Wenn Guy Georges morgens mit der Arbeit beginnt, setzt er seine 3D-Brille auf. Denn zum Modellieren muss er die Strukturen der Antikörper dreidimensional sehen.
Es sind Antikörper, die später bei Patienten ganz gezielt Krankheiten bekämpfen – zum Beispiel indem sie sich an Krebszellen heften und sie zerstören. Ihr Ziel erkennen die Y-förmigen Antikörper mit den beiden Bindungsstellen, die an der Spitze ihrer Arme liegen.
Am Computer kann der Chemiker die Bindungsstellen so modellieren, dass sie optimal zu ihrem Zielmolekül passen. So wie hier: Der Rezeptor einer Krebszelle (rosa) passt wie ein Schlüssel in das Schloss des Antikörpers. Beide interagieren an verschiedenen Stellen. So bindet zum Beispiel eine positive Ladung des Rezeptors (hellblau) an zwei negative Ladungen des Antikörpers (rot).
Beim Modellieren hat der Experte nicht nur die Form im Blick. Er muss auch darauf achten, dass die Produktionszellen den modellierten Antikörper ordnungsgemäß herstellen können. Außerdem soll er keine Nebenwirkungen verursachen und lange wirksam bleiben. Um die Balance zwischen diesen vielen Anforderungen zu finden, arbeitet Georges mit Experten für maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz zusammen.
Seit 19 Jahren jongliert Guy Georges in der Pharmaforschung Penzberg mit 3D-Modellen von Molekülen. Sein Name steht auf 70 Patenten. Eines seiner wichtigsten Projekte war die Modellierung eines Antikörpers gegen die Alzheimer Krankheit, der mit Hilfe eines Shuttles die Blut-Hirnschranke überwinden kann. Das Modell zeigt das Prinzip: An den Antikörper (grün + grau) wurde unten ein Molekül als Shuttle (rot + orange) angebracht. Das Shuttle Molekül bindet an den Transferrin-Rezeptor (türkis), der normalerweise eisenhaltige Proteine ins Gehirn schleust. So gelangt der Antikörper quasi als blinder Passagier ins Gehirn und kann dort seine Wirkung entfalten. Zurzeit ist dieser Antikörper in der klinischen Erprobung.
Besonders stolz ist Guy Georges auf sein jüngstes „Baby“ – einen Antikörper, den er Contorsbody getauft hat. Wenn er dessen Funktion erklärt, steht er auf und breitet die Arme aus. Die Hanteln in seinen Händen symbolisieren die Bindungsstellen. Bei einem Y-förmigen Antikörper liegen sie weit auseinander.
Dann senkt er die Arme. Jetzt sind die Hanteln, also die Bindungsstellen, viel näher beisammen. Genau dieselbe Bewegung hat er mit Antikörpern gemacht. Er hat ihre Arme heruntergeklappt und damit die Wirkung verändert. Während normale Antikörper Reaktionen hemmen, wirkt der Contorsbody als Aktivator. Diese Funktion wird jetzt in der Forschung genutzt – zum Beispiel zur Aktivierung von Rezeptoren, die bei Immunerkrankungen eine Rolle spielen.
Durch Antikörper-Engineering ist mittlerweile ein ganzer Zoo unterschiedlicher Varianten entstanden. Antikörper mit zwei, drei oder vier verschiedenen Bindungsstellen. Manche haben Wirkstoffe dabei, die Krebszellen abtöten oder das Immunsystem stimulieren. Die Molekül-Designer sind mit Fantasie am Werk. Denn sie wissen: Je spezifischer ein Antikörper ist, umso gezielter kann er die Ursache einer Krankheit bekämpfen.
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