SARS-CoV-2: Bald Geschichte oder neues Normal?

Hat die Menschheit bereits andere Pandemien überlebt?

Sehr viele - und die SARS-CoV-2-Pandemie ist nicht die schlimmste von ihnen. Nicht das erste Mal verändern Viren oder Bakterien den Lauf der Geschichte und beeinflussen das Leben von vielen Millionen Menschen: Die Pest löschte im 6. Jahrhundert ganze Bevölkerungen aus, im 14. Jahrhundert fielen ihr gar 50 Prozent der Europäer zum Opfer. Die Pocken machten es den spanischen Eroberern leicht, die Indianer zu unterwerfen. Die Spanische Grippe raffte 1918 fast die gesamte junge Generation dahin und schwächte somit die europäische Wirtschaft. Ebola, Zika, Masern, Polio, Grippe, Dengue – all das sind Krankheiten, die unsere Vorfahren über viele Jahrhunderte bedrohten, die aber immer noch nicht ihre Schrecken verloren haben.

Gab es bereits schwerere Pandemien als SARS-CoV-2 und wird es in Zukunft noch tödlichere geben?

Durchaus, geht man zum Beispiel nach den Todeszahlen: Durch das HI-Virus starben weltweit 39 Millionen Menschen, an der Spanischen Grippe etwa 50 Millionen und an den Masern allein im Jahr 2019 knapp 900.000 Menschen[1]. Denkbar sind auch für die Zukunft noch fatalere Pandemien als SARS-CoV-2: „Es könnte sich zum Beispiel ein noch ansteckenderes und tödlicheres Virus langsamer und lange unentdeckt ausbreiten“, sagt Dr. Christian Hintze, Director Medical & Scientific Affairs, Roche Diagnostics. „Oder es könnte sich ein neues Retro-Virus wie HIV entwickeln, das sich ständig wandelt und gegen das keine Impfung gefunden wird.“

Hat die Menschheit etwas aus vergangenen Pandemien gelernt?

So schrecklich die verheerenden Auswirkungen einer Pandemie auch sind, die Menschen haben aus jeder Infektionswelle für die Zukunft gelernt: Nach schweren Typhus-Ausbrüchen wurde klar, dass sauberes Trinkwasser lebenswichtig ist. Seit einer hohen Müttersterblichkeit durch das Kindbettfieber wird auf penible Hygiene im Kreissaal geachtet. Gegen den HI-Virus wurden wirksame Medikamente entwickelt, deren Herstellungstechniken auch bei anderen Erkrankungen nützlich sind. Jahr für Jahr gibt es angepasste Impfstoffe gegen die Influenza – die Menschheit hat verinnerlicht, dass regelmäßige Schutzimpfungen helfen können. Und in Asien hat die Bevölkerung durch die SARS-CoV-1- und MERS-Pandemie gelernt, schnell zu reagieren und die Ausbreitung des Virus durch umfangreiche Hygiene-Maßnahmen einzudämmen. Ein wertvoller Probelauf für SARS-CoV-2.

Bei dem Pestausbruch in Mesopotamien und im Römischen Reich starben sieben bis zehn Millionen Menschen, er schwächte das Römische Reich stark[2].

Die größte Seuche des antiken Europas raffte nach unterschiedlichen Schätzungen 15 bis 100 Millionen Menschen dahin. Neben dem Römischen Reich waren auch Gallien, Germanien und der Mittlere Osten betroffen. Erreger war das Pestbakterium Yersinia pestis[3].

Bei der mittelalterlichen Pest-Pandemie starben schätzungsweise 25 Millionen Menschen in Europa – ein Drittel der Bevölkerung. Das Bakterium wurde mehrmals aus Asien nach Europa eingeschleppt. Überträger waren wohl nicht die Ratten wie man lange dachte, sondern Kleiderläuse und Menschenflöhe[4].

Die spanischen Eroberer brachten die Pocken mit nach Nordamerika, Millionen Indianer starben an dem tödlichen Virus, da ihr Immunsystem die Krankheit noch nicht kannte[5]. Auch im 20. Jahrhundert starben etwa 300 Millionen Menschen an den Pocken.

Nach dem Ende des 1. Weltkriegs breitete sich das Influenza-Virus vom Typ H1N1 weltweit aus und infizierte 500 Millionen Menschen. 50 Millionen Menschen – vor allem junge Erwachsene und Kinder - starben. Bis heute kursieren Nachkommen dieses Virustyps[6].

Das Bakterium Vibrio cholerae verbreitete sich vom indischen Subkontinent aus über die gesamte Welt. Bis heute gibt es immer wieder lokale Ausbrüche. Die schwere Durchfallerkrankung forderte mehrere Millionen Todesopfer[7].

Mehr als 35 Millionen Menschen starben am HI-Virus, der vom Affen auf den Menschen vermutlich im Kongo übersprang[8].

  • 165 bis 180: Die Antoninische Pest
  • 541 bis 700: Die Justinianische Pest
  • 1346 bis 1353: Der schwarze Tod
  • 16. Jahrhundert: Pocken
  • 1918: Die spanische Grippe
  • 1961 bis 1990: Cholera
  • Ab 1981: Die Aids-Pandemie

Warum traf uns die SARS-CoV-2-Pandemie so hart?

Es kamen mehrere unglückliche Faktoren zusammen: SARS-CoV-2 ist zwar weniger tödlich als SARS-CoV-1, den wir bereits seit knapp 20 Jahren kennen. Die Symptome entwickeln sich aber erst Tage nach der Ansteckung, dadurch stecken infizierte Menschen viele andere an – ohne es zu bemerken. Zudem ist SARS-CoV-2 ein respiratorischer Erreger, er wird ausgehustet und so in die Luft verbreitet. „Weiterer Verbreitungsfaktor: die Globalisierung. Flugzeuge und Schiffe haben mit dem Virus infizierte Personen schneller um die Welt getragen“, sagt Dr. Christian Hintze. Stark verlangsamen oder stoppen können hätte man die Pandemie im Grunde nur, indem man den Zug-, Schiff- und Flugverkehr vollständig über einen langen Zeitraum einstellt. „In unserer vernetzten Welt vollkommen undenkbar“, sagt Dr. Hintze.

Wie werden die Erreger auf den Menschen übertragen?

Virusinfektionen sind so alt wie die Menschheit selbst. Vermutlich litten schon die Menschen in der Steinzeit, im alten Ägypten und im römischen Reich darunter. Alles begann mit dem engen Zusammenleben von Mensch und Tier, so dass die Krankheiten von den Nutztieren auf ihre menschlichen Besitzer übersprangen. Später trugen die Seefahrer im 15. Jahrhundert Masern oder Pocken um die Welt. Andere Viren wie SARS-CoV-1, SARS-CoV-2 oder HI-Virus sind neu für das menschliche Immunsystem, so konnten wir noch keine Resistenzen bilden und sind ihnen schutzlos ausgeliefert. Einige Erkrankungen werden direkt von Insekten wie der Tigermücke oder Wanzen oder von Nutztieren wie Schweinen oder Rindern auf den Menschen übertragen, andere brauchen Zwischenwirte wie Meerkatzen oder Fledermäuse.

Corona hat unsere globale Gesellschaft ziemlich durchgeschüttelt: Weltweit infizierten sich Hunderte Millionen Menschen, über vier Millionen starben. Die Wirtschaft stand zeitweise still, Unzählige wurden arbeitslos und die gesamte Welt schien vor dem Virus zu kapitulieren. Das zeigt, welche Macht kleinste Erreger über unseren Alltag haben können. Viele blicken daher voller Sorge in die Zukunft und fragen sich, ob uns SARS-CoV-2 mit all seinen Varianten von jetzt an begleiten wird oder ob unsere Welt jemals wieder so sein wird wie früher.

Die fünf tödlichsten Infektionskrankheiten:

  1. Prionenerkrankung (Creutzfeldt-Jakob) 100% Sterblichkeit

  2. Ebola 50-90% Sterblichkeit

  3. Tollwut 92% Sterblichkeit

  4. Schlafkrankheit 10-70% Sterblichkeit

  5. Krim-Kongo-Fieber 50% Sterblichkeit

Die Sterblichkeitsrate bei SARS-CoV-2 liegt je nach Land bei mehr als 10 Prozent (Mexiko), 3 Prozent (Italien) oder knapp 2,5 Prozent (Deutschland)[10].

Werden wir in Zukunft mehr Pandemien erleben?

Pandemien werden wahrscheinlicher [11], denn der Mensch dringt immer weiter in abgelegene Gebiete vor und lebt auf engerem Raum mit (Wild-)Tieren. Auch die Resistenzen gegen Antibiotika und mit ihnen die Ausbreitung der multiresistenten Keime nehmen zu. Weiterer Faktor: der Klimawandel. Mücken – häufige Krankheitsüberträger – breiten sich weiter nach Norden aus. Im auftauenden Permafrost schlummern zudem alte und noch unbekannte Viren. Ohne Sauerstoff und in der Kälte konnten sie hier über Jahrmillionen überdauern. Nun kommen sie zum Vorschein: Forscher konnten bereits ein eingefrorenes Riesenvirus zum Leben erwecken. 2016 infizierten sich 71 Einwohner der sibirischen Jamal-Halbinsel mit dem Milzbrand-Erreger, der eigentlich schon als ausgerottet galt.

Auch die Globalisierung spielt den Viren in die Hände, denn sie können sich so viel schneller über den gesamten Erdball ausbreiten – was früher Jahre dauerte, passiert jetzt in wenigen Wochen.

Einige Bakterien können sich zu einer Spore umwandeln und sich somit in eine Art "Winterschlaf" versetzen. Die bisher älteste erweckte Spore stammt aus der Zeit der Dinosaurier und ist ca. 250 Millionen Jahre alt. „Doch nur ein bis fünf Prozent der Viren kennen wir bereits,“ sagt Dr. Christian Hintze, „es gibt also noch viele Unbekannte.“ Zudem entwickeln sie sich stetig weiter und greifen das Immunsystem des Menschen immer wieder auf andere Weise an. Eine Studie in 30 Ländern und 60 Städten fand an unterschiedlichen Oberflächen von Bahnhöfen und Krankenhäusern über 10.000 unbekannte Viren und 700 Bakterien – viel Potential für die nächste Pandemie.

Sind Viren und Bakterien immer böse?

Nein, im Gegenteil. Nur ein kleiner Prozentsatz löst Erkrankungen aus. Täglich kommen wir mit einer Vielzahl an Erregern in Kontakt. Die meisten sind für uns sogar sehr nützlich, denn sie trainieren das Immunsystem, unterstützen das Verdauungssystem oder schützen vor Infektionen.

Welcher Erreger wird die nächste Pandemie verursachen?

Darüber spekulieren viele Wissenschaftler. Die heißesten Kandidaten: MERS, ein anderer SARS-Virus, Prionen, Bakterien oder multiresistente Keime. Dr. Christian Hintze tippt auch auf ein Bakterium, gegen das die derzeit verfügbaren Antibiotika nicht wirken. „Wir brauchen deshalb mehr Reserveantibiotika, die im Notfall eingesetzt werden können.“ Reserveantibiotika werden nur für den Ernstfall zurückgehalten – schlagen die üblichen Antibiotika bei einem Patienten nicht an, da er bereits Resistenzen entwickelt hat, können die Notfall-Medikamente gegeben werden.

Wird man die Pandemien in Zukunft schneller beenden können?

Je mehr Erfahrungen wir mit Pandemien und ihren Verursachern, den Viren und Bakterien, sammeln, umso schneller wird man sie auch stoppen können. Entscheidend ist, die unbekannten Viren schnell zu identifizieren und zu verstehen, welche Gefahr von ihnen ausgeht[12]. Mit mobilen Laboren können die Forscher direkt an den Ausbruchsort fahren und mit Sequenzier-Automaten die Viren analysieren. Manche Geräte sind so klein wie ein USB-Stick, andere so groß wie ein Drucker. Je schneller man weiß, mit welchem Virus man es zu tun hat, umso schneller können Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. In der aktuellen Corona-Pandemie hätte man eventuell zwei bis drei Wochen gewinnen können – genau der entscheidende Zeitraum, um die Pandemie zu stoppen.

Die Suche nach den Ursachen geht immer schneller:

  • Fast 200 Jahre hat es gedauert, von der Entdeckung erster Symptome bis zur Identifikation des Erregers.

  • Fast 160 Jahre, um die Merkmale von Polio auch einem Erreger  zuzuordnen.

  • Mehr als 10 Jahre, um die Merkmale von Mumps einem Erreger zuzuordnen.

  • 2 Wochen, um von den ersten Merkmalen über eine vollständige Genomsequenzierung das neue Coronavirus zu identifizieren.

Wie enden Pandemien?

Manche Krankheitsausbrüche laufen in kurzer Zeit ins Leere – wie zum Beispiel die verschiedenen Ausbrüche von Ebola 2014 oder 2018 in Afrika. Die Viruskrankheit ist eine der tödlichsten, so dass sie sich – bisher – immer selbst „ausgerottet“ hat, denn sie tötet innerhalb weniger Tage bis Wochen ihren Wirt, den Menschen. Außerdem erkannte man die Gefährlichkeit des Virus schnell und reagierte umfassend: Die Infizierten wurden isoliert und Kontaktpersonen ausfindig gemacht. Inzwischen gibt es auch mehrere Impfungen gegen den Ebola-Erreger als Prophylaxe.
Das Kondom und wirksame Medikamente haben die Pandemie des HI-Virus gestoppt. Doch es dauerte lange, bis die Ursachen der anfangs rätselhaften Krankheit gefunden wurden – 39 Millionen Menschen starben bis heute daran. Eine Impfung wird es wohl nie geben, da das Virus zu schnell mutiert. Wieder andere Pandemien wie das Kindbettfieber, Typhus oder Fleckfieber wurden durch eine bessere Hygiene nahezu ausgerottet.

Wie lange wird uns SARS-CoV-2 noch begleiten?

Wahrscheinlich lange – ähnlich wie das Influenza-Virus, das seit mehr als einem Jahrhundert immer wieder Menschen infiziert und sich ständig wandelt. Doch die Erforschung der Viren und die Therapie der Erkrankungen wird immer ausgeklügelter. Mit jeder Pandemie kommt die Medizin einen Schritt voran. Mit den mRNA-Impfstoffen haben wir nun wirksame Impfungen an der Hand, um für zukünftige Ausbrüche gewappnet zu sein. Methoden wie die Entnahme von DNA-Proben machen es in Zukunft leichter, einige der mysteriösen Krankheitserreger zu identifizieren. Auch die Entschlüsselung des menschlichen und mikrobiellen Genoms sowie Fortschritte bei der Molekularmedizin helfen, die menschliche Anfälligkeit für manche Krankheiten zu verstehen.

Experte: Dr. Christian Hintze, Director Medical & Scientific Affairs, Roche Diagnostics Deutschland GmbH

Referenzen

  1. Masern: Weltweit 207500 Todesfälle (unicef.de)

  2. Pandemien: Die folgenschwersten Seuchen der letzten 2.000 Jahre | wissen.de

  3. Justinianische Pest: Die Katastrophenepoche - Spektrum der Wissenschaft

  4. Pandemien - Als die Pest die Welt im Würgegriff hielt (Archiv) (deutschlandfunk.de)

  5. Was wir über Corona von den Pocken lernen können - quarks.de

  6. Spanische Grippe - Wie eine Epidemie Gesellschaften veränderte (Archiv) (deutschlandfunk.de)

  7. Cholera im Fokus. Aktion Deutschland Hilft (aktion-deutschland-hilft.de)

  8. AIDS-Epidemie | bpb

  9. Die 5 tödlichsten Infektionskrankheiten der Welt - ein Alptraum für Jung und Alt - simulationcenters.com

  10. Fallsterblichkeitsrate beim Coronavirus nach Ländern 2021 | Statista

  11. Pandemien werden in Zukunft häufiger auftreten (aerzteblatt.de)

  12. Virologe Schmidt-Chanasit: "Pandemien der Zukunft vermeiden" - BMBF

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