1986 landete Billy Ocean einen Hit, der textlich ganz nach meinem Geschmack ist: „When the going gets tough, the tough get going.“ Ich glaube, diese Maxime hat bereits seit Kindheitstagen ihren festen Platz in meinem Leben – genau genommen, seit ich damals meine Leidenschaft für das Wildwasserkajak entdeckte. Der Titel scheint wie gemacht für diese Sportart. Wenn das Fahrwasser unruhiger wird, sich die ersten Schluchten ankündigen, schlägt das Herz des Kanuten höher. Dann geht es auch darum, die eigenen Grenzen auszuloten.
So seltsam das jetzt klingen mag: Ich sehe in meinen damaligen Ausflügen durchaus Parallelen zur Erforschung und Entwicklung von Arzneimitteln. Denn wie jede Flusstour ist auch der Entwicklungsweg eines Arzneimittels voller Unwägbarkeiten, Zweifel und kurzfristigen Kurskorrekturen. Und manchmal steht man an einem Abgrund und muss all seinen Mut zusammennehmen, um am Ende doch noch weiterzukommen. Die entscheidende Frage lautet dann: Ist der Glaube an die eigenen Fähigkeiten größer als die Stimmen des Zweifels?
Vor etwa 10 Jahren waren die Zweifler besonders laut. Damals forschte Roche gemeinsam mit Genentech an einem neuen Wirkstoff zur Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem Krebs. Als ich die Leitung des Roche Projektteams übernahm, lagen bereits sieben negative Phase-II-Studien für verschiedene Krebsarten vor. Sieben! Unser US-Entwicklungspartner Genentech, damals noch kein Teil von Roche, wollte die Entwicklung des aus dem eigenen Labor stammenden Moleküls eher einstellen und auch bei Roche herrschte Unentschlossenheit darüber, ob sich das Weiterarbeiten lohnt.
Doch letztlich wog der Glaube an das Präparat schwerer als die Angst vor dem abermaligen Scheitern. Wir schauten noch einmal detailliert auf vorhandene neue präklinische Daten, die bei einer speziellen Form des Brustkrebs (HER2 positiv) durchaus vielversprechend waren. Also entschieden wir uns als Projektteam, auf kleinerer Flamme weiter zu forschen – trotz des Neins unseres Partners und trotz aller Vorurteile. Dank einer klaren Rationale und dezidierten Erfolgs- und Abbruchkriterien bekamen wir zum Glück eine letzte Chance für eine bewusst mit einer geringen Patientenzahl geplanten klinischen Studie. Denn die initialen Studienergebnisse waren beeindruckend und überzeugend. Die Team-Ressourcen wuchsen wieder, die Zahl der Studienteilnehmer wurde ausgeweitet um weitere wissenschaftliche Fragestellungen zu adressieren. Letztendlich konnten wir auf dem Boden der generierten Daten eine große Phase-III-Zulassungsstudie designen. Heute ist die Behandlung fester Bestandteil in der Behandlung von Frauen mit (HER2+) Brustkrebs.
Beliebig übertragen lässt sich dieser Erfolg natürlich nicht – in der Forschung muss man auch irgendwann aufgeben können, sich einer negativen Datenlage beugen. An die eigene Kraft zu glauben ist gut, sie mit Fakten zu belegen, ist besser. Wissenschaftliche Daten setzen uns die Grenzen, die es braucht, damit aus Mut nicht Übermut wird. Auch im Sport habe ich das Risiko stets kalkulieren wollen: Wann immer ich mit meinem Kajak eine Schlucht navigierte, legte ich Wert darauf, die Situation meistern zu können. Bei kniffligen Stellen von Land aus vorab die Wasserwucht und –tiefe zu evaluieren, gehört dazu, um das Risiko abzuschätzen. Im Falle des Brustkrebsmedikamentes erwarteten wir beim Blick auf die Erkenntnisse aus der präklinischen Phase, dass wir mit unserer letzten kleinen Studie nicht auf Grund aufschlagen würden.
Das heißt keinesfalls, dass wir bei Roche prinzipiell in seichten Fahrwassern unterwegs sind. Im Gegenteil: Unser Anspruch ist es, an der Forefront der Wissenschaft zu arbeiten und neue Wege aufzuzeigen. Daher wollen wir uns einer möglichen Innovation völlig offen annähern. Wir haben bei Roche eine hohe Anzahl sogenannter früher klinischer Projekte, von denen es erwartungsgemäß etwa 90 Prozent nie in die klinische Routineanwendung schaffen. Für Roche ist das kein größeres Problem, denn unser Innovationsanspruch mit Weltklasseforschern steht definitiv über bedingungsloser wirtschaftlicher Effizienz, jedoch strebt natürlich auch Roche danach die Erfolgsquote zu erhöhen. Kurz gesagt: Wir haben bei Roche die Möglichkeit der langfristigen Perspektive, die es uns erlaubt und auch fordert, mutig zu sein.
Wer einmal ein Mammutprojekt beerdigen musste, weiß, wovon er spricht. Vor Jahren wollten wir ein bereits etabliertes Medikament für adjuvante Indikationen entwickeln, das heißt, eine Anwendung um das Rückfallrisiko bereits mutmaßlich geheilter Krebspatienten zu minimieren. Nach einer Vielzahl von Phase III-Studien und Investitionen von über eine Milliarde Euro mussten wir uns einen kompletten Fehlschlag eingestehen. Und der tat richtig weh – nicht nur uns, sondern er war auch eine Enttäuschung für die Patienten, die an den sehr langen Studien teilgenommen und gehofft hatten. Ich war nach dieser Niederlage erst einmal sehr intensiv mit der Aufarbeitung, Kommunikation, Sicherheits- und regulatorischen Maßnahmen beschäftigt. Luft zum Atmen blieb kaum. Beruhigend ist, dass Roche nicht ein Unternehmen ist, bei dem später für die Mitarbeiter ein böses Erwachen folgt. Negative Stimmen und Vorwürfe habe ich nie gehört - dies ist auch der Tatsache geschuldet, dass Investitionsentscheidungen breit getragen werden und auf klaren wissenschaftlichen Hypothesen basieren, die sich leider nicht allzu selten nachträglich als falsch erweisen.
Forscher bei Roche laufen also weder auf Grund noch stürzen sie ins Bodenlose, wenn sie Innovationen wagen. Dessen können sie sich sicher sein. Bislang gab es nur eine einzige Phase, in der ich nicht wusste, was auf mich wartet. Meine Anfangszeit. Wahrscheinlich hat niemand eine genaue Ahnung davon, was Menschen in der Pharmaindustrie machen, wie sich Abläufe und die tägliche Arbeit gestalten. Ich kam jedenfalls als Facharzt für Innere Medizin aus der Klinik und stellte mich bereits beim Vorstellungsgespräch nicht gerade clever an.
Eine wirkliche Routine wollte sich in den ersten Jahren zudem auch nicht einstellen. Als ich anfing, übernahm Roche gerade Boehringer Mannheim – naturgemäß herrschte eine gewisse Unsicherheit. Danach ging ich nach Basel, wo kurz darauf die gesamte Organisation auf den Kopf gestellt wurde. Mein neuer Chef saß plötzlich in New Jersey – also zog ich kurzerhand mit meiner Familie in die USA.
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