Stellen Sie sich vor, Patienten müssten ihr Haus nicht mehr verlassen, um an einer klinischen Studie teilzunehmen. Ganz ohne beschwerliche Anreise zur Klinik könnte die Überwachung des Krankheitsverlaufs und der Wirksamkeit der Behandlung ganz bequem im häuslichen Umfeld erfolgen.
Dieses Szenario rückt in greifbare Nähe.
Die Kombination neuer Arzneimittel mit bahnbrechender Technologie nimmt mehr und mehr Gestalt an. Die Wissenschaft findet neue, innovative Wege, um klinische Studiendaten in Echtzeit zu erheben, auf deren Grundlage Aufsichtsbehörden dann korrektere, fundiertere Entscheidungen treffen können.
Deutlich wird dies am Beispiel von Studien zur Duchenne-Muskeldystrophie (DMD). Hier werden mithilfe von Technologie Echtzeit-Daten erhoben, um bei der Behandlung dieser Krankheit Fortschritte zu erzielen. Dank des technologischen Fortschritts können die Wissenschaftler die Gehfähigkeit eines Patienten, also seine Fähigkeit, ohne Hilfe zu gehen, jetzt im normalen Alltagsumfeld des Patienten präziser und genauer messen, ohne dass der Patient in die Klinik kommen muss.
DMD ist eine seltene, degenerative neuromuskuläre Erbkrankheit. Sie betrifft vorwiegend Jungen und verursacht einen starken Muskelabbau. Einfache Tätigkeiten wie Gehen oder Essen werden zum Problem, in späteren Stadien beginnen die Herz- und Atemmuskeln zu versagen.
Paul Strijbos, Neurotech-Innovationsleiter im Bereich Product Development bei Roche, ist einer der Wissenschaftler, die bahnbrechende Technologien einsetzen, um Patienten die Last zu erleichtern und die Daten der von dieser seltenen Krankheit Betroffenen genauer zu erfassen. Die neuartige Technologie stellt „einen echten Durchbruch in unserer Arbeit mit Patienten dar und verändert die Art, in der Wissenschaftler exakte Daten aus der realen Welt erheben.“
Duchenne-Muskeldystrophie – Fakten im Überblick:
Bei der DMD wird die Bildung eines Proteins (Dystrophin) durch die Mutation eines Gens gestört, das für die intakte Funktion der Muskelzellen wesentlich ist. Ohne Dystrophin werden die Muskelzellen durch alltägliche Aktivitäten im Übermaß geschädigt.
DMD ist nicht heilbar, jedoch können Physiotherapie, Medikamente und innovative Technologien dabei helfen, die Symptome unter Kontrolle zu bringen und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.
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Ein neuer digitaler Endpunkt
DMD-Betroffene müssen häufig einen standardisierten „Sechs-Minuten-Gehtest“ zur Messung ihrer Gehfähigkeit absolvieren. Der Test ist wichtig, um das Fortschreiten der Krankheit zu ermitteln, kann aber extrem belastend sein. Der „Sechs-Minuten-Gehtest“ macht eine Anreise in die Klinik erforderlich, und die dort absolvierte anstrengende Aktivität spiegelt nicht unbedingt wider, wie sich der Patient bei täglichen Aktivitäten zu Hause tatsächlich bewegt.
Die Wissenschaftler stellten sich die Frage, ob es eine Möglichkeit gibt, DMD-Patienten diesen Test zu ersparen und den Prozess für sie zu verbessern – und fanden eine neuartige Lösung.
Die sogenannte Schrittgeschwindigkeit 95. Perzentile (Stride Velocity 95th Centile, SV95C) ist ein völlig neuartiger digitaler Endpunkt. Er bietet ein genaues und präzises Maß für die reale Gehfähigkeit eines Patienten und wird durch eine am Knöchel getragene Technologie erfasst.
Was ist ein digitaler Endpunkt?
Digitale Endpunkte werden von einem Sensor erfasst – typischerweise außerhalb der Klinik und während Aktivitäten des täglichen Lebens – um auf diese Weise klinisch aussagekräftige Bewegungsdaten zu erfassen.
SV95C wird von der
„Mit der von unseren Kooperationspartnern entwickelten bahnbrechenden Technologie können DMD-Patienten diese Technologie jetzt zu Hause tragen, um ihre Gehfähigkeit bei ganz normalen Aktivitäten des täglichen Lebens auf einzigartige Weise zu messen“, so Strijbos.
SV95C ist das Ergebnis einer Kollaboration zwischen Branchenpartnern. „Wir glauben, dass Erfolg eine Gemeinschaftsleistung ist. Mit einem Mix aus Herausforderung, Zuversicht, Rigorosität und kollaborativem Denken war es uns möglich, die nächste Stufe zu erreichen und den Wert dieser Technologie für mehr Menschen mit DMD nutzbar zu machen“, so Damien Eggenspieler, Healthcare Program Director bei Sysnav, dem Entwicklungspartner dieser Wearable-Technologie.
Ein weiterer Vorteil des neuen SV95C-Endpunkts besteht darin, dass Arzneimittelentwickler damit kürzere klinische Studien mit weniger Studienteilnehmern durchführen können. Dies bedeutet, dass eine Behandlung schneller bereitgestellt und mehr Patienten im großen Maßstab geholfen werden kann. „Die Möglichkeit, durch den Einsatz von tragbarer Technologie Studien in kürzerer Zeit und in einer effizienteren, für den Patienten weniger belastenden Weise durchführen und die Patienten, die auf die Behandlung ansprechen, frühzeitig identifizieren zu können , ist nicht nur für Pharmaunternehmen, Aufsichtsbehörden und Ärzte von Bedeutung, sondern vor allem auch für die DMD-Betroffenen selbst“, so Prof. Dr. Laurent Servais, Professor für pädiatrische neuromuskuläre Erkrankungen am MDUK Oxford Neuromuscular Center und Partner im SV95C-Projekt.
Es zeigt, wie Wissenschaftler Technologie mit neuartigen Therapien kombinieren, um Daten aus der realen Welt zu generieren, die zu präziseren, fundierteren Entscheidungen in der Arzneimittelentwicklung beitragen. SV95C wurde von den verschiedenen Interessengruppen in der DMD-Gemeinschaft mit großem Interesse aufgenommen, darunter Patientenorganisationen, Ärzte und Bewerter medizinischer Verfahren, die über die Preisstellung von Arzneimitteln entscheiden.
Die Daten wurden in verschiedenen Peer-Review-Artikeln veröffentlicht, u.a. in
Paul Strijbos, Neurotech Innovationsleiter im Bereich Product Development bei Roche, zur Kollaboration und dem Potenzial dieser Technologie im Einzelnen
„Das ist eine wirklich revolutionäre und einzigartige neue Technologie. Zum ersten Mal sind wir jetzt in der Lage, im ganz normalen Alltag höchst präzise und genau zu messen, wie sich Patienten bewegen. Typischerweise würden wir die Patienten bitten, regelmäßig zu Funktionstests in die Klinik zu kommen, damit wir verstehen, wie gut sie beispielsweise gehen oder Treppen steigen können. Mit diesem neuen Gerät, das am Knöchel getragen wird, können wir den Betroffenen einfach bitten, das Gerät zu Hause im normalen Tagesablauf zu tragen, wenn wir ihre Gehfähigkeit messen wollen. Die Tatsache, dass Gesundheitsbehörden einen Endpunkt qualifiziert haben, der mit diesem am Knöchel getragenen Gerät erfasst wird, ist wahrhaft einzigartig und richtungweisend. Wir können damit einen unter realen Bedingungen erhobenen Datenbestand zur Gehfähigkeit des Patienten schaffen. Die entsprechenden Daten können den Aufsichtsbehörden vorgelegt werden und finden dort im Rahmen des Evidenzpakets zur Unterstützung unseres Zulassungsantrags Berücksichtigung. Das ist ausgesprochen spannend und auch für den Patienten natürlich höchst erfreulich. Anstatt in die Klinik kommen und stark belastende Tests absolvieren zu müssen – was natürlich auch immer mit einer Anreise verbunden ist – können wir ihn jetzt einfach mit dem Gerät nach Hause schicken und überwachen die Funktionsfähigkeit dann aus der Ferne. Mit diesem Gerät und dieser Technologie tun wir jetzt, was Patienten als nächstes brauchen.“
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