimitteln, die gleichzeitig weniger unerwünschte Nebenwirkungen wie Haarausfall, Übelkeit und Infektionen verursachen. (8)

Mit Hilfe diagnostischer Tests lassen sich heute Patientengruppen mit identischen molekularbiologischen oder genetischen Merkmalen eindeutig identifizieren. Bei bestimmten Krebsarten kann den Patienten ein diagnostischer Test angeboten werden, der eine genaue Bestimmung des Tumors durch sogenannte Biomarker zum Beispiel HER2-Test, BRAF V600-Test ermöglicht. Die Tests werden in der Regel von Pathologen durchgeführt und damit die Grundlage für die Therapieentscheidung gelegt. So wird sichergestellt, dass für den Patienten die richtige zielgerichtete Behandlung identifiziert wird. (9)

Kombinationstherapien, zählen zu den wichtigsten und wirksamsten Strategien, um das Leben von Krebspatienten zu verlängern. Dazu werden verschiedene Medikamente mit unterschiedlichen Wirkmechanismen, die sich in ihrer Wirkung gegenseitig ergänzen, eingesetzt.

Durch die intensive Forschung wurden in der Krebstherapie bereits bedeutende Fortschritte erzielt. Dennoch besteht nach wie vor bei einigen Krebsarten ein hoher Bedarf, die Behandlungsergebnisse durch kontinuierliche Innovationen weiter zu verbessern. Interessante neue Ansätze und Konzepte sind in der präklinischen und klinischen Entwicklung. Dazu zählen unter anderem neue Therapiestrategien, bei denen Tumore mithilfe des Immunsystems bekämpft werden, oder auch Antikörper der nächsten Generation.

Der demographische Wandel in der Gesellschaft ist ein Faktum. Die fortschreitende Alterung der Gesellschaft zeigt sich besonders deutlich anhand der wachsenden Zahl der Hochbetagten. 2009 lebten laut Statistischem Bundesamt über 1,5 Millionen Menschen in Deutschland, die mindestens 85 Jahre alt waren. Ihre Zahl wird den Experten zufolge kontinuierlich steigen und Mitte der 2050er Jahre etwa 6 Millionen erreichen – ein Bevölkerungsanteil von 9 Prozent. (10) Dass auf diesen Wandel in der Altersstruktur frühzeitig reagiert werden muss, wird in Politik und Gesellschaft etwa in der Frage des Renteneintrittsalters längst diskutiert. Auch das Gesundheitswesen, hier am Beispiel der Onkologie, steht vor einer großen Herausforderung: In Zukunft müssen immer mehr ältere Menschen und dementsprechend auch mehr kranke Menschen medizinisch adäquat versorgt werden. Zudem verbessert sich durch Forschung und Entwicklung neuer Wirkstoffe die Qualität der Behandlung und damit wird wiederum ein verlängertes Leben, mit dem Ziel guter Lebensqualität, erreicht.

Wir stehen also vor dem Paradoxon, dass die technischen Möglichkeiten für ein Älterwerden bei hoher Lebensqualität gegeben sind, diese Möglichkeiten uns aber an die Grenzen der finanziellen Ressourcen bringen und Regularien auf den Plan rufen, um die Kosten für diesen möglichen Fortschritt einzudämmen. Von der Gesellschaft ist die Frage zu beantworten, wie sie mit den Anforderungen an Ärzte, das soziale Netz und der Finanzierung umgehen will. Die Antwort darauf hängt nicht zuletzt von ethischen Grundeinstellungen ab: Was ist das Leben wert? Was ist eine bessere Lebensqualität wert? Was ist der ältere Mensch wert?

Die onkologische Versorgung in Deutschland gehört nicht zu den aufwändigsten Versorgungsformen, gerät aber bei Debatten häufiger unter Kritik als zum Beispiel Herz-/Kreislauferkrankungen, die einen weit höheren finanziellen Aufwand erfordern. Mit dem medizinischen Fortschritt ist es gelungen, Krebs zu einer Erkrankung mit Hoffnung auf Überleben zu machen und es werden weiterhin Fortschritte erzielt: Trotz steigender Neuerkrankungsraten sind die Sterberaten rückläufig. Krebsprävention, Früherkennung und Veränderungen der Lebensgewohnheiten werden die Zahl der Neuerkrankungen senken und können zu einer Ausgabenentlastung des Gesundheitssystems führen.

Die vorliegenden Zahlen und Fakten lassen den Schluss zu, dass die Krebstherapie mit den notwendigen Innovationen finanzierbar ist und bleibt. Gemäß des volkswirtschaftlichen Innovationszyklus (11) wurde in vielen Bereichen beobachtet, dass durch Neuerungen die Gesamtkosten vorübergehend ansteigen und sich dann stabilisieren. Die Preise innovativer Arzneimittel hängen aber wesentlich von der Anzahl der zu behandelnden Patienten ab. Damit die Entwicklungskosten refinanziert werden, können bei einer Krebserkrankung, die nur wenige Patienten betrifft, die jährlichen Therapiekosten pro einzelnem Patienten nicht auf einen so niedrigen Wert fallen, wie für so genannte Volkskrankheiten.

Bereits vorhandene sowie künftige innovative Arzneimittel bieten die Chance, Krebs zumindest teilweise zu heilen oder in einen langfristig stabilen Krankheitsverlauf mit lebenswerter Qualität zu wandeln. "Im Idealfall wird die moderne Medizin Medikamente nur bei Patienten einsetzen, die auch davon profitieren. Das wird die Wirkstoffe nicht unbedingt verbilligen, aber helfen, unnötige Behandlungen sowie deren Nebenwirkungen zu vermeiden – und damit hohe Kosten. Die genetischen Daten werden Ärzten künftig auch erlauben, rechtzeitig alternative Therapien einzuleiten." (12) Inwieweit diese medizinische Zukunft zu welchem Preis erreicht werden soll, hat jede Gesellschaft für sich zu entscheiden.

Innovative Medikamente haben bislang schon zu bedeutenden Fortschritten in der Krebstherapie geführt. Die Forschung muss weitergehen, um Behandlungserfolge auch zukünftig verbessern zu können.

Referenzen

  1. Macmillan Cancer Support 2011: Living after diagnosis; median cancer survival times

  2. De Angelis R et al.: Cancer survival in Europe 1999–2007 by country and age: results of EUROCARE-5 - a population-based study. Lancet Oncol. 15, 23-34, 2014

  3. Die Biologen Alexander Picker, David Jackson und Stephan Brock in "Die Zeit"

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