Im Kampf gegen COVID-19: Klinische Studie in Lichtgeschwindigkeit

Noch nie haben Unternehmen und Forschungseinrichtungen so schnell auf einen neuen Erreger reagiert wie auf das Coronavirus SARS-CoV-2. Sie entwickeln Impfstoffe, erforschen neue Arzneimittel, erproben vorhandene Medikamente und entwickeln und bringen diagnostische Tests auf den Markt (um einige wenige Beispiele zu nennen).

Eine klinische Prüfung, also die Erprobung von Wirkstoffen im Rahmen von klinischen Studien, dauert unter normalen Umständen mitunter Jahre. Wir leben aber in Zeiten, die alles andere als “normal” sind - wie sieht also die Arzneimittelentwicklung in Zeiten der Corona-Krise aus?

Um zu untersuchen, ob ein bereits zugelassenes Medikament von Roche auch schwer erkrankten COVID-19-Patientinnen und Patienten helfen kann, war es notwendig, unverzüglich eine klinische Studie aufzusetzen. Wir sprachen mit unserem langjährigen Kollegen Dr. Stefan Frings, der einige dieser Aktivitäten bei Roche mitverantwortet.

Stefan Frings ist seit Juli 2020 Leiter “Medical Affairs” der pharmazeutischen Produktentwicklung in der globalen Roche-Organisation in Basel. Zuvor war er Leiter “Strategy, Portfolio & Clinical Operations” in der globalen Forschungseinheit “Roche Pharma Research and Early Development” (pRED). Zuvor war er fünf Jahre als Medizinischer Direktor bei der Roche Pharma AG in Deutschland tätig und knapp ein Jahrzehnt in der globalen Produktstrategie.

Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen haben mit Hochdruck daran gearbeitet, diese Studie auf den Weg zu bringen. Können Sie uns etwas mehr über den Zweck der Studie sagen?

Im Rahmen von COVACTA – so heißt die Studie – wird die Wirksamkeit und Sicherheit unseres Wirkstoffs Tocilizumab bei schwer erkrankten COVID-19-Patienten mit damit einhergehender Lungenentzündung untersucht. Einer der Endpunkte der klinischen Studie (also eines der definierten Prüfziele) besteht darin, herauszufinden, ob das Medikament die Anzahl der Patientinnen und Patienten, die im Krankenhaus maschinell beatmet werden müssen, oder die Dauer der maschinellen Beatmung reduzieren kann. Je früher die Ergebnisse der Studie vorliegen, desto besser ist es für alle Beteiligten. Jeder Einzelne, der an dieser Studie arbeitet, ist sich seiner Verantwortung und der Erwartungen an die Pharmabranche während dieser Pandemie sehr bewusst und setzt alles daran, sein Bestes zu geben.

Welche Dinge verliefen anders, weil die Studie so schnell beginnen musste?

Für diese Studie gelten nicht die typischen Zeitpläne für klinische Studien. Von der Idee bis zum ersten in die Studie aufgenommenen Patienten waren es nur wenige Wochen. Unser Planungsinstrument, mit dem wir sonst arbeiten, konnte die Zeitpläne nicht einmal richtig abbilden, weil sie kürzer als die straffsten bisher vorgesehenen Zeitpläne waren.

Es gibt eine wachsende Zahl von Fallberichten und Daten aus klinischen Studien zur potenziellen Rolle vom Roche-Wirkstoff Tocilizumab bei der Behandlung von COVID-19-assoziierter Pneumonie. Welche Unterschiede bestehen zwischen diesen Studien und COVACTA?

Der wesentliche Unterschied ist wirklich das Studiendesign - also grob gesagt: die Methodik des wissenschaftlichen Belegs. Der Goldstandard in der klinischen Entwicklung sind randomisierte kontrollierte Studien, die idealerweise placebokontrolliert und verblindet sind.

Mehr über klinischen Studien und die Begrifflichkeiten finden Sie

hier.

Randomisierte Studien können eine Vielzahl von Verzerrungen begrenzen bzw. korrigieren.

Warum ist das wichtig?

Bei Erkrankungen wie einer COVID-19-Pneumonie genesen viele Patientinnen und Patienten zum Glück ohne spezielle Therapie, beispielsweise einfach durch eine unterstützende Behandlung. Retrospektive Datenanalysen (also rückblickende Analysen) und prospektive einarmige Studien (also Studien ohne Vergleichsgruppe) können aufgrund ihres Designs nicht darüber aufklären, ob durch eine bestimmte Intervention (wie z. B. eine medikamentöse Behandlung) das Behandlungsergebnis bei diesen Patientinnen und Patienten verbessert oder gar verschlechtert wird.

Für COVID-19-Patienten ist der Ausgangsstatus des Patienten ein bekannter Prognosefaktor für wichtige Ergebnisparameter wie die Entlassung aus dem Krankenhaus oder das Überleben. Daher sollten Patienten bei richtig konzipierten randomisierten Studien in ähnlichem Umfang solche prognostische Faktoren in den verschiedenen Behandlungsarmen aufweisen.

Wir haben die COVACTA-Studie bewusst so gestaltet, dass sie Daten mit dem höchsten Evidenzgrad generieren kann, da sie randomisiert, placebokontrolliert und doppelt verblindet ist. Die so genannte “Randomisierung” und die “Doppelverblindung” mindern Verzerrungen auf der Suche nach dem wissenschaftlichen Beleg. In unserer Studie kommt es also zur zufälligen Zuordnung von Patienten zu einer Interventions- oder Kontrollgruppe; weder der behandelnde Arzt noch der Patient weiß, ob der Patient eine aktive Intervention oder das Placebo erhält (Erfahren Sie

hier mehr zum Thema klinischen Studien).

Sie nehmen an einem Projekt außergewöhnlichen Ausmaßes teil. Wie fühlen Sie sich dabei?

Ich fühle mich geehrt, einen Beitrag zu den Anstrengungen von Roche im Kampf gegen diese Pandemie leisten zu können. Wahrscheinlich werden wir unseren Enkeln eines Tages erzählen, wie es damals war, als wir im Jahr 2020 an diagnostischen Tests und Molekülen gearbeitet haben, um die Krankheit zu verstehen, zu diagnostizieren und möglicherweise zu behandeln.

Welche wichtigen Erkenntnisse haben Sie im Verlauf der Studie gewonnen?

Es ist einfach erstaunlich, was man erreichen kann, wenn hochmotivierte Experten die konventionellen Ansätze darüber, wie wir Studien durchführen, infrage stellen. Die im Rahmen der Studie unternommenen Anstrengungen waren bereits enorm, und dennoch haben wir den Ehrgeiz, noch mehr zu erreichen. Es ist noch immer unglaublich, die Leidenschaft und Energie zu sehen, mit der alle Beteiligten nicht nur diese Studie, sondern alle Ergebnisse voranbringen wollen, die wir benötigen, um erkrankten Patientinnen und Patienten zu helfen.

Welche Auswirkungen hatte die Studie auf ihr Privatleben? Wie stark war die Stressbelastung?

Ich muss gestehen, dass mich am meisten die unzureichende Bandbreite meiner Internetverbindung gestresst hat, so dass ich nicht so von zu Hause aus arbeiten konnte wie ich wollte. Ich wohne im Dreiländereck im südbadischen Grenzach, wo außerdem die Mobilfunkabdeckung zu wünschen übrig lässt. Ich hatte also keine gute Sprachverbindung, konnte von Videoverbindungen nur träumen und verpasste viele Anrufe von Bill (Bill Anderson, CEO von Roche Pharmaceuticals und Mitglied der Konzernleitung) und anderen. All das verursachte ziemlich viel Stress. Erfreulich ist, dass mein Anschluss an das Hochgeschwindigkeitsnetz vorrangig bearbeitet wurde und ich nun endlich eine Glasfaserverbindung habe. Jetzt ist die Arbeit im Homeoffice nicht nur machbar, sondern auch angenehm.

Beitrag vom 06. Juli 2020

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