Künstliche Intelligenz (KI) und Algorithmen revolutionieren zahlreiche Branchen und haben auch im Gesundheitswesen Einzug gehalten. Durch die rasante Zunahme medizinischen Wissens und den wachsenden Bedarf an Effizienz und Präzision in der Patientenversorgung bieten KI-Technologien immense Potenziale. Sie können Ärzt:innen dabei helfen, Diagnosen schneller und genauer zu stellen, therapeutische Entscheidungen zu unterstützen und letztlich die Qualität der Gesundheitsversorgung zu verbessern.
Die Integration von KI-Technologien wie Chat GPT bietet vielversprechende Chancen für die Zukunft der medizinischen Versorgung. Dennoch stehen wir vor Herausforderungen wie der Erklärbarkeit von KI-Entscheidungen und der Notwendigkeit klarer rechtlicher Rahmenbedingungen. Um diese Fragen zu beantworten und einen tieferen Einblick in die Thematik zu erhalten, sprachen wir mit Thomas Goehl, Global Market Development Manager bei Roche.
Goehl: Ich bin Gesundheitsökonom und habe mittlerweile ein sehr gutes Verständnis in der IT. Ursprünglich komme ich aus der Unternehmensberatung und habe zwei Jahre im Krankenhaus gearbeitet. Seit fast fünfeinhalb Jahren beschäftige ich mich mit klinischer Entscheidungsunterstützung und KI-Modellen. In meiner aktuellen Rolle bin ich für die Go-to-Market-Strategie und den kommerziellen Marktzugang unserer KI-Systeme in Europa verantwortlich.
Goehl: Ein Algorithmus ist im Grunde genommen ein Prozess, bei dem Daten in ein System eingegeben werden und ein Ergebnis herauskommt. Diese Verarbeitung kann so einfach sein wie eine Wenn-dann-Regel oder eine komplexe mathematische Formel, aber sie ist immer statisch und klar definiert. Eine KI funktioniert ähnlich, aber sie kann mit komplexeren und unerwarteten Eingaben umgehen. Ein KI-System nutzt oft viele Algorithmen gleichzeitig und kann Datenmuster erkennen, die ein einfacher Algorithmus nicht verarbeiten kann.
Ein einfaches Beispiel ist die Ampelschaltung im Straßenverkehr, die nach klaren Wenn-dann-Regeln funktioniert. Ein komplexeres Beispiel sind soziale Medien wie LinkedIn, die Inhalte basierend auf dem Nutzerverhalten vorschlagen. Wenn ich oft Artikel über KI lese, zeigt mir LinkedIn mehr solche Artikel an, weil die KI dahinter mein Interesse erkannt hat.
Goehl: Die Medizin wird immer komplexer und das Wissen verdoppelt sich alle 73 Tage. Für einen Arzt ist es unmöglich, all diese Informationen zu verarbeiten. KI und Algorithmen können helfen, diese Informationsflut zu bewältigen und effizienter zu arbeiten. Sie können Muster in Patientendaten erkennen und so zur besseren Diagnose und Behandlung beitragen. Aktuell bleiben 94 % der medizinischen Daten ungenutzt. KI könnte diese Daten analysieren und wertvolle Erkenntnisse liefern.
Goehl: Das Potenzial ist enorm. Studien schätzen den Markt auf mehrere Milliarden Euro. KI kann die Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen erhöhen, was lebensrettend sein könnte. Zum Beispiel könnte die Rate der Darmkrebsvorsorge durch den Einsatz von KI deutlich gesteigert werden, was viele Leben retten und Kosten senken könnte.
Goehl: KI kann die Zeit bis zur Diagnose verkürzen und die Einhaltung von Leitlinien verbessern. Für Krankenhauspersonal und Ärzte bedeutet das verlässliche Diagnosen und effizientere Prozesse. Auch für private Labore kann KI ein Wettbewerbsvorteil sein, da sie zusätzliche medizinische Mehrwerte bietet, die andere nicht haben.
Goehl: Nein, ich glaube nicht, dass KI Menschen vollständig ersetzen wird. Die Empathie und das Vertrauen, das ein Arzt oder eine Pflegekraft einem Patienten entgegenbringt, kann eine KI nicht bieten. KI wird eher als Unterstützung fungieren, die schnellere und präzisere Diagnosen ermöglicht, aber die menschliche Interaktion wird weiterhin unverzichtbar sein.
Goehl: Eine der größten Herausforderungen ist die Erkl ärbarkeit der KI-Entscheidungen, das sogenannte "explainable AI". Mediziner müssen verstehen können, wie eine KI zu ihren Ergebnissen kommt, um diese vertrauensvoll in der Patientenversorgung einzusetzen. Außerdem fehlen derzeit noch klare rechtliche und ökonomische Rahmenbedingungen für den Einsatz und die Vergütung von KI im Gesundheitswesen.
Goehl: Ein gutes Beispiel ist der Einsatz eines Algorithmus zur Früherkennung von Leberkrebs. Der sogenannte GAAD Algorithmus kann helfen, Leberkrebs in einem frühen Stadium zu diagnostizieren, indem er als zusätzlicher digitaler Biomarker genutzt wird. Dieser Algorithmus nutzt bereits vorhandene Patientendaten und ist ein diagnostisches Tool zur verbesserten Früherkennung von HCC-Risikopatienten im Vergleich zu traditionellen Methoden wie Ultraschall. HCC-Risikopatienten müssen in ein besonderes Programm aufgenommen werden und sind meist Alkoholiker, Fettleberpatienten, Zirrhotiker und Patienten mit genetischen Vorerkrankungen.
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