6. Auswirkungen auf Gesundheit und Gesundheitswesen

Bestimmung der Effekte von Tests auf das Gesundheitswesen in Deutschland

Infolge der hohen Anzahl erkrankter Personen und ihrer Versorgung wurden und werden zentrale Ressourcen im Gesundheitswesen knapp – von medizinischem Personal und Pflegefachkräften, über Krankenhausbetten, bis hin zu Material und Geräten. Eine Überlastung des Gesundheitssystems in der Breite konnte in Deutschland bis Ende 2021 jedoch weitgehend vermieden werden. Auch weil Kapazitäten durch Verschiebung planbarer medizinischer Eingriffe und Arztbesuche zeitweise freigemacht sowie zusätzliche Kapazitäten geschaffen wurden und werden.

Damit ist das Gesundheitswesen seit Ausbruch der Corona-Pandemie einer harten Bewährungsprobe ausgesetzt. Allerdings wären die Belastungen im Gesundheitswesen und die Gesundheitsrisiken für die Menschen bei einem ohne Tests höheren Infektionsgeschehen deutlich höher. Der Nutzen von Tests wird im Folgenden quantitativ bewertet.

Bis zum 31.12.2021waren laut Robert Koch-Institut über 7,1 Millionen Personen in Deutschland nachweislich an Corona erkrankt, davon sind fast 112.000 verstorben – die meistenwohl an und nicht nur mit Corona.

Aufgrund von Schwierigkeiten bei der Erfassung (und Nachmeldungen) ist davon auszugehen, dass bereits deutlich mehr Personen tatsächlich eine Infektion durchgemacht haben.

Studien zeigen eine Untererfassung ummindestensden Faktor zwei. Damit dürfen sich in den rund zwei Jahren seit Ausbruch der Pandemie insgesamt weit über 14 Millionen Personen in Deutschland mit dem Corona-Virus infiziert haben. Zum Vergleich: In den etwa acht Monaten der besonders schweren Grippewelle 2017/18 registrierte das Robert Koch-Institut (SurvStat@RKI 2.0) lediglich rund 349.000 Influenzafälle.

Quantitative Schätzungen zu den Auswirkungen von Tests auf Gesundheit und Gesundheitssystem sind zwangsläufig mit Unsicherheit behaftet und hängen entscheidend vom Reduktionsbeitrag der Tests und dem Pandemiegeschehen ab. Um diesem Umstand, zumindest teilweise, Rechnung zu tragen, werden auch an dieser Stelle drei Szenarien betrachtet. Den Szenarien liegen jeweils unterschiedliche Reduktionsbeiträge des Infektionsgeschehens durch Tests zu Grunde (20 %, 40 % und 70 %).

Zur Quantifizierung der Nutzen von Tests werden die Szenarien als kontrafaktische Szenarien konstruiert, die die Situation widerspiegeln, die sich ohne Tests ergeben hätten. Die kontrafaktischen Szenarien können dann mit der tatsächlichen Situation verglichen werden. Dafür müssen die Reduktionsbeiträge der Tests in einem ersten Schritt in vermiedene Anstiege der tatsächlich registrierten Infektionen umgerechnet werden:

  • Für einen geringen Effekt gehen wir von einem Reduktionsbeitrag von 20 Prozent aus, was einem vermiedenen Anstieg um rechnerisch rund 25 Prozent entspricht.

  • Für einen mittleren Effekt gehen wir von einem Reduktionsbeitrag von 40 Prozent aus, was einem vermiedenen Anstieg um rechnerisch rund 65 Prozent entspricht.

  • Für einen hohen Effekt gehen wir von einem Reduktionsbeitrag von 70 Prozent aus, was einem vermiedenen Anstieg um rechnerisch rund 233 Prozent entspricht.

Den Berechnungen und empirischen Schätzungen liegen Daten von März 2020 bis Ende September 2021 zugrunde. Damit beziehen sich die Berechnungen im Wesentlichen auf eine Phase, zu der es noch keine Impfung gab bzw. noch nicht alle „ein Impfangebot“ hatten und das Infektionsgeschehen insbesondere von der Alpha- und später Delta-Variante des Coronavirus dominiert wurde. Aufgrund datenseitiger und methodischer Beschränkungen stellen die Schätzungen zu den Auswirkungen von Tests auf Gesundheit und Gesundheitssystem eher eine Untergrenze dar (Kasten).

Vorgehen

Für einen mittleren Effekt von Tests für die Eindämmung des Infektionsgeschehens (vermiedener Anstieg um 65 %) summieren sich die Infektionen, die durch PCR- und Antigenschnelltests in Deutschland bis Ende September 2021 vermieden werden konnten, auf rund2,8 Millionen Personen. Das bedeutet, dass die Anzahl der bis Ende September 2021 Infizierten ohne Testungen bei rund 7 Millionen Personen gelegen hätte, statt der tatsächlich beobachteten 4,2 Millionen Personen. Ausgehend von Durchschnittswerten im bisherigen Pandemieverlauf (bis Ende September 2021) fielen damit dieTodesfälleum schätzungsweise 62.000 und dieKrankenhauseinweisungenum 274.000 niedriger aus, als dies ohne Tests der Fall gewesen wäre. Statt der bis Ende September 2021 beobachteten rund 94.000 Todesfälle und 411.000 Krankenhauseinweisungen in Zusammenhang mit Corona, wäre es ohne Testungen zu ca. 156.000 Todesfällen und 685.000 Krankenhauseinweisungen gekommen.

Infolge der vermiedenen Krankenhauseinweisungen konnten die Tests auch helfen,Behandlungskostenim Gesundheitswesen zu vermeiden. Die durchschnittlichen Kosten für die stationäre Behandlung von Infizierten betragen nach Auswertungen des Wissenschaftlichen Instituts der AOK von Krankenhaus-Abrechnungsdaten von 182.000 Corona-Fällen, die zwischen dem 01.03.2020 und dem 31.05.2021 (mit oder wegen Corona) hospitalisiert wurden, rund 10.200 Euro pro Fall (inkl. Pflegepersonalkosten). Die tatsächliche Höhe der Behandlungskosten hängt stark vom Einzelfall ab. Fälle ohne Beatmung verursachen im Mittel Kosten in Höhe von etwa 5.800 Euro, bei schweren Verläufen oder beatmungspflichtigen Patienten liegen die Kosten deutlich höher. So betragen die Kosten bei den zehn Prozent der beatmungspflichtigen Patienten mit den höchsten Kosten nach Auswertungen der AOK über 77.000 Euro. Neuere Daten der AOK für Baden-Württemberg legen nahe, dass sich die durchschnittlichen Kosten auch bis Ende 2021 in ähnlicher Größenordnung bewegen. Damit liegen die Kosten für die Behandlung von Corona-Infizierten in Summe inzwischen deutlich höher als bei dem jahrelangen "Spitzenreiter" Herzinsuffizienz als bislang

häufigste und teuerste Diagnose. Ausgehend von durchschnittlichen Kosten in Höhe von 10.200 Euro pro Fall und 2,8 Millionen vermiedenen Fällen liegen die Kostenentlastungen bis Ende September 2021 bei mittlerer Effektstärke in einer Größenordnung von rund2,8 Milliarden Euro. Zu den vermiedenen Behandlungskosten hinzu kommen Einsparungen durch vermiedene ambulante Behandlungen und (Langzeit-)Folgen von Corona-Infektionen (Long Covid). Die vermiedenen Kosten für ambulante Behandlungen dürften allerdings geringer ausfallen als die vermiedenen Kosten für die stationäre Behandlung, da davon auszugehen ist, dass die meisten Infizierten mit hohem und damit kostenintensivem Versorgungsbedarf schwere Verläufe haben und somit stationär behandelt werden.

Darüber hinaus ermöglicht ein testbedingt niedrigeres Infektionsgeschehen weitere monetäre Einsparungen sowie eine Reduktion von Gesundheitsrisiken, wenn wenigerplanbare Operationen und Arztbesucheverschoben werden müssen. Allein 2020 wurden Millionen Operationen verschoben und vom Bund Ausgleichzahlungen in Höhe von rund

10,2 Milliarden Euro geleistet, um Bettenkapazitäten für Corona-Infizierte freizuhalten (Kasten).

Infolge der vermiedenen Infektionen ist davon auszugehen, dass Tests zu einer deutlichen Entlastung der Intensivstationen beigetragen haben. Bei mittlerer Effektstärke konnte durch Testungen im Pandemieverlauf bis Ende September 2021 rund84.000 Einweisungen auf Intensivstationenvermieden werden. Statt der beobachteten rund 125.000 Intensivbehandlungen in Zusammenhang mit Corona bis Ende September 2021, wäre es ohne Testungen zu ca. 208.000 Intensivbehandlungen gekommen.

Bei einer durchschnittlichen Dauer der Intensivbehandlung von Corona-Infizierten von

5 Tagen ergibt sich bei mittlerer Effektstärke eine vermiedene Belegung von Intensivbetten durch Testungen in Höhe von418.000 Bettentagenüber die betrachteten 18 Monate. Zum Vergleich: In Deutschland standen seit April 2020 durchschnittlich rund 25.700 betreibbare Intensivbetten für Erwachsene pro Tag zur Verfügung (ohne Notreserve und ECMO-Betten für schwerstkranke Beatmungspatienten). Davon waren im Durchschnitt rund 77 Prozent belegt. Dies legt nahe, dass die Versorgung der zusätzlich Infizierten zwarim Durchschnittweitgehend unproblematisch gewesen wäre. Die Durchschnittsbetrachtung trägt dem wellenartigen Verlauf der Pandemie aber nicht Rechnung. Für Spitzenzeiten ist anzunehmen, dass viele Krankenhäuser infolge der ohne Tests zusätzlich Infizierten an ihre Kapazitätsgrenzen gestoßen wären, zumal mit einem höheren Infektionsgeschehen neben den Bettenauslastungen auch Engpässe bei medizinischem Personal und Pflegefachkräfte zunehmen. Dies bestätigen die aktuellen Entwicklungen zum Jahreswechsel 2021/2022. Somit konnte infolge der testbedingt niedrigeren Fallzahlen die Gesundheits- und Notfallversorgung in der Breite im Beobachtungszeitraum einfacher erhalten bleiben und es mussten weniger medizinische Eingriffe und Arztbesuche verschoben werden.

Davon abweichend werden Berechnungen mit einer geringen und einer hohen Effektstärke und damit ein geringerer bzw. höherer Reduktionsbeitrag bzw. vermiedener Anstieg des Infektionsgeschehens durch Tests angenommen. Dies zeigt die Bandbreite möglicher Effekte im Gesundheitssystem (Abbildung).

Auchkünftig dürften Testungen signifikante Entlastungen im Gesundheitssystem und positive Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen entfalten. Mit steigender Impfquote und verbesserten Therapieerkenntnissen nimmt zwar der Anteil an Infizierten mit schweren Verläufen tendenziell ab (Entlastung des Gesundheitssystems). Zugleich können die Fallzahlen und damit die Anzahl hospitalisierter Personen aber steigen, wenn die Corona-Beschränkungen gelockert werden oder sich neue, stark infektiöse Virusvarianten verbreiten (Belastung des Gesundheitssystems).

Ergebnisse

Näherungsweise Schätzung

Quelle: eigene Berechnungen (Datengrundlage RKI, Intensivregister, AOK)

Bandbreite der Entlastungen im Gesundheitssystem durch Testungen

Verschiebung medizinischer Eingriffe und Arztbesuche

Die Verschiebung und der Verzicht von medizinisch indizierten Arztbesuchen, Untersuchungen und (elektiven) Operationen kann sich negativ auf die Gesundheit der Patientinnen und Patienten auswirken und unter Umständen zu irreversiblen Gesundheitsschädigungen oder vorzeitigem Tod führen. Allein in den 12 Wochen zwischen Ende Januar und Anfang April 2020 wurden nach Schätzungen einer

Studie über 900.000 Operationen in Deutschland verschoben – das sind unter anderem rund 85 Prozent aller elektiven Operationen und 24 Prozent aller malignen Krebserkrankungen in diesem Zeitraum. Zum Nachholen von Operationen sind bereits unter Normalbedingungen kaum Kapazitäten vorhanden. In Abhängigkeit davon, wie stark die Anzahl an Operationen nach Wiederaufnahme des Elektivprogramms über das ohnehin anfallende Maß hinaus ausgeweitet werden kann, dürfte es zwischen mehreren Monaten und über ein Jahr dauern, bis die verschobenen Operationen nachgeholt sind – vorausgesetzt, es werden nicht erneut Kapazitäten für Corona-Infizierte blockiert und das medizinische Personal steht weiterhin zur Verfügung.

Zur Quantifizierung wurden drei kontrafaktische Szenarien ohne Tests konstruiert. Dafür wurde in einem ersten Schritt der jeweilige Reduktionsbeitrag der Tests

(Kapitel 3) in einenvermiedenen Anstiegder tatsächlich registrierten Infektionen umgerechnet. Der Reduktionsbeitrag wird dazu in vermiedene Infektionen wie folgt umgerechnet: Reduktionsbeitrag/(1-Reduktionsbeitrag). In einem zweiten Schritt wurden die vermiedenen Infektionsfälle mit Daten zur kumulierten Anzahl an Infektions- und Todesfällen und Intensivbehandlungen sowie zur durchschnittlichen Hospitalisierungsrate (Anteil hospitalisierte Fälle an Infizierten) zu den durchschnittlichen Behandlungskosten und zu der durchschnittlichen Dauer der Intensivbehandlung in Deutschland verknüpft. Die einbezogenen Daten umfassen in der Regel den Zeitraum von März 2020 bis Ende September 2021.

Damit stellen die Schätzung eher eineUntergrenzedar.Erstenssind die über die Zeit kumulierten Effekte höher je länger die Pandemie andauert. Eine Betrachtung des weiteren Pandemieverlaufes nach Ende September 2021 führt also grundsätzlich zu größeren Effekten.Zweitensbleibt eine Abschwächung der Infektionsdynamik über die Zeit infolge vermiedener Folgeinfektionen bei einem längerfristig niedrigeren Infektionsgeschehen durch Testungen unberücksichtigt, da ein zeitinvarianter Reduktionsbeitrag angenommen wird.Drittensbleibt dieDunkelziffer, deren Ausmaß per se unsicher ist und im Pandemieverlauf stark schwanken dürfte, unberücksichtigt. Der Einbezug der Dunkelziffer würde zwar die Anzahl (vermiedener) Infizierter erhöhen, zugleich ist aber von einem Rückgang der Mortalitätsrate (Anteil Todesfälle an Infizierten) und Hospitalisierungsrate (Anteil hospitalisierte Fälle an Infizierten) auszugehen, da die unerfassten Infizierten in der Regel milde Verläufe haben.

Trotz empirischer Fundierung sind nur näherungsweise Schätzungenmöglichen. Sie bieten eine Indikation der Bandbreite der Stützung der Volkswirtschaft und der Entlastungen im Gesundheitswesen durch die Tests. Unsicherheiten bestehen vor allem hinsichtlich des tatsächlichen Reduktionsbeitrages der Tests. Dieser dürfte ebenso wie die Mortalitäts- und Hospitalisierungsrate und die Behandlungskosten unter anderem mit Impffortschritt, Therapieerkenntnissen und Strenge von Lockdown-Maßnahmen über die Zeit variieren. Zudem können neue Varianten wie Omikron neue Dynamiken und Ansteckungswege bedeuten sowie die Zuverlässigkeit bisheriger (Schnell-)Tests beeinträchtigen. Daten zu Krankenhauseinweisungen oder Letalität der Omikron-Variante oder auch möglicher weiterer zukünftiger Varianten liegen derzeit nicht vor.

Gleichwohl weisen die Ergebnisse auch einenAussagegehalt für die Zukunftauf, da sie bereits mehrere epidemiologischen Phasen des Pandemieverlaufs abdecken: von Phasen hoher / niedriger Inzidenz und Phasen regionaler / überregionaler Ausbreitung über Phasen mit schweren Fällen in allen / bestimmten Personengruppen bis hin zu Phasen mit unterschiedlichen / ohne Präventions- und Eindämmungsmaßnahmen (z. B. Maskenpflicht, Hygiene- und Abstandsregeln, Kontakt- und Mobilitäts-, sowie Wirtschaftsbeschränkungen, Impfangebote).

  • Überblick
  • Weitere Infos
  • Grafik: Vorgehen und Datengrundlage

Daten beziehen sich auf Personen, die mit Corona infiziert sind.

Methodische Vorgehensweise und Grenzen

Weitere Kapitel:

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